Es war d e r Moment dieses aufregenden Abends. Der Moment, als sich viele der 50 000 Menschen im Max-Morlock-Stadion mit beiden Händen fassungslos an den Kopf griffen. Der Moment, als Tim Leibolds Elfmeterball in der ersten Minute der Nachspielzeit nicht ins Tor ging, sondern vom Innenpfosten quer zur Torlinie zurück ins Feld prallte. Es wäre die 2:1-Führung für den 1. FC Nürnberg gewesen und vermutlich der nicht einmal unverdiente Sieg gegen den haushohen Favoriten Bayern München. „Wenn der Elfmeter reingeht, ist es vorbei“, sagte Nico Kovac, der Münchner Trainer.
Um erfolgreich zu sein, fehlte Leibold einer, zwei oder vielleicht auch „fünf Zentimeter“, wie sein Trainer Boris Schommers schätzte. Keiner machte dem Linksverteidiger einen Vorwurf, denn der Ball war eigentlich „gut geschossen“ (Schommers). Aber womöglich war es dieser Hauch an mangelnder Präzision, der Nürnberg im Kampf gegen den Abstieg aus der Fußball-Bundesliga am Ende zum Verhängnis werden wird.
Die Mannschaft zeigte das beste, reifste Spiel der Saison und war doch der Verlierer des Wochenendes. Der Rückstand auf den VfB Stuttgart und den Relegationsplatz ist drei Spieltage vor Saisonende auf fünf Punkte angewachsen. Das war's, müsste man nüchtern sagen – wenn der Club nicht gerade nur um Zentimeter an einem sportlichen Wunder gegen eine der besten Mannschaften Europas vorbeigeschrammt wäre.
Aufgeben wollen die Nürnberger weiter nicht, sie betreiben eine Art positiver Realitätsverweigerung. Die drei letzten Gegner Wolfsburg, Gladbach und Freiburg seien „sicher nicht stärker als die Bayern. Wir glauben weiter dran“, gab Innenverteidiger Lukas Mühl wieder, was Schommers im Kreis nach dem Abpfiff ausgegeben hatte. Rechtsverteidiger Robert Bauer äußerte sich ähnlich: „Wenn wir weiter so spielen, bin ich mir sicher, dass es noch mal ganz, ganz eng wird. Unser Ziel ist, es bis zum letzten Spiel in Freiburg offen zu halten.“
Flachpässe im Aufbau, Löwen als Störenfried
Lange war der FCN schlicht zu schlecht für die Bundesliga, mittlerweile ist er es nicht mehr, was an der beharrlichen Arbeit und der Überzeugungskraft des im Februar vom Assistenten von Cheftrainer beförderten Schommers liegt. Gegen die Bayern brachte er seine Spieler dazu, mutig mit Flachpässen aus der eigenen Abwehr aufzubauen, da es wenig Sinn mache, lange Bälle auf Mats Hummels oder Niklas Süle zu schlagen. Auch sein Ansatz, über den zur zweiten Spitze umfunktionierten Eduard Löwen die Münchner Abwehrspieler am ungehinderten Aufbau zu hindern, erwies sich als zielführend.
Während Schommers darüber sprach, war auf den Fernsehern im Pressesaal zu sehen, wie sein entlassener Vorgänger Michael Köllner beim Sender Sky auch über die Mannschaft referierte, die er vor elf Wochen noch betreut hatte. Früher haben Ex-Trainer bei öffentlichen Auftritten eine Schamfrist bis zur nächsten Saison eingehalten. Aber solche Gedanken sind Köllner, der bei der Suche nach einem neuem Job eine begleitende Medienoffensive gestartet hat, offenbar fremd.
Schommers hat viel bewirkt, aber die Elfmeterschwäche hat er den Nürnberger Profis nicht austreiben können. Vier von sechs Strafstößen, die der Club in dieser Saison zugesprochen bekam, wurden nicht verwandelt: Mikael Ishak scheiterte im Auftaktspiel bei Hertha BSC (0:1), Kapitän Hanno Behrens in der Rückrunde gegen RB Leipzig (0:1) und gegen Schalke 04 (1:1). Und nun fatalerweise auch Leibold, nachdem Behrens erst mal Pause hat. „Wir haben einen Pool von mehreren Schützen. Wer sich in dem Moment gut fühlt, schießt“, erläuterte der Trainer etwas genervt. Und regelmäßig geübt würden Strafstöße auch, „mehr können wir nicht machen.“ Im Training habe Leibold sehr sicher verwandelte, berichtete sein Kollege Mühl. „Aber wenn Du vor 50 000 stehst, ist es anders.“
„Schade, aber geiles Spiel, oder?“
Der Innenverteidiger hatte im Verbund mit Ewerton keine Chance von Bayerns Torjäger Robert Lewandowski zugelassen. Vielleicht deshalb, und sicher wegen des Gesamterlebnisses, war Mühl keineswegs schlecht gelaunt. Mit den treffenden Worten „Schade, aber geiles Spiel, oder?“ ging der 22-Jährige zum Duschen.
Was die personellen Planungen für die nächste Saison angeht, wird der Club Konkretes sicher erst verlauten lassen, wenn feststeht, in welcher Liga er spielen wird. Leibold, so berichtete Sky, sei bei seinem Heimatverein VfB Stuttgart im Gespräch, falls der anstelle des Club nicht absteige. Bewerbungsschreiben für einen Verbleib in der Bundesliga gaben gegen die Bayern Löwen und Torwart Christian Mathenia ab, der in der letzten Aktion des Spiels das unvermeidlich erscheinende 1:2 gegen Kingsley Coman verhinderte. 1:0-Schütze Mateus Pereira und sein Vater sollen, so heißt es, überzeugt werden, einer Ausleihe für ein weiteres Jahr zuzustimmen, was die Grundlage für Gespräche mit Sporting Lissabon wäre.
Und Interimstrainer Schommers sei, so berichtete es der „Kicker“, trotz guter Arbeit nicht die erste Wahl auf der Bank. Der neue Sportvorstand Robert Palikuca soll den Österreicher Damir Canadi, der derzeit in Griechenland arbeitet, favorisieren. Schommers würde dann, so hieß es, wieder ins zweite Glied zurücktreten. Mal sehen, ob es wirklich so kommt.