Auf dem Tisch vor Patrick Schmitt liegen zwei Aktenordner. Darin abgeheftet: Zeitungsartikel, die den Weg des HSC Bad Neustadt von dessen Gründung im Jahr 1977 an genauso wie seinen eigenen im Handballsport nachzeichnen. An einem Blatt bleibt der 53-Jährige hängen.
Es zeigt ihn, seine Mutter Heidi und seinen Vater Josef, genannt Sepp, den Gründer, Macher und langjährigen Vorsitzenden des HSC, im Sommer 1983 an einem Bahnsteig des Hauptbahnhofs in Würzburg. Dort begrüßen sie mit einem Lächeln im Gesicht die beiden tschechischen Handballer Jindrich Krepindl und Vladimir Haber, die fortan für den damaligen Bezirksligisten spielen sollten.
"Es war für mich ein unglaublicher Moment, als diese zwei Stars damals am Bahnhof angekommen sind", erinnert sich Patrick Schmitt, damals 13 Jahre jung. Jener Tag, so Schmitt, "war der Beginn der Erfolgsgeschichte" des HSC Bad Neustadt, "der Beginn einer neuen Ära".
Haber und Krepindl sind die ersten tschechischen Handballer, die im Ausland spielen dürfen
Außerhalb der Handball-Hallen stand das Jahr 1983 für eine ganz andere Ära: Es war das Jahr, in dem die Welt so dicht vor einem Atomkrieg stand wie wohl seit der Kubakrise 1962 nicht mehr. Westen und Osten schreckten sich mit abertausenden Raketen ab und bedrohten sich. Der Eiserne Vorhang teilte Europa unerbittlich, auch die Bundesrepublik Deutschland und die Tschechoslowakei (CSSR).
Und doch war es Sepp Schmitt gelungen, Haber und Krepindl, die beiden Olympia-Zweiten von München 1972, von Skoda Pilsen zum HSC Bad Neustadt zu holen. Zum ersten Mal überhaupt würden "tschechische Spieler in einer bundesdeutschen Mannschaft den Ball werfen", so hieß es in jenem Artikel aus dem Jahr 1983. "Ich war damals bayerischer Außenminister", hatte Sepp Schmitt seinen Coup einmal scherzhaft kommentiert.
An diesem Samstag, 2. September, testet die Landesliga-Mannschaft des HSC Bad Neustadt beim 1. Sepp-Schmitt-Gedächtnisturnier in der Bürgermeister-Goebels-Halle gegen die SG DJK Rimpar II (15 Uhr) und die HSG Werratal 05 (16.30 Uhr). Dass der Klub seinem vor 22 Monaten gestorbenen Gründer gedenkt, "freut mich sehr", sagt Patrick Schmitt, "ich finde, es sollte nicht in Vergessenheit geraten, was mein Vater für den Klub geleistet hat."
Ausgestattet mit einem Vier-Jahres-Vertrag beim HSC Bad Neustadt waren Haber und Krepindl in den Zug nach Würzburg gestiegen, sich ihres Privilegs wohl bewusst. "Normale Sportler hatten keine Chance, auszureisen", erinnert sich Vladimir Haber, seit vergangenem Samstag 74 Jahre alt, im Gespräch mit dieser Redaktion. Dass er und Krepindl nach Deutschland durften, "war ein Geschenk des tschechischen olympischen Komitees, weil wir elf Jahre vorher in München die Silbermedaille gewonnen hatten".
Die kommunistischen Machthaber in Prag lassen Haber und Krepindl ihr Misstrauen spüren
Dennoch: Die Machthaber in Prag ließen die langjährigen Nationalspieler spüren, wie sehr sie ihnen misstrauten. Während Haber und Krepindl selbst alle zwei Wochen für wenige Tage in die Heimat zu ihren Familien fuhren, blieben die Besuchsmöglichkeiten in die andere Richtung eingeschränkt. Alle Vierteljahr kamen die Habers und Krepindls in Bad Neustadt zusammen, anfangs mit einer Auflage: "Ein Familienmitglied musste zu Hause bleiben, weil die tschechischen Kommunisten Angst hatten, dass wir alle in Deutschland bleiben", sagt Haber.
Mit Mittelmann Haber und Kreisläufer Krepindl war der Weg des HSC Bad Neustadt von der Bezirksliga in die Bayernliga vorgezeichnet. Als Trainer vermittelten sie ihren Spielern – Erwachsenen wie Jugendlichen – eine ganz neue Art, Handball zu spielen. "Sie haben Wert auf Technik und auf Spielzüge gelegt", sagt Patrick Schmitt, dessen Weg unter der Anleitung der beiden tschechischen Trainer in den Kader der Jugendnationalmannschaft führen sollte. "Ja, Kraft war nicht das Wichtigste", bestätigt Haber seine Philosophie von einem durchdachten, cleveren Spiel. Nach einiger Zeit, sagt er, "waren die Spieler 30, 40 Prozent besser".
1992 kehrt Vladimir Haber noch einmal als Trainer zum HSC Bad Neustadt zurück
"Sepp war ein Klasse-Mensch, der uns bei allem geholfen hat", sagt Vladimir Haber, der sein Handball-Fachwissen inzwischen als Experte an die tschechische Fernseh-Öffentlichkeit weitergibt. Sein Status in Tschechien ist vergleichbar mit dem Heiner Brands in Deutschland. Als Spieler war er mit Dukla Prag und Skoda Pilsen zweimal Landesmeister, nahm an zwei Olympischen Spielen und zwei Weltmeisterschaften teil. In seiner Trainer-Vita stehen zehn Jahre als Coach der Nationalmannschaft der Tschechischen Republik samt vier Teilnahmen an Weltmeisterschaften und drei an Europameisterschaften. Kovopetrol Pilsen führte er 1998 und 1999 zu Titelgewinnen.
Zwischen 1992 und 1996 trainierte er ein zweites Mal den HSC Bad Neustadt. 1995 führte er den Klub zur Meisterschaft in der Oststaffel der Regionalliga Süd, in den Aufstiegsspielen zur 2. Bundesliga Süd scheiterte der HSC – mit Patrick Schmitt als Spielgestalter – am TSV Östringen, einem der Vorgängerklubs des heutigen Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen.
"Vladimir und Jindrich waren Profis durch und durch", sagt Patrick Schmitt. "Aber sie waren nicht nur sportlich herausragend, sondern sind es auch menschlich." Die damals entstandenen Freundschaften, sie halten noch heute. Ende Oktober will Vladimir Haber mit seiner Familie wieder einmal nach Bad Neustadt kommen.
"Ohne Vladimir, Jindrich und meinen Vater, der ein hervorragender Manager war, wäre der Weg des HSC so nicht möglich gewesen. Sie waren die Basis für all den Erfolg, der später kam", sagt Patrick Schmitt. Wenn er einen Wunsch freihätte, dann den: "Es wäre schön, wenn die Halle einmal Sepp-Schmitt-Halle heißen würde. Es gibt keinen, der Bad Neustadt sportlich so geprägt hat, wie mein Vater. Und die Halle war wie eine Heimat."