Es ist laut. In das Stimmengewirr mischen sich die fast schon schmerzenden Geräusche von quietschenden Reifen. Rollstühle rasen nach vorn, werden abgebremst, drehen sich dann um 360 Grad. Rollstuhl-Hockeyspielerin Sandra Steiner und ihre Teamkollegen fahren sich warm.
Es ist Samstagvormittag, 10.30 Uhr in der Sporthalle im Zentrum für Körperbehinderte am Würzburger Heuchelhof. Draußen ist es kalt, drinnen umso wärmer. In der Sporthalle riecht es nach Schweiß und dem herben Duft des Linoleumbodens. Die Ballbusters treffen die letzten Vorbereitungen für ihr Training. Rollstühle werden startklar gemacht, das jüngste Training besprochen und die Utensilien aufgebaut.
Die Spieler sind schon lange vor Trainingsbeginn eingetroffen. Kurz vorher auftauchen geht nicht, es braucht Zeit, bis alle fertig sind. Die Ballbusters, welche zum Verein der Rollstuhlfahrer und ihrer Freunde e.V (VdR) gehören, sind das einzige Powerchair Hockey-Team in Unterfranken. Das Besondere: Die Aktiven sind körperbehinderte Menschen, die in ihrem Alltag meist auf einen Elektrorollstuhl angewiesen sind. Wie Sandra Steiner. Die 30-Jährige hat eine Dysmelie, also eine angeborene Fehlbildung von Gliedmaßen. Sie wurde ohne Beine und nur mit einem Arm geboren.
Da der Markt zu klein ist, müssen sich die Spieler aus anderen Sportarten bedienen
Mittlerweile sind alle Spieler bereit. "Wir starten mit einer einfachen Übung zum Aufwärmen", ruft Julian Wendel seinen Mitspielern zu. Der 34-Jährige ist der Trainer der Mannschaft. Er leidet an einer schweren Form der Spinalen Muskelatrophie und ist seit seiner Kindheit auf den Rollstuhl angewiesen. Immer mit dabei: ein Assistent. Er unterstützt ihn bei allen möglichen Dingen des Alltags. Heute besteht seine Aufgabe darin, Wendel bei seiner Tätigkeit als Trainer zu assistieren. Und im Moment muss er für ihn die sogenannten Passer aufstellen. Geräte, die beidseitig benutzt werden können, um Vorhand- und Rückhandpässe zu trainieren. Eigentlich kommen sie aus dem Floorball, aber "der Powerchair Hockey-Markt ist zu klein, also müssen wir uns aus anderen Sportarten bedienen", erzählt Wendel.
Sandra Steiner ist die einzige weibliche Unterstützung bei den Ballbusters, seit 2010 ist sie schon dabei. Mit dem Rollstuhlsport hat sie aber schon viel früher begonnen. "Mit drei Jahren. Damals haben wir aber nur spielerische Sachen gemacht", erzählt sie. Als sie älter wurde, hat sie mit dem Rollstuhlbasketball begonnen. "Das spiel' ich auch bis heute noch, allerdings nur hobbymäßig." Das Hockeyspielen nimmt sie dafür umso ernster.
Steiner schießt, der Ball kommt zurück. Immer und immer wieder katapultiert sie den Ball Richtung Gerät - mal mit mehr Kraft, mal mit weniger. "Da kriegste voll den Krampf, wenn du das länger machst", sagt sie und lacht. Die Spielerin mit der Rückennummer 13 hat reichlich Erfahrung. Mit ihrem Können hat sie sich sogar schon bis in den Kader der deutschen Nationalmannschaft gespielt und durfte bei der Europameisterschaft 2016 in Holland auf dem Feld stehen. "Da war ich total euphorisch und begeistert, dass ich tatsächlich spielen durfte", erinnert sie sich. Normalerweise werden neue Spieler weniger eingesetzt. "Aber ich hab mein erstes internationales Tor gemacht und bin verdammt stolz darauf."
Immer mit dabei: Sandras Ehemann Philipp. Er begleitet sie zu jedem Spiel, auch bei vielen Trainingseinheiten ist er dabei. "Er unterstützt mich in jeder Hinsicht." Er nimmt sich sogar Urlaub, um bei den Auswärtsspielen dabei sein zu können.
