Die Achillesferse der Straßenbahn ist das Rad. Rund 50 000 Kilometer rollt jede Bahn im Jahr durch die Stadt, das schleift die Spurkränze ab. "Deshalb kontrollieren wir die Profile der Radreifen täglich", sagt Ralf Thiessen. Er steht in der 25 Meter langen Werkstattgrube des Betriebshofs der Würzburger Straßenbahn GmbH (WSB). Gerade ist die Straßenbahn über ihn hinweg gerollt.
Sie ist schon gesäubert worden: Acht Reinigungskräfte haben Liegengebliebenes aufgesammelt, haben gekehrt, Sitze und Scheiben geputzt. Wenn zwischen 19 und 2 Uhr die Straßenbahnen nacheinander in den Betriebshof rollen, herrscht Hochbetrieb im Depot: Bis in die frühen Morgenstunden werden die 20 Strabas, die hier die Nacht verbringen, gereinigt. Techniker überprüfen die relevante Teile und reparieren kleinere Schäden.
Würzburg ist eine von 50 deutschen Städten mit Straßenbahn und die einzige in Unterfranken, die sich dieses nachhaltigste öffentliche Nahverkehrsmittel leistet. Zwischen sechs und neun Millionen Euro kostet der Betrieb der fünf Linien jährlich. 21 Millionen Fahrgäste nutzen sie in diesem Zeitraum.
Für deren Sicherheit sorgen in der Wartungshalle Ralf Thiessen und Kollege Heiko Zimmermann: Stimmt der Druck der hydraulischen Bremsen? Ist im Wagen genug Quarzsand, den der Fahrer per Knopfdruck vor die Räder streut, wenn die Schienen glitschig sind? Sind die Kohleschleifleisten durch den Kontakt mit dem Fahrdraht eingeschliffen und müssen nachgefeilt werden, damit der Stromabnehmer beim Kontakt mit Oberleitung nicht beschädigt wird?
Dreiphasenwechselspannung, Fahrdrahtspannung, Hilfsbetriebeumrichter - mit diesen Vokabeln erklärt WSB-Chef Paul Lehmann die Technik auf dem Dach der Straßenbahn. Hier wird die 750 Volt starke Gleichspannung von der Oberleitung abgenommen und in die jeweils passende Spannung umgewandelt, mit denen Motoren und Bremsen betrieben werden. Auch Steuereinrichtungen und Fahrzeugbeleuchtung werden von hier aus versorgt.
Bei den älteren Straßenbahnen ist die Technik noch unter dem Wagen. Bei denen der neueren Generation sitzt sie auf dem Dach: Denn die Niederflurwagen sind durch tiefere Türen bequemer zum Einsteigen geworden. Zu deren Wartung steigen Thiessen und Zimmermann aus der Grube hinauf auf die Brücke unter dem Hallendach.
In der Hauptwerkstatt hängt ein Zug in der Luft. Die 40 Tonnen schwere Straßenbahn steckt mitten in der Hauptuntersuchung. Die drei Fahrwerke werden dann ausgebaut und per Hubscherenwagen in die Werkstatt zu Dieter Bauer gebracht werden. Der reinigt die fünf Tonnen-Teile zuerst in einer riesigen Waschmaschine. Erst wenn sie blitzen, werden Steuersysteme und Räder ausgebaut. Bei der Hauptuntersuchung, die alle acht Jahre oder nach 500 000 Kilometern fällig ist, wird auch das Innere der Bahn renoviert: Die Sitze kommen raus, werden mit Schaum gereinigt, neu gepolstert und frisch bezogen.
Neben Schlosserei, Elektro- und Elektronikwerkstatt, Schreinerei und Polsterei gibt es im 1984 gebauten Straßenbahndepot im Stadtteil Sanderau auch eine Lackiererei. Hier wechseln die Fachleute die Werbung auf den Bahnen aus. Eine Firmenwerbung klebt meist zwei Jahre lang und ist eine wichtige Einnahmequelle: "Die jährlichen Einnahmen ersparen uns in etwa eine Tariferhöhung", sagt WSB-Chef Paul Lehmann.
Lehmann ist seit 36 Jahren bei der Tochter der Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH. Der 65-Jährige kennt jeden der 130 Strabafahrer, alle 72 Mitarbeiter des Betriebshofes in der Sanderau und jede Klappe und jeden Schalter der drei verschiedenen Straßenbahnmodelle: die 25 Jahre alten Niederflurwagen GT-N, die 30 Jahre alten GT-E sowie die 50 Jahre alten GTW-D8. Da die Betriebserlaubnis der Oldies bald erlischt, sollen bis 2023 für 70 Millionen Euro 18 neue Straßenbahnen angeschafft werden. "Die alten werden dann verschrottet werden", sagt Lehmann, "wobei wir die ein oder andere für die Nachwelt erhalten wollen."
Bis dahin müssen auch die ältesten Straßenbahnen regelmäßig noch eine steile Steigung hinauf. Denn im zweiten Depot der WSB am Heuchelhof steht die Unterflurradsatzdrehbank, auf der die abgenutzten Räder der gesamten Bahn in Form gebracht werden. Den Berg hinunter werden die Oldtimer von einem jüngeren Zug gebracht, ihre eigenen Bremsen sind für das steile Gefälle zu schwach.
Nach 250 000 Kilometer - etwa fünf Jahre Betrieb - sind die Spurkränze und Laufflächen der Züge aber so weit abgefahren, dass man sie nicht mehr profilieren kann. Dann bekommt die Straba einen Satz neuer Räder. Wie gesagt: Sie sind die Achillesfersen der Straßenbahnen.