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Fußball
Schiedsrichter in der Corona-Krise: Netz statt Pfeife.
Die Unparteiischen nutzen die Zwangspause auf Bayerns Fußballplätzen zu einer neuen Form der Schulung. Warum die Zunft dennoch vor einer harten Belastungsprobe steht.
Die Pfeife bleibt ebenfalls stumm: Da der Amateurfußball in Bayern wegen der Corona-Krise bis mindestens 31. August ruht, haben auch die Schiedsrichter Pause - zumindest auf dem Platz.
Foto: Fredrik von Erichsen/dpa | Die Pfeife bleibt ebenfalls stumm: Da der Amateurfußball in Bayern wegen der Corona-Krise bis mindestens 31. August ruht, haben auch die Schiedsrichter Pause - zumindest auf dem Platz.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 31.05.2020 02:10 Uhr

Am Wochenende haben die Vereinsvertreter entschieden, den Plan des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV) unterstützt, die Saison 2019/20 nach dem 31. August zu Ende zu spielen. Das heißt: bis dahin kein Amateurfußball. Aber auch: Kein Bedarf an Schiedsrichtern. Die Pfeife bleibt in der Tasche. Für eine Zunft, die seit Jahren mit Mitgliederschwund zu kämpfen hat, eine schwere Prüfung. Kein Wunder, dass der aus Haßfurt stammende Verbandsschiedsrichterobmann  Walter Moritz besorgt ist: "Das trifft uns genauso hart wie die Vereine. Das größte Problem ist die Ungewissheit, keiner weiß, wie lange das dauert."

"Erst wenn alles vorbei ist, werden wir wissen, in welchem Maß uns das geschadet hat. Gerade ältere Schiedsrichter an der Basis, die ohnehin mit dem Aufhören liebäugeln, könnten das vorzeitig als Anlass nehmen.” Die bayerischen Spitzen-Schiedsrichter, die in der Regionalliga, den beiden Bayernligen und den fünf Landesligen pfeifen, erreicht der 54-Jährige über das Internet: "Wir halten unsere Schiedsrichter über die Videos auf dem Laufenden. Zwar müssen sich alle individuell um ihre Fitness sorgen, aber wir sie bei Laune halten." Auf gemeinsame Lehrgänge in der Sportschule Oberhaching müssen Schiedsrichter im Moment verzichten, die Frage des Auf- und Abstiegs in den Leistungsklassen sei bisher nicht geklärt.

Neulinge bei Laune halten

Dass seine Spitzenkräfte abspringen könnten, glaubt Moritz nicht. Anders sehe es insbesondere bei neuen Schiedsrichtern aus: "Wir haben sie ausgebildet, sie stehen bereit, Spiele zu leiten, aber die finden nicht statt."  Motivationsstrategien seien dezentralisiert worden: "Alle zwei, drei Wochen halten wir vom Verbandsschiedsrichterausschuss im Netz Videokonferenzen mit den Bezirksobmännern ab. Die wiederum instruieren die Gruppen. Und in den Gruppen agieren die Verantwortlichen mit den einzelnen Schiedsrichtern."

Walter Moritz (Haßfurt) BFV-Verbandsschiedsrichterobmann
Foto: Dirk Meier | Walter Moritz (Haßfurt) BFV-Verbandsschiedsrichterobmann

In der Zeit der Pflichtpause bliebe aber auch Zeit, sich des Schiedsrichterwesens ganz allgemein anzunehmen. 10000 aktive Unparteiische gebe es, ein Drittel mehr sei das Ziel. Da träfe es sich gut,  dass plötzlich ein Angebot attraktiver wird, das es bereits seit 2014 gibt: per Online-Kurs zum Schiedsrichterschein. Der BFV bietet an, die theoretische Ausbildung online zu absolvieren. Unter anderem ist die Gruppe Bad Kissingen Vorreiter in der webbasierten Schiedsrichter-Ausbildung auf der Verbanfsplattform "online lernen". 

Online-Neulingskurs

Der dortige Lehrwart Sebastian Wieber: "Da wir in einem sehr ländlichen Landkreis zu Hause sind, haben wir früh angefangen, uns auch auf anderen Wegen auszutauschen. Wir haben zum Beispiel eine WhatsApp-Gruppe und eine Telefonsprechstunde für Fragen. Das ist vor allem für unsere jungen Schiedsrichter ohne Führerschein wichtig. Ein kompletter Online-Neulingskurs war aber auch für uns Neuland." Nach der erfolgreichen Premieren-Veranstaltung mit acht Teilnehmern war das Feedback durchweg positiv.