Zehn Spieler gehören zu den Ballbusters. Alle drei Wochen trainieren sie in der Halle am Heuchelhof. Frauen und Männer spielen beim E-Hockey in gemischten Teams. Alterskategorien gibt es keine, die Spieler sind zwischen 14 und 39 Jahren alt. Fünf Spieler bilden ein Team – vier Feldspieler und ein Torwart. Doch nicht alle Spieler sind gleich ausgerüstet: Je nach Grad der Behinderung halten sie einen Hockeyschläger in der Hand, oder sie spielen mit einem am Rollstuhl befestigten Festschläger.
Je fitter der Spieler, desto höher die Klassifizierungspunktzahl
Eine der wichtigsten Regeln beim Powerchair Hockey lautet: es müssen sich immer mindestens zwei Spieler mit einem Festschläger auf dem Feld befinden. "Jeder Spieler hat eine Klassifizierungspunktzahl", erzählt Steiner, "je nachdem welche Behinderung er hat und wie fit er ist." Die am wenigsten beeinträchtigten Spieler haben fünf Punkte, die schwächsten einen Punkt. Um Chancengleichheit zu gewähren, tritt jede Mannschaft mit zwölf Punkten in den Wettkampf. Die körperlich Stärkeren führen den Ball.
Steiner bewegt den Rollstuhl mit Hilfe eines Lenkknüppels mit ihrem rechten Oberarm, in der linken Hand hält eine Schiene den Schläger. "Ich könnte ihn schon selber halten, aber mir fehlt die Kraft, zusätzlich noch zu schlagen", erzählt sie. Dynamisch lenkt sie ihren Rollstuhl durch die Halle, vorbei an ihren Mitspielern. Die Reifen quietschen in den engen Kurven. Dann ein lauter Knall – die Sportlerin ist mit ihrem Mitspieler Vadim Lobanow zusammen geprallt. Es sieht schmerzhaft aus, ihre Körper schießen zurück in die Lehnen der Rollstühle. "Das gehört dazu, das macht gar nichts", sagt Julian Wendel vom Spielfeldrand aus. Dafür habe jeder Sportrollstuhl einen Rammschutz. "Sieht bisschen aus wie beim Autoscooter." Passieren könne da nicht viel. Wie selbstverständlich geht das Match ohne Unterbrechung weiter.
Julian Wendel, der außerdem noch Teammanager bei der Powerchair Hockey-Nationalmannschaft ist, beobachtet seine Spieler ganz genau. Gibt Feedback, ist dabei ehrlich und sachlich. "Jeder Angriff, den ihr unterbindet, ist ein Gewinn", lobt er die Verteidiger. In der nächsten Runde passen Sandra und Robert den Ball einander zu. Übungsziel: Angriff und Verteidigung verstärken. "Ich bin Stürmerin und Torjägerin im Angriff und in der Verteidigung bin ich die letzte Frau am Tor", sagt Sandra und lacht. Die Rollstühle bewegen sich immer schneller über den rutschigen Turnhallenboden. Die Konzentration ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Kurz vor dem Tor beginnt der Kampf um den Ball. Roberts Lebensmotto: Wer bremst, verliert.
Steiner sieht das ähnlich: "Beim Sport kann ich mich so richtig auspowern." Sie nutzt die Zeit, um den Alltag zu vergessen, den Kopf frei zu machen und einfach mal abzuschalten. "Danach geht es mir wieder richtig gut." Steiners Alltag besteht aus einem Job, wie ihn viele Nicht-Behinderte auch haben. Sie arbeitet als Verwaltungsfachangestellte in einer Behörde. Diesen Stress möchte sie auf dem Feld loswerden.
Im Job ist sie eine Einzelkämpferin, auf dem Feld ein Teamplayer. Einzelsport wäre nichts für sie. Beim Hockey zählt das Team. "Ich brauch' meine Jungs, die mir den Weg frei blocken. Alleine kommst du da nicht weiter."
