Tokio 2020. Eine Olympia-Teilnahme hatte Lisa Fischer vor vier Jahren einfach mal in den Raum geworfen, als sie nach zahlreichen Rückschlägen wieder in den Leistungssport eingestiegen war. Sie hat sie 2019 ungeachtet der folgenden Corona-Pandemie trotz ansprechender Leistungen, vor allem auf der Bahn, verpasst. Dass die Radrennfahrerin bei einer möglichen Neuauflage in Japan dabei sein könnte, schließt sie nicht komplett aus - setzt ihre Ziele, auch angesichts der schwer kalkulierbaren nächsten Monate, jedoch deutlich realistischer. Basis soll der Wechsel in ein belgisches Amateur-Team an der Schwelle zum Profisport sein.
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Im vergangenen Jahr war sie Achte der deutschen Meisterschaft im Einzel-Zeitfahren, als beste Amateurin hinter einer Profi-Phalanx. Es habe ihr an Erfahrung, Know-How und Material gefehlt, blickt die 26-Jährige ("ich komme gerade erst ins beste Radsport-Alter") ohne Groll darauf zurück, vom Bund Deutscher Radfahrer nicht nominiert worden zu sein, obgleich sie auf Augenhöhe mit zwei berücksichtigten Konkurrentinnen gewesen sei. Die deutsche Nationalmannschaft ist in der Bahn-Verfolgung international weit vorn zu finden, da sei die Konkurrenz im eigenen Lager eben groß. "Ich habe angefangen, die Treppe von ganz unten hochzugehen, und bin für mich zufriedenstellend weit gekommen", so Fischer zu den Jahren in Erfurt und dem Wechsel zum Team Stuttgart kurz vor der Corona-Krise.
2020 seien die für sie entscheidenden Rennen zwar ausgefallen, die Entscheidung, sich wieder voll und ganz auf das Einzel-Zeitfahren zu konzentrieren, aber sei die absolut richtige gewesen. In Stuttgart habe sie sich in den wenigen stattfindenden Rennen nicht in der Helferrolle aufopfern müssen, habe deutlich mehr Freiheiten gehabt. Aber: "Unser Team ist halt 'nur' nationales Bundesliga-Niveau - da hatte ich nicht die Chance, international zu starten und Weltranglistenpunkte zu holen." In Stuttgart half ihr das Team, zumindest einen Schritt weiter zu kommen: Fischer bekam Top-Räder - "damit gab es keine Ausreden mehr". Aerodynamik und Renntaktik verbesserte die beim RV 89 Schweinfurt ausgebildete deutsche Meisterin im Punktefahren von 2013 und WM-Vierte der Eliteklasse durch intensives Training. Parallel zu ihrer Ausbildung: Die Corona-Pausen nutzte sie für sieben Prüfungen in ihrem Studiengang International Management, bestand diese und schreibt aktuell ihre Bachelorarbeit.
Offen für Heilpraktik und Esoterik
Damit fühlt sie sich für das Sportjahr 2021 frei und unabhängig, der ganze Fokus gelte nun dem Radfahren. Fischer hat sich in Schweinfurt ein Netzwerk aufgebaut, zu dem neben Hauptsponsor Markus Wolf ("er steht bedingungslos ein für die, die er fördert") auch Heilpraktiker Alexander König gehört. Die junge Frau mit den langen, blonden Haaren zeigt sich offen für Ansätze jenseits der Schulmedizin, weiß bei der Vorbeugung vor Krankheiten um die Relevanz richtiger Ernährung und setzt lieber auf Disziplin denn Medikamente. "Ich bin empfänglich für Esoterik, stecke aber nicht allzu tief drin in dem Thema."
"Stillstand ist Rückschritt" ist Fischers Philosophie. "Leistung durch Lifestyle" ihre Vision. Werte wie Spaß und Leichtigkeit stünden auf einer Stufe mit Qualität, Seriösität, Fokus und Zielstrebigkeit. "Ich habe immer noch die Worte meines Trainers in Erfurt beim Krisengespräch im Kopf: 'Das ist jetzt dein Job, das muss nicht immer Spaß machen.'" Inzwischen baue sie auf ganzheitliche Lebensweise und Betreuung. Und die Erkenntnis der eigenen Ressourcen: "Ich setze deswegen künftig hundertprozentig auf das Zeitfahren, weil ich da das Potenzial habe, das nie ganz ausgeschöpft worden ist." Und Lisa Fischer wäre nicht Lisa Fischer, würde sie nicht auch ein konkretes Ziel formulieren: "Unter die Top Fünf bei der Deutschen wäre mega, ganz hoch gepokert will ich eine Medaille. Ich will sehen: Schaffe ich das, oder schaffe ich das nicht?" Die Bedingungen sind jedenfalls deutlich besser als 2016, kurz nach zwei Armbrüchen.
Absicherung durch doppeltes Startrecht
Eine große Stütze soll neben neuem Trainer und passendem Material das belgische "Isorex-AquaPlus-Woman-Cycling-Team" werden. Das ist das ambitionierte Amateur-Anhängsel eines renommierten Profi-Rennstalls, plant im kommenden Jahr Teilnahmen an allein 25 UCI-Rennen, bei denen es um Weltranglistenpunkte geht. Für Lisa Fischer ein Jackpot: "Dort werden zahlreiche klassische, windanfällige Kurse gefahren, wo man viel taktieren muss. Dass passt genau zu meinem Fahrertyp." Noch entscheidender: Sie kann ihr Material, das ihr das Team Stuttgart ermöglicht hat, benutzen, und auch weiterhin für die Stuttgarter immer dann an den Start gehen, wenn in Belgien gerade kein Rennen ansteht. "In Corona-Zeiten ist das für mich eine doppelte Absicherung."
Und: "Es ist ein Engel in mein Leben getreten", sagt Fischer. Der "Engel" hat auch einen Namen: Friedrich Meingast. Selbst 2018 mit seiner Augsburger Mannschaft deutscher Meister im Team-Zeitfahren geworden, ist der 35-Jährige ihr neuer Trainer und habe sie bereits im Bereich Aerodynamik weiter gebracht. "Er kann mich gut lesen, nimmt mich, wie ich bin. Ich muss mich nicht mehr verstellen. Er kann meine Karriere auf Vordermann bringen." Dass sie ein klitzekleines bisschen, sollte es mit der anvisierten Medaille klappen, noch an Tokio 2021 denkt, leugnet Fischer nicht: "Dann würde ich zumindest für die EM oder WM ins Visier genommen. Für Olympia steht der Pool allerdings weitgehend und ich müsste zudem schon vor der Deutschen Ende Juni was reißen. Aber man weiß ja nie."