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FUßBALL: BUNDESLIGA
Wie der Videobeweis in der Bundesliga funktioniert
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Hans Strauß
Hans Strauß
 |  aktualisiert: 02.09.2017 03:15 Uhr

Die Bundesliga-Saison beginnt für Benjamin Brand (28) am Samstag gleich mit einem Einsatz. Allerdings nicht wie gewohnt als Schiedsrichter auf den Rasen. Sondern in einem abgedunkelten Studio am Kölner Rheinufer, dem Bundesliga-Replay-Center. Brand wird dort die Partie TSG Hoffenheim – Werder Bremen als Video-Assistent begleiten und dem Spielleiter in der Wirsol-Rhein-Neckar-Arena bei strittigen Szenen über die Analyse der Bilder helfen.

Nach einjähriger Vorbereitungszeit gibt es nun bei allen Spielen im Oberhaus den Videobeweis. Brand freut sich über die Einführung: „Andere Sportarten wie Tennis, Basketball oder Eishockey arbeiten längst damit. Der Fußball hat einen so hohen Stellenwert und es geht um so viel Geld, dass es absolut berechtigt ist, Videobilder heranzuziehen. Die Technik bietet die perfekte Möglichkeit, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.“

Anzeige für den Anbieter YouTube über den Consent-Anbieter verweigert

Chef bleibt der Schiedsrichter vor Ort, aber Brand, der in Unterspiesheim (Lkr. Schweinfurt) wohnt und für seinen Heimatverein FC Schallfeld pfeift, sieht ihn nun in einer deutlich angenehmeren Situation. „Ich finde es nicht gerecht, wenn die Zuschauer kurz nach einer Entscheidung auf ihrem Smartphone lesen können, ob sie richtig oder falsch war, und auch die Trainer über TV-Bilder schnell Bescheid wissen – der Schiedsrichter es aber als Letzter im Stadion erfährt.“

Der Charakter des Spiels soll nicht verändert werden

Das wird sich nun ändern, wenn der Video-Assistent über das Headset dem Schiedsrichter empfiehlt: „Warte noch mit der Spielfortsetzung!“ Gemäß den Richtlinien des Weltfußballverbandes wird sich das Eingreifen aus der Videozentrale aber auf klare Fehler in spielentscheidenden Situationen beschränken. „Der Charakter des Spiels soll nicht durch Unterbrechungen am laufenden Band verändert werden“, sagt Brand. Die vier Kategorien für den Videobeweis sind: Torerzielung, Elfmetersituationen, Platzverweis und Spielerverwechslung durch den Schiedsrichter. Wichtig dabei zu wissen: nur Rote Karten unterliegen der Begutachtung am Bildschirm in Köln. Gelb und damit auch eine Gelb-Rote Karte werden nicht überprüft – außer, der betroffene Spieler ist verwechselt worden.

Wenn der Videobeweis zur Anwendung kommt, tippt der Schiedsrichter mit zwei Fingern gegen sein Headset am Ohr. Für die Profis bedeutet das: Abstand halten und Ruhe geben, ansonsten droht eine Verwarnung. Ändert der Schiedsrichter seine Entscheidung oder will er sich die unklare Szene selbst ansehen, zeichnet er symbolisch die Umrisse eines Bildschirms in die Luft. An der Gegengerade, also weit weg von den Trainerbänken, ist ein Bildschirm platziert. Auch hier haben die Spieler wegzubleiben. Der langwierige Gang an den Monitor, wie er beim Confed-Cup zu beobachten war, soll in der Bundesliga jedoch die Ausnahme bleiben. „Unser Ziel ist es, alles über die Headset-Kommunikation zu lösen“, sagt Brand.

Verändert sich eine Entscheidung durch den Videobeweis, erhalten die Fernsehsender das entsprechende Material umgehend zur Verwendung. Die Stadionbesucher werden zunächst nur durch ein Symbol auf den Videowänden informiert. Ab dem dritten Spieltag sollen dann in allen Stadien technisch auch Bewegtbilder möglich sein.

