
Christian Wetz, der Obmann der Schiedsrichtergruppe Haßberge, ist stolz. Stolz auf "seinen" Senior. Alfred Mennel ist mittlerweile 84 Jahre alt und im Landkreis Haßberge wohl nahezu jedem Fußballer, der seit 1962 gegen den Ball getreten hat, bekannt. Eine solch lange Karriere als Schiedsrichter hat Christian Keßler erst noch vor sich. Auf den 15-Jährigen setzt Wetz aber große Hoffnungen. Immerhin steht der Jugendliche vor seinen ersten Einsätzen in der Bezirksliga.
Rund 1700 Fußballspiele – die genaue Zahl ist nicht bekannt – hat Alfred Mennel seit seinem Debüt vor gut 58 Jahren geleitet. Am Sonntag ist sein letzter Einsatz geplant. Mit der B-Klassenpartie des SC Trossenfurt II gegen den VfR Hermannsberg II endet die Schiedsrichter-Laufbahn für Alfred Mennel, gegen 14.45 Uhr wird der letzte Pfiff aus Mennels Pfeife diese Partie und die Laufbahn eines der dienstältesten Schiedsrichter Bayerns beenden. "Wer mit 84 noch auf dem Platz steht, verdient meinen größten Respekt", honoriert Christian Wetz Mennels fast sechs Jahrzehnte währenden Dienst an der Pfeife. Der Obmann selbst wird den "Senior" am Sonntag gebührend verabschieden.
Immer mit Freude an der Pfeife
1961 hatte sich Mennel dazu entschlossen, Schiedsrichter zu werden. Die Reserve seines Heimatvereins SC Stettfeld, für die er selbst noch mit 64 Jahren als Spieler auflief, musste stets ohne neutralen Schiri antreten. "Und das fand ich inakzeptabel. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, selbst Schiedsrichter zu werden." Noch im gleichen Jahr besuchte Mennel einen Neulingslehrgang beim damaligen Obmann Peter Dütsch, seinen Schiedsrichter-Ausweis bekam er dann im Januar 1962. Und legte die Pfeife fortan kaum mehr aus der Hand. "Und es hat immer Spaß gemacht", blickt der Stettfelder zurück.

Die damalige A-Klasse (heute Kreisliga) war die sportliche Heimat für Alfred Mennel – und das sehr oft in der Rhön. Es dürfte kaum einen Fußballplatz im östlichen Unter- sowie im westlichen Oberfranken geben, den der heute 84-Jährige nicht kennt. Wochenende für Wochenende machte sich Mennel auf den Weg zu den Kickern, zum Teil zu drei Partien an zwei Tagen. Und hat in den vergangen knapp 60 Jahren natürlich auch etliche Regeländerungen mitgemacht. Die wichtigste für ihn: Die Einführung der gelben Karte. Die wurde bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko das erste Mal gezückt, "erfunden" vom 2012 verstorbenen deutschen Schiedsrichter Rudolf Kreitlein. "Das war eine richtig gute Sache", erinnert sich Mennel. "Jetzt konnte ich einen Spieler nach ein paar kleineren Vergehen deutlich zeigen, dass es genug ist." Zuvor gab es nur die Entscheidung, die Spieler zu ermahnen oder vom Feld zu schicken. Der "Zwischenschritt gelbe Karte hat da vieles vereinfacht."
Komplizierter ist hingegen für einen 84-Jährigen das Ausfüllen des ESB (elektronischer Spielberichtsbogen). Da greift der rüstige Rentner auf die Fachleute der jeweiligen Heimmannschaft oder aber nach der Rückkehr nach Stettfeld auf seine Schwiegertochter zurück. "Meine Bögen sind auf jeden Fall immer rechtzeitig fertig", betont Mennel. Seine wenigen Einsätze als Assistent hat er hingegen schnell wieder aufgegeben. "Wenn mein Schiri da einen Fehler gemacht hat, sind die Leute auf uns an der Linie los", schmunzelt der Rentner. "Da pfeif' ich mein Zeug lieber selbst." Und lässt sich dabei nicht auf Diskussionen mit unzufriedenen Spielern oder Zuschauern ein. "Wenn die mich dann dumm anbabbeln, sollen sie es tun. Das ist mir wurscht. Wenn man so lange gepfiffen hat . . ."
Würdiger Abschied in Trossenfurt
Am Sonntag soll nun endlich Schluss sein, die Pfeife kommt in den Schrank. "Ich gehöre mit meinen 84 Jahren zur Risikogruppe", sagt Alfred Mennel. Er und besonders seine Ehefrau Hannelore haben Angst, sich das Corona-Virus einzufangen. Deshalb hat er sich dazu entschlossen, seine Laufbahn zu beenden, auch "wenn ich noch fit genug bin und eigentlich gerne weiter gemacht hätte. Die 60 hätte ich gerne noch voll gemacht". Der frühere Zigaretten-Vertreter hatte sein Karriere-Ende eigentlich erst für 2022 geplant. Nun wird also die B-Klassen-Partie zwischen den Reserven aus Trossenfurt und Hermannsberg die letzte sein - sofern sie an Sonntag denn durchgeführt wird. "Wird das Spiel abgesagt, werden wir uns etwas anderes einfallen lassen", verspricht Obmann Christian Wetz seinem "Senior", der vor zwei Jahren im Rahmen der "Danke-Schiri"-Aktion in der Kategorie Ü50 zum Bezirkssieger gekürt wurde "und über den ich nie Beschwerden seitens der Vereine gehört habe" auf jeden Fall einen würdigen Abschied. "Es ist eigentlich unglaublich, dass da jemand mit 84 noch auf dem Platz steht", zollt Wetz dem Ehrenmitglied der Schiedsrichtergruppe Respekt.
Das Talent aus dem Haßgau
Bis 2076 müsste Christian Keßler pfeifen, um eine so lange Karriere hinzulegen wie Alfred Mennel. Der erst 15-Jährige gilt als großes Talent unter den Schiedsrichtern, pfeift aktuell bis zur Kreisliga, steht zudem in der Landesliga als Assistent an der Seitenlinie. Die Prüfung zum Bezirksliga-Anwärter hat er bereits bestanden, für Wetz steht einem Aufstieg des Nachwuchs-Schiris in die Bezirksliga nichts entgegen. Erst 2018 leitete der Gymnasiast seine erste Partie bei der U9 des SV Hofheim und fand Spaß daran. Kurz darauf besuchte der Jugendliche den Neulingslehrgang und schaffte binnen zwei Jahren den Aufstieg bis in die Kreisliga.

