
Ralf Bund streicht der Kuh über die feuchten Nüstern und erinnert sich: "Ich hatte zuerst Bauchweh." Vor fünf Jahren hat die Kooperation zwischen Lidl und der Erzeugergemeinschaft Bioland begonnen. Es war die erste Kooperation zwischen einem hochpreisigen Öko-Label mit einem Discounter. Und auf dem Milchviehhof von Biobauer Bund in Wertheim im Main-Tauber-Kreis wurde sie im Frühjahr 2019 mit großem Medienecho öffentlich vorgestellt.
Premium-Bio beim Discounter? Die Kooperation war unter Ökolandwirten, Naturkosthändlern und Biokäufern umstritten. "Als wir das erste Mal von der Idee hörten, war Lidl ein Feindbild", sagte Bund damals. Wie viele seiner Berufskollegen fürchtete er, dass die Bioland-Bauern durch die Kooperation mit dem Lebensmittelriesen unter Preisdruck geraten könnten.
Worin sich deutsche Biolabel von EU-Bio unterscheiden
Zuvor hatte Ökoware in Discountern lediglich die Bio-Mindeststandards erfüllt, auf die sich die EU-Länder als kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt hatten.
Im Vergleich zum EU-Biosiegel gelten für die rund 9000 Bioland-Bauern aus Deutschland und Südtirol strengere Regeln: Sie weisen jedes Jahr nach, was sie zum Erhalt der Artenvielfalt tun. Sie dürfen weniger Tiere je Hektar halten. Der Einsatz von Medikamenten ist strikter reguliert. Ihre Kühe müssen im Sommer auf die Weide gehen können. Und jedes Jahr gibt es Tierwohlkontrollen.
"Die Tiere leben länger, sind gesünder und die Milch ist besser", sagt Bauer Bund. "Das kostet mehr und macht Bioland-Produkte teurer." Ähnliches gelte für andere Bio-Siegel in Deutschland, etwa Naturland.
Frische Luft weht durch den halboffenen Stall der Bunds, am Boden liegt frisches Gras. In der angenehmen Kühle hört man gleichmäßige Kaugeräusche und entspanntes Atmen. Ab und zu ein lautes Muhen. Die Kühe können im Stall bleiben oder raus auf die Weide, wie sie Lust haben.

Die 120 Kühe auf dem Hof haben alle einen eigenen Namen. Der Biobauer kennt sie alle. "Ich möchte, dass es den Tieren gut geht", sagt Bund. Deshalb hält er weniger als eine Kuh pro Hektar: 0,68 "Großvieheinheiten" (GV). Gesetzlich erlaubt wären zwei.
Dadurch funktioniere sein Biohof wie ein Kreislauf, sagt Ralf Bund. Er müsse kein Soja aus Brasilien oder anderes Futter zukaufen. Die Kühe verdauen das angebaute Kleegras, Mist und Gülle dienen als Dünger.
Der Satz, den er 2019 gesagt habe, gelte heute noch, sagt der Landwirt und schmunzelt: "Die Umstellung auf Bio war das Beste, was mir je eingefallen ist - nach der Entscheidung, meine Frau zu heiraten."
"Billige Preise" beim Discounter: Lohnt sich Bioland für Lidl?
Seit gut fünf Jahren können Lidl-Kunden Milch, Mozzarella, Hartkäse, Äpfel, Kresse und Gartenkräuter in deutscher Bio-Qualität kaufen. Weiteres Obst und Gemüse, Mehl und Backwaren kamen hinzu. In manchen Lidl-Filialen auch Fleisch.
Der Discounter wirbt mit Slogans: "Wir machen die billigen Preise!". Und: "Lidl lohnt sich." Die Kundinnen und Kunden wollen vor allem eines: wenig Geld ausgeben. Wie passt das mit Premium-Bio aus der Region zusammen? Lohnt sich Bioland für den Konzern?
Die Antwort der Lidl-Sprecherin Melanie Pöter: "Sowohl Umsatz als auch die abverkaufte Menge des Bio- und Bioland-Sortiments steigen bei Lidl in Deutschland überproportional an." Innerhalb der ersten drei Jahre der Kooperation habe das Unternehmen "das Angebot an Bioland-Produkten mehr als verdoppeln" können.
Zu konkreten Verkaufszahlen gibt die Sprecherin keine Auskunft. Nur soviel: Mittlerweile würden "nahezu 30 Prozent" aller Biolebensmittel des Dauersortiments nach den Bioland-Richtlinien hergestellt - 100 von insgesamt 400 Bio-Artikeln.
Ziel von Lidl sei, bis 2025 zehn Prozent des Festsortiments als Bio- beziehungsweise Bioland-Lebensmittel anzubieten.
Wie viel Bio tatsächlich gekauft wird
Die Biobranche wächst, 2023 ist der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln in Deutschland laut Umweltbundesamt auf über 16 Milliarden Euro gestiegen. Trotzdem erreichen Bio-Lebensmittel nicht die breite Masse der Kunden. Mit 6,3 Prozent (Stand: 2022) ist der Anteil der Bioprodukte am deutschen Lebensmittelmarkt immer noch verschwindend gering.

