
In Zeiten, in denen Fußballschuhe in allen Farben des Regenbogens und ihren grellen Varianten angeboten, verkauft und getragen werden, fällt einer auf, der auf dem Sportplatz schwarze Schuhe an den Füßen hat. Benjamin Schöckel hat bei seinem ersten Fußballspiel seit fast genau acht Jahren schwarze Fußballschuhe getragen. Aus gutem Grund: „Ich habe die selben Schuhe wie damals angehabt.“
Damals, das ist der 7. April 2009. Das ist das Drittligaspiel zwischen dem VfR Aalen und Dynamo Dresden. Das ist der Pressschlag zwischen dem Aalener Schöckel und dem Dresdner Thomas Bröker. Das ist die Knieverletzung, die das Karriereende für den Profifußballer aus Leutershausen bedeutete. Und die den Beginn einer sieben Jahre langen Leidenszeit markiert, in der Benjamin Schöckel keinen Sport treiben konnte. Eine schier unendliche Zeit für einen, dessen Lebensinhalt der Sport im Allgemeinen und der Fußball im Speziellen für mehr als ein Jahrzehnt gewesen ist. Und die verständlich macht, warum zum Beispiel eine Geschichte wie die mit den Schuhen wichtig ist für Benjamin Schöckel.
Es ist ein herrlicher Frühlingsnachmittag, der Wind streicht leicht über den Sportplatz der DJK Leutershausen an der Querbachshofer Straße, oben auf der Anhöhe über dem Ort. Offiziell 80 Zuschauer sind gekommen. Viele, um einfach nur das Spiel zwischen dem SV Burgwallbach/Leutershausen und dem VfL Sportfreunde Bad Neustadt zu sehen, ein Lokalderby aus dem Tabellenmittelfeld der Kreisliga Rhön. Einige aber extra deshalb, um das Fußball-Comeback von Benjamin Schöckel mitzuerleben.
Schwarzes Trikot, schwarze Hosen, schwarze Stutzen, schwarze Schuhe. Benjamin Schöckel trägt das Trikot mit der Nummer 4. In der ersten Halbzeit setzt ihn Trainer Matthias Stumpf im Mittelfeld ein, in der zweiten hinten rechts in der Vierer-Abwehrkette. Genau auf der Position, auf der Benjamin Schöckel zum ersten Erstligaspieler aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld geworden ist. 45 Minuten lang verteidigte er für Energie Cottbus in der Bundesliga bei Alemannia Aachen. 2006 war das.
Benjamin Schöckel setzt in seinem Comeback-Spiel für den Verein, bei dem seine Karriere startete, keine großen Akzente in der Offensive. Er zeigt keine Kabinettstückchen. Er hält seine Position, er beweist große Ballsicherheit, er gewinnt seine Zweikämpfe, er löst potenziell gefährliche Situationen mit Körpertäuschungen, die Fußball wie einen ganz einfachen Sport aussehen lassen. Er spielt mannschaftsdienlich und effizient. So wie er es immer getan hat. „Man sieht bei jedem Ballkontakt, dass er mal Profi gewesen ist“, sagt Matthias Stumpf, „mit seiner Routine und Ruhe ist er eine echte Bereicherung für unsere Mannschaft.“
Ganz ähnlich drückt sich Thomas Gerhardt aus, der Spielertrainer der Gäste aus Bad Neustadt. „Auf dem Spielfeld merkt man natürlich seine Erfahrung“, sagt er über Schöckel. Beide sind 36 Jahre alt, Gerhardt ist einige Monate jünger als Schöckel. Mitte der 1990er Jahre spielten sie gemeinsam beim SV Sportfreunde Bad Neustadt, dem Verein aus der Gartenstadt, der inzwischen mit dem VfL zum VfL Sportfreunde Bad Neustadt fusioniert hat. In der C-Jugend Bezirksliga, der damals höchsten unterfränkischen Liga in dieser Altersklasse, nahmen sie es mit den großen Klubs aus Würzburg und Schweinfurt auf.
Über den FC Schweinfurt 05 kam Schöckel zum FC Bayern München, mit dem er deutscher B-Jugend-Meister wurde und in dessen Jugendabteilung er sich zum U 16-Nationalspieler entwickelte. Im Aktivenbereich spielte er für den FC Bayern München II (Regionalliga Süd), den VfR Aalen (Regionalliga Süd), Energie Cottbus (1./2. Bundesliga), den SV Wehen-Wiesbaden (Dritte Liga) und erneut den VfR Aalen (Dritte Liga).
Schöckels und Gerhardts gemeinsamer Trainer damals in der C-Jugend war Alfred Schöckel, Benjamins Vater. Er saß in Aalen auf der Tribüne, als sich sein Sohn am Knie verletzte. Er erlebte in den letzten acht Jahren ebenfalls hautnah mit, welche Einschränkungen der Knorpelschaden im linken Knie für ihn gebracht hat. Am Sonntag steht er im Kreis der Familie am Spielfeldrand, macht Fotos und zeigt sich besorgt um die Gesundheit seines Sohnes. Ein falscher Tritt, ein ungewolltes Foul und alle Fortschritte der letzten Zeit könnten dahin sein. „Als Vater macht man sich halt Sorgen“, sagt er. Erst die letzte von sechs Knieoperationen, bei der vor zwei Jahren eine Vernarbung an einer Kapsel des linken Knies wegoperiert wurde, gab Benjamin Schöckel die Möglichkeit zurück, sportlich aktiv sein zu können.
Benjamin Schöckel weiß um die Bedenken. Er hat sich aber entschieden, die Chance zu nutzen und seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Den Traum, wieder Fußball zu spielen im Trikot seines Heimklubs. „Ich kann mit Worten kaum beschreiben, wie ich mich fühle“, sagt er nach dem Spiel, das er mit dem SV Burgwallbach/Leutershausen 1:0 gewonnen hat. „1:0 gewonnen, fit geblieben, drei Punkte, sensationell“, sagt er und strahlt über beide Ohren. „Neben meiner Hochzeit 2010 ist das einer der besonderen Tage der letzten acht Jahre.“ Seine Frau Laura hatte Benjamin Schöckel in einem italienischen Restaurant in Cottbus kennengelernt, in dem er während einer Verletzungspause häufig aß. Heute leben die promovierte Naturwissenschaftlerin und der angehende Lehrer in Berlin. Und werden möglicherweise in den nächsten Wochen noch den ein oder anderen Wochenendausflug in Benjamin Schöckels alte Heimat unternehmen. Die schwarzen Fußballschuhe immer im Gepäck. „Vielleicht spiele ich noch einige Male mit“, sagt er. „Es liegt an ihm“, würde das Matthias Stumpf gefallen.