Die Rollstühle sind teurer als manch Kleinwagen
Bis zu 15 Kilometer pro Stunde schnell fahren die speziellen Sportrollstühle. Sie sind eine satte Investition. An die 12 000 Euro kostet ein Exemplar. Jeder Spieler ist für seinen eigenen Rollstuhl verantwortlich und muss dafür tief in die Tasche greifen. "Den privaten Rollstuhl bezahlt die Krankenkasse, für den Sportrollstuhl muss jeder Spieler selbst aufkommen", erzählt Julian Wendel. Oder man suche sich Sponsoren. Der Rollstuhl mit den blinkenden Reifen gehört der Mannschaft. "Den haben wir gebraucht letzten Sommer gekauft." Er wurde aus Spenden, aus Kuchenverkauf und Tombola bei einem Heim-Spieltag finanziert. 3500 Euro mussten sie dafür bezahlen. Neu würde das Modell mindestens 10 000 Euro kosten.
Der 16-jährige David Reschke darf den Mannschafts-Rolli mit dem Festschläger fahren. "Er hat so viel Spaß am Sport und ist darüber hinaus für unsere Mannschaft ein so wichtiger Spieler, dass wir ihm diesen Rollstuhl zur Verfügung stellen wollten", so der Trainer. Und er fährt ihn mit Stolz.
Auch Sandra ist stolz. Nicht nur auf sich, sondern auch auf ihre männlichen Mannschaftskollegen - "ihre Jungs", wie sie sagt. "Die bemühen sich schon immer sehr um mich." Als einzige Frau werde man dort richtig gut behandelt. Aber freuen würde sie sich trotzdem, wenn auch mal ein paar Frauen dazu kommen würden. Woran das liegt, dass sonst nur Männer in der Mannschaft sind? "Keine Ahnung", sagt Julian Wendel. Er könne es sich nicht erklären.
Genug geschwitzt, Sport macht durstig. Wendel trommelt die Spieler zusammen. Sie haben sich eine Pause redlich verdient. Es wird Wasser getrunken, Rollstühle geladen und über organisatorische Dinge geredet.
Jedes Jahr aufs Neue kämpft das Team gegen insgesamt 16 Mannschaften aus der ganzen Republik um den Titel des Deutschen Meisters. Und das mit Erfolg: Aktuell stehen die Ballbusters auf Platz 3 der zweiten Bundesliga. "Wir sind natürlich ehrgeizig und erfolgsorientiert, deshalb ist unser langfristiges Ziel schon die 1. Bundesliga", erzählt Wendel. "Aber momentan haben wir noch zu tun, in der 2. Bundesliga zu bleiben."
Genug verschnauft. Es geht in die letzten Züge des Trainings: das Spiel. Es wird ernst. Zwei mal zehn Minuten mit zwei Minuten Pause zwischendurch. Die Spieler bilden zwei Teams. Caner, Stefan, Vadim und David bilden Team gelb. Robert, Sandra, Christoph und Sandras Ehemann Philipp, der ab und an mittrainiert, bilden Team orange. Es wird spannend, es wird geschrien, gerammt und um den Ball gekämpft. Caner, der Torwart von Team gelb, verfolgt mit hellwachen Augen die Bewegungen seiner Gegner. Diese drehen sich mit ihren Rollstühlen, täuschen an und schießen den Ball in die Richtung des 2,50 Meter breiten und 20 Zentimeter hohen Tors. Jetzt gibt Caners Finger dem Schaltknüppel den entscheidenden Impuls. Ruckartig bewegt sich sein Rolli nach vorne und versperrt dem Ball den Weg ins Tor. Vadim kämpft nun mit Robert, schießt den Ball ins Abseits - Hauptsache weg vom Gegner!
Es steht 3 zu 2 für Team orange. Endstand. "Ihr habt zwar jetzt verloren, aber es ist okay", muntert Wendel das Verliererteam auf. "Von dir David war ich echt begeistert, du warst sehr präsent." Jeder Spieler bekommt Lob und konstruktive Kritik. Das Team orange freut sich, mit ihren Hockeyschlägern klatschen sich die Spieler ab.
Nach zweieinhalb Stunden ist das Training zu Ende. "Gut gemacht, Jungs", ruft Sandra ihren Mitspielern zu. Sie ist stolz auf ihr Team. Sie und ihre Mannschaftskollegen sind erschöpft. Verbissene Gesichter sind jedoch keine zu sehen, im Gegenteil: Alle strahlen, freuen sich über die gelungenen Spielmanöver. Sie sind froh über jede Bewegung, die sie ihre Behinderung für einen Moment vergessen lässt.
Weiter so.