"Riders ready – go!" Mit einem metallenen Geräusch klappt die hydraulische Startrampe weg, und acht Fahrer oder Fahrerinnen treten mit maximaler Anstrengung in die Pedale ihrer BMX-Räder. Die schnellsten der Starter haben dabei ihr Vorderrad leicht in der Luft und fahren nur auf dem Hinterrad den steilen Starthang hinunter. Rund 100 Meter sind es bis zur ersten Kurve, einer engen 180°-Drehung der Strecke. Ein starker Start ist für BMX-Racer immens wichtig.
BMX – das ist die Abkürzung für Bicycle Motocross, wobei der Wortteil "cross" (Kreuz bzw. durchqueren) sinngemäß auf das X abgekürzt wurde. Diese Sportart entstand Ende der 1960er Jahre in den USA und dreht sich rund um ein spezielles Fahrrad mit kleinen 20-Zoll-Laufrädern. Ein Vorläufer dieses speziellen Zweirads war in den 1970er Jahren das europaweit bekannte Bonanzarad. Im BMX-Racing treten dabei acht Startende gegeneinander an und versuchen, als Erster oder Erste das Ziel zu erreichen. Ein guter Start hilft dabei, möglichst weit innen in die erste Kurve zu fahren und beim zuweilen engen "Racing" die Kampflinie zu erwischen.
Deutsche BMX-Meisterschaften in Esselbach
Noch können die Fahrer einen verpatzten Start verschmerzen und mit einem breiten Grinsen einfach weglächeln, denn es steht gerade nur das Training für die deutschen Meisterschaften in ein paar Tagen an. Pascal Blumhagen, der Abteilungsleiter des Radsportvereins Esselbach, ist auch an diesem Tag in einer Doppelfunktion unterwegs. Einerseits ist er Cheforganisator der Deutschen Meisterschaften in Esselbach, andererseits selbst sehr ambitionierter Fahrer, der sich den Titel in der XX-Klasse holen möchte. "Das ist schon ein Spagat, beides hinzubekommen. Seit vier, fünf Tagen schlafe ich hier im Wohnmobil direkt an der Strecke, um das bestmöglich machen zu können." Sagt es und verschwindet wieder Richtung Rennstrecke.
Diese Strecke ist am besten beschrieben mit den Attributen kurvig, hügelig und eng. Vom gepflasterten Starthang geht es auf einen welligen Untergrund aus Erde, Schotter und Brechsand. Dort müssen Fahrenden "pushen", wie das intensive Pumpen mit Armen und Beinen genannt wird, um durch Druck auf die Strecke möglichst viel Antrieb nach vorn zu generieren. Die erste Kurve wendet die Strecke um 180 Grad und ist unter anderem aus Traktionsgründen ebenfalls gepflastert. Die nächste Gerade wartet mit noch größeren Bodenwellen und die Athleten und Athletinnen springen über die kleinen Schanzen mehrere Meter weit. "Hier ist das Ziel, nicht unbedingt hoch zu springen, sondern weit nach vorne. Wenn du da einfach nur rüberfährst, ohne zu springen, hast du im Rennen keine Chance", so Blumhagen.
Anlage in Esselbach 2013 dem Erdboden gleichgemacht
Der 38-Jährige bekommt leuchtende Augen, wenn er über die Anlage in Esselbach spricht. "Wir hatten außer Weltmeisterschaften schon alles hier. Das Größte waren seit dem Bau im Jahr 1986 dann die Europameisterschaften im Jahr 2002 mit über 1800 Startenden." Seitdem hat sich in Esselbach jedoch einiges getan. Die Strecke wurde 2013 komplett dem Erdboden gleichgemacht und neugestaltet. Dabei wurde sie erheblich vergrößert. Die neue Strecke bietet nun den Rahmen für die deutschen Meisterschaften 2022, zu denen sich bisher rund 300 Startende angekündigt haben. Die meisten verbringen das ganze Wochenende an der Bahn, und nächtigen auf dem Campingplatz.