11,4 Prozent der Fläche in Deutschland werden ökologisch bewirtschaftet. In Unterfranken sind es laut Bezirksregierung 18,5 Prozent. Bis zum Ziel der Bundesregierung - 30 Prozent im Jahr 2030 - fehlt noch einiges.

Dass Wunsch und Realität so weit auseinander klaffen, ist für Bioland-Präsident Jan Plagge ein Grund für das Bündnis mit Lidl: "Wenn wir eine Verdreifachung des ökologischen Landbaus wollen, brauchen wir auch eine Verdreifachung der Verbraucher."
Immerhin seien die Verbraucherausgaben für Bio-Lebensmittel von 2018 bis 2023 um 47 Prozent gestiegen, sagt Bioland-Sprecherin Susanne Rihm. Hier liege noch viel Potenzial.
Bio-Fachhandel und Demeter: Wem die Kooperation nicht gefällt
Doch nicht jeder ist begeistert. "Bio und Discount passen nicht zusammen", meinte Elke Röder, die damalige Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN), vor fünf Jahren. Der BNN vertritt Hersteller ökologischer Lebensmittel und den Bio-Fachhandel. Und auch heute sieht der Verband in der Kooperation mit Discountern eine Gefahr.
Geschäftsführerin Kathrin Jäckel sagt: Die "Machtkonzentration im Lebensmittelhandel" beobachte man skeptisch, sie mache es "gerade für kleine und mittelständische Unternehmen schwieriger". Und sie gefährde regionale und handwerkliche Bio-Wertschöpfungsketten.
Der Bio-Anbauverband Demeter schließt Kooperationen mit Discountern kategorisch aus. "Demeter-Produkte gibt es nicht im Discounter", sagt Verbandssprecherin Susanne Kiebler auf Anfrage.
Rolle rückwärts: Naturland kooperiert jetzt mit Aldi
Ähnliches war vor fünf Jahren auch von Naturland-Präsident Hubert Heigl zu hören: Eine strategische Zusammenarbeit mit Discountern "würde aus unserer Sicht das falsche Signal senden, dass Bio billig zu haben sei", sagte er. Heute sieht Heigl das anders: Seit Januar 2023 arbeitet der Öko-Verband mit Aldi Süd zusammen.
In Deutschland und Österreich gibt es rund 7000 Naturland-Betriebe. Der Verband ist im Unterschied zu Bioland aber weltweit vertreten, in insgesamt 60 Ländern der Erde.
Die Bio-Produkte seien bei den Kundinnen und Kunden "sehr gefragt", heißt es bei Aldi Süd. Allein im ersten Halbjahr 2024 habe sich der Umsatzanteil der Eigenmarke "Nur Nur Natur" am Gesamtsortiment verdoppelt, teilt Sprecherin Johanna Krautwald auf Anfrage mit.
Der Ausbau des Bio-Sortiments sei ein "wichtiger strategischer Fokus", sagt Krautwald. Mehr als 600 Bio-Artikel habe der Discounter im Sortiment, mehr als 20 Prozent des Bio-Standardsortiments wie Frischmilch, Dinkelspaghetti oder Eiscreme seien Naturland-Produkte. Bis Jahresende sollen es 25 Prozent werden.
Doch warum haben sich die Naturland-Bauern umentschieden? 2018 habe ein "Prozess des Nachdenkens eingesetzt", sagt Naturland-Sprecher Markus Fadl. "Am Ende stand die Entscheidung, dass Naturland sich auch gegenüber dem Discount öffnen sollte." Betriebe könnten nur auf Bio umstellen, wenn ihre Produkte im Handel verkauft würden. "Und ein erheblicher Teil dieser Regale hängt in Deutschland eben bei den Discountern", sagt Fadl.
Seit der Inflation ist die Lage anders
Heute, so scheint es, geht es bei Premium-Bio aus der Region nicht mehr ohne Discounter. Ralf Bund seufzt. "Mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs war es ein Segen, dass wir einen Discounter an der Seite hatten". Als die Inflation in die Höhe schnellte, hätten die Leute mehr aufs Geld geschaut, Hofläden und Bio-Fachhandel massiv gelitten. "Die Einkaufsströme sind zum Discounter gewandert", sagt der Wertheimer Bauer.

Ganz anders in der Zeit der Corona-Einschränkungen: "Die Außer-Haus-Verpflegung war weg. Kantinen waren zu. Man durfte nicht reisen. Geld war genug da. Es wurde hochwertig gekocht. Wir waren die Könige von Corona", erklärt der Landwirt. Während der Pandemie habe Bioland über alle Marktsegmente hinweg einen Zuwachs von 21 Prozent erreicht. "Den haben wir jetzt wieder verloren."

Ein ungeduldiges Muhen. Eine Kuh stupst den Bauern sanft in die Kniekehle. "Die Kooperation hat sich bewährt, der Biomarkt ist ohne den Discount nicht mehr vorstellbar", sagt Ralf Bund, bevor er sich seinem Tier zuwendet. "Doch wir müssen aufpassen, dass wir nicht zum Spielball der großen Handelshäuser werden."
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