"Wir öffnen uns Allen, die sich intensiv mit dem Regelwerk beschäftigen wollen. Letztlich ist das auch eine Werbung fürs Schiedsrichterwesen."
Verbandsobmann Walter Moritz zu den freu zugänglichen Online-Lehrgängen

Statt in Wochenend-Lehrgängen oder den üblichen sieben Lehrabenden haben angehende Schiedsrichter nun die Gelegenheit, die Theorie-Schulung online zu bewältigen, inklusive der abschließenden Klausur, die bis dato eine verpflichtende Präsenzveranstaltung war. Die erste bayernweite Schulung läuft seit 11. April, 144 Neulinge sind dabei. "Beginn der nächsten Online-Ausbildung ist am 25. April, für diesen Kurs haben sich rund 50 Personen bisher angemeldet ", sagt Moritz. "Das läuft sehr gut an, auch, weil wir technisch sehr gut aufgestellt sind."

Im Zwiespalt: Sebastian  Wieber, Lehrwart der Schiedsrichtergruppe Bad Kissingen, forciert in seinem Bereich digitale Arbeitsweisen, weiß aber auch um die Unersetzbarkeit der Praxis-Ausbildung.
Foto: Wieber | Im Zwiespalt: Sebastian Wieber, Lehrwart der Schiedsrichtergruppe Bad Kissingen, forciert in seinem Bereich digitale Arbeitsweisen, weiß aber auch um die Unersetzbarkeit der Praxis-Ausbildung.

Am Ende freilich wird es nicht ohne die Praxis-Prüfung gehen. "Wir werden, wenn es so weit ist, sogenannte Thementage in den einzelnen Gruppen ansetzen, wo der praktische Feinschliff, zum Beispiel Administratives wie der ESB, vermittelt und direkt anschließend die Prüfung abgehalten wird. Die Not macht erfinderisch", sagt Moritz zum gelebten Pragmatismus. Desweiteren bietet der Verband wöchentlich Info-Seminare an, um offene Fragen aus dem Selbststudium zu beantworten. 

Theorie-Schulung für Jedermann offen

Neu dabei: Am digitalen Theorie-Unterricht können auch Personen teilnehmen, die gar nicht vorhaben, Schiedsrichter zu werden. Moritz: "Wir öffnen uns Allen, die sich intensiv mit dem Regelwerk beschäftigen wollen. Letztlich ist das auch eine Werbung fürs Schiedsrichterwesen" Walter Moritz ist nicht unzufrieden mit der Entwicklung während der Krise: "Es ist schön, das Engagement zu sehen, und wie wir Schiedsrichter zusammenhalten." Bei aller Euphorie sagt der 54-Jährige aber auch: "Nach der Krise wollen wir aber wieder ein kleines Stück zurück, zu einem gesunden Mix aus Praxis und Online."

Das weiß auch Wieber: "Wir können einige praktische Themen wie die Netzkontrolle online zwar erklären, aber trotzdem muss das jeder einmal gemacht haben." Außerdem sei der persönliche Kontakt mit den Mitgliedern nicht zu ersetzen: "Unsere Erfahrung hat gezeigt: Wer sich der Schiedsrichter-Gemeinschaft anschließt und bei den persönlichen Treffen dabei ist, springt in der Regel nicht ab." Um auch in Zeiten sozialer Distanz die Bindung zur Gruppe herzustellen, wurde jedem Bad Kissinger Neuling eine Bezugsperson aus der Schiedsrichtergruppe zugewiesen.

Und für den Zeitpunkt, ab dem der Ball wieder rollt, hat Walter Moritz einen frommen Wunsch: "Ich hoffe, dass Alle, ob Fußballer oder Schiedsrichter, dann wieder umso mehr Lust haben werden, auf dem Platz zu stehen."

Fußball im Wandel - die Serie
Verwaiste Sportplätze, verlassene Vereinsheime und ein grassierender Bedeutungsverlust bei Jung und Alt: Was ist aus unserem Fußball geworden? Stirbt hier, in den Dörfern und Städten, ein Kulturgut, das einmal emotionaler Halt und sozialer Kitt dieses Landes war? Dieser Frage wollen wir nach- spüren in unserer großen Serie „Fußball im Wandel“. Wandel bedeutet Veränderung, nicht selten unter Druck und Zwang. Aber Wandel bietet stets auch Chancen für Neues, für bisher Unentdecktes.
Zwischen diesen beiden Polen, Tradition und Moderne, Umbruch und Aufbruch, werden wir uns in den nächsten Monaten bewegen. Wir wollen wissen: Wie hat sich der uns so vertraute Fußball ver- ändert? Was macht der Wandel mit Vereinen und Verband? Weshalb gelingt der Umbruch im einen Dorf besser als im anderen nebenan? Was tun mit Vereinsheim und Sportgelände, wenn der Fußball nicht mehr rollt? Wir hören Experten, diskutieren mit Trainern über die wahre Lehre, über Taktiken und Strategien – und gerne auch mit Ihnen.
Wenn Sie Ideen und Anregungen für diese Serie haben, bitte melden an: Main-Post, Sportredaktion, Berner Straße 2, 97084 Würzburg, ? (09 31) 60 01 - 237 E-Mail: red.sport@mainpost.de
 
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