Die technischen Möglichkeiten für den Video-Assistenten sind beeindruckend. Wenn Brand am Samstag bei Hoffenheim – Bremen seinen Studio-Dienst in Köln versieht, wo alle Bilder aus den Bundesliga-Stadien zusammenlaufen, hat er zwei Bildschirme vor sich. Auf dem oberen läuft das Spiel, aufgenommen von der Führungskamera, durch. Markiert Brand eine unklare Szene per Knopfdruck, kann er sie auf dem unteren Monitor in vier verschiedenen Perspektiven nochmals begutachten und über die Touchscreen-Oberfläche vergrößern. Neben Brand sitzt zudem ein Operator der Firma Hawkeye, der auf seinem oberen Monitor das TV-Bild laufen hat und auf dem unteren über alle Perspektiven der 21 im Stadion platzierten Kameras verfügt. Auf Brands Kommando „Check“ wird der Operator aktiv.

Supervisor Helmut Krug berät

Und dann eilt, per aufflammendem Rotlicht über der jeweiligen Spielstation informiert, auch noch Hellmut Krug, der deutsche Projektleiter Video-Assistent, hinzu. Der ehemalige Schiedsrichter kann in seiner Funktion als Supervisor beratend unterstützen, die Entscheidung trifft aber immer der Video-Assistent.

Unentdeckt oder unklar sollte auf den Bundesliga-Plätzen also so gut wie nichts mehr bleiben. Doch beim Testlauf, dem Supercup-Spiel zwischen Borussia Dortmund und Bayern München, gab es eine Panne. Weil eine Abseitslinie im Studio nicht eingeblendet werden konnte, ließ sich zunächst nicht klären, ob Joshua Kimmich seine Flanke zum Münchner 1:1 aus Abseitsposition gegeben hatte. Sie war – für viele überraschend – regelgerecht, die Schiedsrichter hatten glücklicherweise richtig entschieden. Künftige Pannen sind nicht auszuschließen. Brand hofft auf Gelassenheit: „Man sollte allen Beteiligten vertrauen, ihnen ein bisschen Zeit geben und sich selbst an den Einsatz der Technik beim Fußball gewöhnen.“

Alle 23 Bundesliga-Schiedsrichter der vergangenen Saison wurden als Video-Assistenten geschult. Wolfgang Stark, Günther Perl und Jochen Drees, die als Schiris wegen Erreichens der Altersgrenze ausgeschieden sind, machen als Video-Assistenten weiter. Die neuen Bundesliga-Schiedsrichter müssen erst das Schulungsprogramm durchlaufen.

Dazu zählen nicht nur Testeinsätze im Videocenter, sondern auch von der Technik begleitete Freundschaftsspiele zwischen Mannschaften der Nachwuchs-Bundesligen und permanente Spieltagszusammenschnitte von Krug, jeweils mit der Frage: Eingreifen oder nicht?

Die Voraussetzungen für gute Entscheidungsprozesse sind in der Bundesliga damit ungleich besser als beim Confed-Cup in Russland, wo einige Pannen für Kopfschütteln sorgten. „In zehn Tagen mit Menschen aus verschiedenen Ländern ist es unmöglich, Automatismen einzuschleifen“, sagt Brand.

In welchem Rhythmus sich Spielleitungen und Video-Assistenzen für die 20 aktiven Schiedsrichter künftig abwechseln, ist noch nicht klar. „Die Anzahl der geleiteten Spiele sollte gleich bleiben“, findet Brand. Möglicherweise wird eine Video-Assistenz mit einem Schiri-Einsatz anderntags nicht allzu weit entfernt von Köln gekoppelt. Beide Tätigkeiten, sagt Benjamin Brand, seien „sehr anstrengend, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Auch vor den vier Fernsehern schnellt der Puls in die Höhe.“

Unterfrankens Spitzenschiedsichter Benjamin Brand ist gut beschäftigt

 
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