
Die Sportwelt schaut zwölf Tage lang erneut nach Paris. Beginnend mit der Eröffnungsfeier auf den Champs Élysées und der angrenzenden Place de la Concorde an diesem Mittwoch bis zur Schlusszeremonie am 8. September kämpfen über 4000 Sportlerinnen und Sportler bei den Paralympischen Spielen um Medaillen und Aufmerksamkeit. 140 von ihnen hat der Deutsche Behindertensportverband (DBS) nominiert. 22 Sportarten sind vertreten, in annähernd 550 Wettbewerben geht es um Gold, Silber und Bronze.
"Ich freue mich mega auf die Eröffnungsfeier", sagt Silke Lang. Sie ist keine Paralympionikin und doch als Physiotherapeutin Teil von Team D Paralympics, der deutschen Mannschaft bei den Spielen von Paris. In der Vergangenheit habe sie die Eröffnungsfeiern stets verfolgt, habe am Fernsehschirm Ausschau nach von ihr betreuten Athletinnen und Athleten gehalten.
Silke Lang spielte in Mainz Handball auf Drittliganiveau
"Dass ich jetzt selbst mal dabei bin, macht mich stolz. Ich empfinde es als besondere Ehre, Deutschland vertreten zu dürfen", sagt die 47-Jährige und lächelt: "Wenn ich schon das als Sportlerin nicht geschafft habe, dann halt jetzt als Physiotherapeutin." Als Handballerin spielte sie ihrer Heimatstadt Mainz auf Drittliganiveau und in der Rheinland-Pfalz-Auswahl, in die Nähe der Nationalmannschaft kam sie freilich nie.
Silke Lang lebt in Bad Neustadt, zur Praxis in der Hauptstraße im Stadtteil Brendlorenzen, in der sie angestellt ist, geht sie zu Fuß. "Manchmal fehlt mir die Stadt ein bisschen", sagt sie, "andererseits finde ich es super, die Rhön direkt vor der Haustür zu haben". Seit fast zehn Jahren liegt ihr Lebensmittelpunkt im Landkreis-Rhön-Grabfeld. Die Geschichte, warum sie eine Physiotherapeutin der deutschen Para-Radsport-Nationalmannschaft ist, beginnt ein paar Jahre früher.

Damals arbeitete Lang im Zentrum für Rückenmarkverletzte der BG-Unfallklinik in Frankfurt am Main. Dort betreute sie einen jungen Mann, der in der Folgezeit reifte zu Deutschlands Bestem mit dem Handbike – neben Zweirad, Dreirad und Tandem ein Sportgerät im Para Radsport. Lang und er hielten über die Zeit losen Kontakt.
Auf seine Empfehlung hin war sie, die sich in der Zwischenzeit auf neurologischem Gebiet und im Sportbereich fortgebildet hatte, bei einem Trainingslager der Nationalmannschaft als Physiotherapeutin dabei. "Athleten, Trainer und die Team-Managerin fanden meine Arbeit gut, seither bin ich bei der Para-Radsport-Nationalmannschaft", erzählt Lang. "Ich habe das als Chance begriffen, mich beruflich weiterzuentwickeln."
In Paris betreuen Lang und ein Kollege neun Sportlerinnen und Sportler. Mit Trainern, Mechanikern und Offiziellen zählt das deutsche Radsportteam bei diesen Paralympics etwa 20 Personen. "Wir Physiotherapeuten behandeln nicht nur unsere Athleten", sagt Lang. "Wir sind auch für die Start-Ziel-Begleitung eingesetzt, stoppen Zeiten bei den Straßenrennen oder helfen in der Zentrale aus und behandeln dort Athleten aus anderen Sportarten." Ihr Fokus an den zwölf Tagen in Frankreichs Hauptstadt liegt aber eindeutig auf der eigenen Mannschaft, sagt Silke Lang: "Sie physiotherapeutisch und mental zu unterstützen, hat absoluten Vorrang."
Die Behandlung der Para Radsportler gleiche der von Patienten im beruflichen Alltag, betont Lang. "Ich muss natürlich über die Handicaps der Sportler Bescheid wissen. Sie stehen bei meiner Arbeit aber nicht im Vordergrund." Es gelte, sich um die am stärksten belasteten Strukturen zu kümmern. "Daneben geht es um athletische und regenerative Maßnahmen und die Frage, was ich für das Training der Athleten verbessern kann." Die Unterschiede in ihrer Arbeit ergäben sich sportartbezogen, sagt sie, und lägen nicht "zwischen Handicap und Nicht-Handicap".

Bei einem Zweiradfahrer, nennt Lang ein Beispiel, belaste die immergleiche Haltung auf dem Sportgerät die immergleichen Teile des Körpers. "So ähnlich wie bei Fußballern, die an Schussbein und Standbein ihre Auffälligkeiten und Belastungserscheinungen haben", sagt Lang, die eine von vier Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten ist, die den Regionalligisten TSV Aubstadt betreuen. Beim Para Radteam habe sie mit weniger traumatischen Verletzungen zu tun, als beim Fußball oder beim Handball: "Außer bei Stürzen. Dann kann es richtig schlecht werden."
Für die deutsche Para Radmannschaft sieht Lang gute Medaillenchancen: für Matthias Schindler aus Nürnberg, für Annika Zeyen-Giles, beide schon bei den vergangenen Paralympischen Spielen in Tokio mit Medaillen dekoriert, für Maike Hausberger und für Michael Teuber. "Er hat schon alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt", sagt Lang. Darunter fünf paralympische Goldmedaillen und viermal so viele bei Weltmeisterschaften. "Er hat sich die Teilnahme in Paris sehr hart erarbeitet. Im März ist er gestürzt und hatte gravierende Verletzungen. Im Mai saß er schon wieder auf dem Rad", sagt Lang und fasst zusammen: "Ja, wir haben schon einige Optionen."
Auch Maximilian Jäger aus Bad Brückenau zählt zu den von Lang betreuten Para Radsportlern in Paris. Nach dem Weltmeistertitel im vergangenen Jahr habe er gesundheitliche Probleme gehabt und in dieser Saison "noch nicht so performen können, wie er sich das gewünscht hatte. Jetzt ist er aber fit", sagt Silke Lang.
Lang würde sich für die Athletinnen und Athleten freuen, wären viele Zuschauende bei den Wettkämpfen und die Stimmung annähernd so gut wie bei den jüngst zu Ende gegangenen Olympischen Spielen. Schließlich gehe es genauso um Medaillen und die Sportler stünden unter einem vergleichbaren Druck. "Paralympischer Sport bedeutet: Es sind Sportler mit Handicap. Es geht nicht um das Handicap, sondern um die Leistung, die die Frauen und Männer vollbringen", sagt sie.
Den Blick über die kommenden zwölf Tage hinausgerichtet, hofft Silke Lang, bei den nächsten Paralympischen Spielen erneut als Physiotherapeutin im Einsatz sein zu dürfen. Dabei schaut sie nicht nur auf die Sommer-Paralympics 2028 in Los Angeles. "Ich würde mich freuen, auch mal für Winterspiele nominiert zu werden", ist sie doch ebenfalls im Physio-Team der Para Nationalmannschaft der Biathleten und Langläufer. Die kämpft 2026 in Mailand und Cortina d'Ampezzo um Medaillen und Aufmerksamkeit.