Deutschland ist Rekordweltmeister. Was beim Fußball (noch) nicht ganz stimmt, ist im Radball Realität. Radball? Fußball und Handball einmal durch den Mixer, dann kommen noch Fahrräder dazu - fertig ist dieser Sport. Zumindest auf den ersten Blick. Doch es ist komplexer. Das merkt man aber auch nur ansatzweise, während die Radballer des RV 89 Schweinfurt in der Sporthalle der Schweinfurter Julius-Kardinal-Döpfner-Schule trainieren. Der Reiz liegt im Verborgenen.
- Wie fühlt man sich auf dem Rad? Hier geht es zu einem Selbstversuch
- Auch in Waldbüttelbrunn gibt es Radballer. Sie stellen das älteste Bayernliga-Team
Hubert Henz weiß das ganz genau: Grinsend verfolgt der Coach, was seine Mannen auf dem von flachen Banden umgebenen Feld treiben. "Zwei Jahre braucht man schon, bis man spielen kann." Ein Satz, bei dem wohl jedem Handballer die Kugel aus der Hand geglitten wäre - trotz Harz-Einsatz. Das muss man erstmal schlucken. "Manche lernen es nie."
Schüler eingesammelt fürs Training
Das sitzt. Doch der sympathische Hausmeister eines Schweinfurter Altenheims gibt nicht auf, wenn's um sein großes Hobby geht. Seit sein Vater Konrad ihn mit zum RV genommen hatte, sind etliche Jahre ins Land gegangen, ja sogar Jahrzehnte. Jahrzehnte, in denen er Schüler mit dem Auto einsammelte, zu den Übungsstunden fuhr und wieder zu Hause absetzte. Doch das habe sich gelohnt.
Ein wenig später sitzt Alexander Schwarz neben ihm - einer der mittlerweile groß gewordenen Jungs, die er vor 22 Jahren, zusammen mit seinem Sohn Florian, begeisterte. "Ganz so hart, wie es klingt, ist es nicht. Die ersten Fortschritte stellen sich schnell ein. Dann kann man stehen, später gelingt der erste harte Schuss. Es ist halt technisch wirklich anspruchsvoll, aber schon immer etwas Besonderes", erzählt der 30-Jährige mit einem Leuchten in den Augen. Zusammen mit Florian Henz bildet der Staatsanwalt das Zweier-Team des RV 89 in der Elite-Bayernliga - der dritthöchsten deutschen Liga.
Teamkollegen müssen sich blind verstehen
Seiner Mutter Doris verdankt es Schwarz, dass er auf dem mindestens 2000 Euro teuren Spezialrad einem Ball hinterherjagt und nicht nur Hügel auf dem Mountainbike rauf und runter. Sie kannte Hubert Henz aus ihrer Kirchengemeinde und brachte so den Jungen zu dem Sport, der ihm wirklich liegt. Die Familie spielt bei den Radballern recht oft eine große Rolle. Eng verbandelt müssen auch die Akteure sein, Zeit für lange, lautstarke Absprachen gibt's auf dem Feld nicht, das bei internationalen Duellen 14 mal elf Meter misst. Nicht mal im Training.
Hubert Henz blickt auf die Spielfläche. "Es gibt Fahrwege, die die Leute kennen. Sie wissen mit der Zeit ganz genau, wann der Mitspieler auch nach vorne fährt - und wann nicht." Schließlich kann sich die Mannschaft ganz fix ein Gegentor fangen, wenn die Abstimmung nicht passt. Der, der am schnellsten hinten ist, geht im Notfall ins Tor, einen festen Keeper gibt es nicht. So muss ein Radballer fast schon eine Kreuzung aus Robert Lewandowski und Manuel Neuer sein.
"Das hilft auf jeden Fall, auch wenn man einen Stamm-Schlussmann hat, der eigentlich in den Kasten sollte. Florian ist ein sehr guter Torwart und hat einen satten Schuss. Das macht ihn zum besten Radballer, den wir in Schweinfurt je hatten. Da würden mir auch viele andere zustimmen", sagt Vater Henz, während sein Filius - quasi als Dankeschön - den bis zu 600 Gramm schweren Ball ins Netz knallt. Das mit Reh- oder Rosshaar gefüllte, handgefertigte Runde kostet meist 90 Euro und ist damit auch nur unwesentlich günstiger als ein Spielball, den die Bundesliga-Kicker über den Rasen schieben.
Zweitliga-Aufstieg als Fernziel
Und auch der fahrbare Untersatz, der wegen seiner 1:1-Übersetzung nicht außerhalb des Feldes genutzt wird, kann mächtig ins Geld gehen. Besonders Carbon-Anbauteile sind beliebt, um doch noch ein paar hundert Gramm zu sparen. "Das merkt man aber nicht. Früher sind wir noch mit Holzfelgen unterwegs gewesen, die sind dann auch schon mal gebrochen." Schwer vom Rad gestürzt ist Coach Henz, der zurzeit an einem Sehnenriss laboriert, aber noch nicht.
Ihr Bike müssen die Bayernliga-Radballer nicht selbst zahlen, es wird gestellt - wie die Ausrüstung der Bundesliga-Fußballer; eine Liga, die es auch im Radball gibt. Sie ist eingleisig, die zweite Bundesliga wird in die Staffeln Nord, Mitte und Süd gegliedert. Als Vierte haben Henz und Schwarz derzeit noch gute Chancen, eins der drei Teams zu sein, die an den Aufstiegsspielen zur Zweiten Liga teilnehmen dürfen. Nur der Erste darf direkt hoch.
Auch ein 79-Jähriger macht mit
"Natürlich wäre ein solcher Zweitliga-Aufstieg etwas, was man im Leben noch erreichen will. Um wirklich in der zweiten Bundesliga mitspielen zu können, müssen wir uns aber doch noch etwas steigern", meint Florian Henz augenzwinkernd. Dass davon wohl nur wenige Menschen Notiz nehmen würden, stört den 27 Jahre alten Kfz-Mechatroniker und seine Mitstreiter nicht. "Radball war schon immer ein Randsport. Wenn zu den Hochzeiten mal was von den Weltmeisterschaften im bundesweit empfangbaren Fernsehen war, waren es auch nur wenige Minuten." Hubert Henz sagt das ohne Groll. Er hat einfach Spaß an dem, was er seit Jahrzehnten gerne tut.
Auf das Rad schwingt sich der 62-Jährige zwar nicht mehr, dafür tut's an diesem Abend einer, der noch 17 Jahre älter ist: Herbert Leibold. Dass er auch gegen die Drittliga-Akteure noch recht gut mithalten kann, ist Werbung für den Sport - wenn auch nur im kleinen Kreis. Doch das spielt für die Radballer keine große Rolle.