Einer dieser Starter ist der 21-jährige Aaron Beck aus Stuttgart. Er fällt auf beim Training, mit einem neongelben Helm auf, der wie beim Motocross am Kinn spitz zuläuft. Daneben stechen auch sein leuchtorangener Overall und die roten Hose ins Auge. Das schwarze BMX-Rad aus Karbon kommt da fast schlicht daher. Der Maschinenbau-Student hat sich viel vorgenommen für das Wochenende und peilt in der U-23-Klasse den deutschen Meistertitel an. Seine Chancen betrachtet er selbstbewusst als "schon ganz gut".
Um dies zu schaffen, muss er zunächst in drei Vorläufen möglichst gute Platzierungen sammeln, um sich dann für die Finalrunden zu qualifizieren. Je nach Anzahl der Starter wird dann im K.o.-System gefahren, und nur die Besten erreichen die nächste Finalrunde. Die Faszination BMX hat ihn vor rund neun Jahren gepackt und seitdem nicht mehr losgelassen. "Ich liebe es einfach, wenn man in diesen Flow kommt. Da fühlt sich der Körper komplett verbunden mit dem Rad und der Strecke", schwärmt der junge Starter. "Es fühlt sich ein wenig an wie Surfen, nur eben auf Bodenwellen statt auf dem Wasser!"
Dieser Flow, den will auch Pascal Blumhagen am Wochenende erreichen. Auch er peilt nach einem zweiten Platz 2019 nun den deutschen Meistertitel in seiner Klasse an. Der drahtige Familienvater ist mit kurzen Pausen schon seit rund 32 Jahren auf dem BMX-Rad unterwegs, und hat das Fahrradfahren auf der BMX-Strecke gelernt. Als "alter Hase" ist er sich sicher: "Jeder kann BMX-Fahren lernen! Natürlich ist es einfacher, je früher man beginnt, aber auch später geht das noch!" Was man braucht, um ein guter BMX-Fahrer zu werden? Da schmunzelt Blumhagen nur. "Man darf halt nicht zu steif auf dem Fahrrad sein, und muss einfach viel trainieren!" Denn eines, das lerne man sehr schnell: Der Sattel wird nicht benötigt. Die Sportler stehen in den Pedalen, der Sattel ist möglichst weit nach unten geklappt, denn der "stört eh nur". Höchstens für eine kurze Verschnaufpause wird er genutzt.
Freier Eintritt, aber Spende für krebskranken Fahrer
Haben die Fahrenden gerade eine solche Pause, steht neben dem sportlichen Ehrgeiz bei den deutschen Meisterschaften auch das Gemeinschaftsgefühl im Mittelpunkt. Und nach dem Ende der Rennen samt Siegerehrung am Samstag lassen die Gäste den Abend gemütlich auf dem Campingplatz ausklingen und feiern ihre Sportart. "Das ist alles sehr familiär bei uns, man sieht sich immer wieder auf den Rennen und kennt sich deswegen gut", so Blumhagen.
Er erzählt von einem weiteren Umstand, der diese starke Gemeinschaft unterstreicht, wenngleich es ein trauriger ist: "Wir verlangen als Ausrichter keinen Eintritt für die deutschen Meisterschaften, sondern bitten um eine Spende. Diese wird dem BMX-Fahrer David Rosenbaum, der an Krebs erkrankt ist, zugutekommen." Der 20-Jährige war früher selbst aktiver Fahrer und kämpft nun gegen die schwere Krankheit. Blumhagen versteigert zu diesem Zweck auch ein BMX-Rad, mit dem vor ein paar Jahren sogar der deutsche Meistertitel in der Elite-Klasse errungen wurde. Ein großes Banner mit #staystrong sorgt dafür, dass Rosenbaum in den Köpfen und Herzen der Menschen auch Teil dieses Wochenendes sein wird.
In einer ursprünglichen Version des Artikels wurde Pascal Blumhagen, BMX-Abteilungsleiter des RSV Esselbach, als Pascal Blumenhagen bezeichnet. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.