Ob Sebastian Dürnagel schon die litauische Nationalhymne kennt? Die Melodie wird dem gebürtigen Rothenfelser bald bestens vertraut sein. An diesem Freitag hört der 41-Jährige das Stück zum ersten Mal in offizieller Funktion. Beim WM-Qualifikationsspiel der litauischen Fußball-Frauen in Italien. In dieser Woche hat Dürnagel nämlich seinen neuen Nebenjob als Torwart-Trainer im Nationalteam des baltischen Landes angetreten.
Anreise über Mailand nach Parma
Es klingt zunächst ungewöhnlich. Dürnagel, einst selbst als Torhüter in der zweiten Mannschaft des 1. FC Nürnberg aktiv und derzeit im Leistungszentrum der Würzburger Kickers an der Ausbildung des Torwart-Nachwuchses beteiligt, reiste am Mittwoch über Mailand nach Parma, wo er seiner neuen Mannschaft vorgestellt wurde. "Ich habe vor etwa 14 Tagen die Anfrage bekommen. Ich habe dann abgewogen. Aber diese Stelle lässt sich gut mit der Aufgabe bei den Kickers verbinden. Die hat nach wie vor Priorität", sagt Dürnagel, der aus Rothenfels (Lkr. Main-Spessart) stammt und hauptberuflich als Gebietsverkaufsleiter im Außendienst einer Medizin-Firma tätig ist.
Erst vor kurzem hatte er seine Depression-Erkrankung aus dem vergangenen Jahr öffentlich gemacht. Doch für Stress soll die Aufgabe bei Litauens Frauen nicht sorgen. "Darauf muss ich natürlich achten. Ich habe die Sache mit meiner Familie gründlich überlegt."
Vier- bis fünfmal im Jahr soll er in Zukunft einige Tage mit der Nationalmannschaft unterwegs sein – zusammen mit seinem ehemaligen Mitspieler beim Club, Daniel Wimmer. Der einstige Leiter des Leistungszentrums beim 1. FC Nürnberg hat jüngst beim litauischen Verband die Stelle als stellvertretender technischer Sportdirektor übernommen, ist gleichzeitig Trainer des Frauen-Teams geworden und rief sogleich bei Dürnagel an, um ihn zu verpflichten: "Wir haben immer Kontakt gehalten. Er hat mich früher ein paar Mal nach Nürnberg holen wollen. Da habe ich immer abgelehnt. Aber dieses Angebot hat für mich gepasst."
Auf Platz 101 der Weltrangliste
Derzeit sind die Baltinnen in der Weltrangliste auf Rang 101 geführt. Dauerhaft zu den besten 70 Teams der Welt zu gehören, sei das Ziel, berichtet Dürnagel: "Die Mannschaft ist sehr jung. Es soll etwas aufgebaut werden. Dafür hat sich der Verband deutsche Expertise geholt." Und Wimmer setzt auf die Erfahrung seines alten Bekannten Dürnagel, der hat in der vergangenen Saison bei den Kickers schließlich auch schon Erfahrung im Frauenbereich gesammelt.
Die Arbeit mit den männlichen Nachwuchskeepern im Leistungszentrum unterscheide sich schon deutlich von der bei einem Frauen-Team. "Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge", sagt Dürnagel. Die Ausbildung im Frauen-Bereich sei in den letzten Jahren deutlich besser geworden. "Gerade hohe Bälle sind bei den Übungen ein Schwerpunkt. Da haben viele Torhüterinnen Probleme." Bei den Kickers arbeitete er in der vergangenen Saison mit Hannah Johann, die im vergangenen Sommer in den Bundesliga-Kader von Eintracht Frankfurt wechselte.
Im Frauenbereich finde gerade eine interessante Entwicklung statt, findet Dürnagel. Und daran in einer kleinen Nation wie Litauen beteiligt zu sein, sei ein großer Anreiz. Sportlich freilich gilt es zunächst kleine Brötchen zu backen. In der WM-Qualifikationsgruppe G ist Litauen ein krasser Außenseiter und steht nach fünf Spielen mit einem Punkt auf dem fünften und vorletzten Platz. Doch schon am Dienstag geht es gegen den Tabellenletzten Moldawien, da könnte Dürnagel womöglich schon den ersten Sieg als Torwart-Nationaltrainer feiern.