Die erste Partie als ausgebildeter Schiedsrichter vor zwei Jahren war ein U-15-Spiel zwischen dem TV Haßfurt und der SG Nassach. "Das war recht ruhig", erinnert sich Keßler an keine besonderen Vorkommnisse. Das bisherige "Highlight" war aber eine Landesliga-Partie in Weiden – als Assistent. Ein Freitagabend in der Oberpfalz – für einen 15-Jährigen doch ein durchaus außergewöhnlicher Start ins Wochenende.
"Ich hab noch keinen gehabt, der mit 15 schon soweit war wie Christian", freut sich Wetz über das Talent des jungen Schiedsrichters aus Manau, der ihm bereits beim Neulingslehrgang aufgefallen war. "Das ist eigentlich der absolute Wahnsinn. Natürlich gibt es, wenn er zu den Spielen anreist, auch verwunderte Blicke. Aber spätestens zehn Minuten nach Spielbeginn wissen alle, das war wohl eine richtige Einteilung. Weil er es einfach drauf hat", weiß Wetz, dass der "Junior" sich schnell den nötigen Respekt erarbeitet hat.
Der Anpfiff und seine Bedeutung
Den verdient sich Keßler gleich mit dem Anpfiff. "Das hat schon seine Wirkung – je nachdem, ob man da richtig oder eher zaghaft reintrötet", weiß Wetz. "Christian ist ein riesen Talent. Diese Chance muss er nutzen, um als Schiedsrichter so weit wie möglich zu kommen. Der ersten Schritt hat er mit der bestandenen Prüfung für die Bezirksliga geschafft." In der nächsten Saison folgen dann vier Kreisliga-Spiele unter spezieller Beobachtung, dann geht es in die Bezirksliga. "Das wäre – dann mit 16 – der erste große Wurf für ihn. Das gibt es ganz selten", meint Wetz und sieht bei dem jungen Schiedsrichter "nach oben keine Grenzen".

Ein 15-Jähriger, der am Wochenende in ganz Nordbayern unterwegs ist – da braucht es natürlich Unterstützung. Und die bekommt Christian Keßler nicht nur von der Schiedsrichtergruppe, sondern auch von seinen Eltern, die ihren Sprössling nahezu jedes Wochenende zu den Spielorten fahren. Zumindest solange, bis der doch nicht geringe Aufwand die schulischen Anforderungen stört. "Aber, das ist kein Problem, da passt alles", betont Keßler, dass ihm für das Lernen genügend Zeit bleibt. Und was kommt nach dem Abitur? "Das weiß ich noch nicht", hat sich der 15-Jährige bislang kaum Gedanken über die persönliche Zukunft gemacht. Wetz jedenfalls hofft, dass Christian Keßler der Haßberg-Gruppe noch lange erhalten bleibt. "Ich werde ihn so schnell nicht gehen lassen", schmunzelt der Haßberg-Obmann.
Tipps für den "Junior"
Bevor Alfred Mennel seine Pfeife am Sonntag endgültig in der Schublade verschwinden lässt, hat er noch einen Tipp für "Neuling" Christian Keßler: "Lass' die Leute von draußen schreien wie sie wollen. Wenn die Spieler schreien, dann musst du natürlich eingreifen. Das kann man ein- oder zweimal zulassen, aber dann musst Du reinfunken."