Auf den ersten Blick wirkt Station 51 am Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus wie jede andere. Ein in kräftigem Grün gestrichener, frühmorgens menschenleerer Gang zieht sich zwischen den Krankenzimmern entlang. Infusionsständer warten am Rand auf ihren Einsatz, Pflegerinnen und Pfleger versammeln sich zur Schichtübergabe. Erst die besprochenen Krankheitsbilder machen deutlich: Station 51 ist eben doch nicht alltäglich. Station 51 ist eine Isolationsstation für Covid-19-Erkrankte.
Und zwar für die, "die noch so stabil sind, dass sie nicht auf die Intensivstation müssen", erklärt Krankenschwester Angelica Kritzner.
Noch so stabil? "Sie leiden oft an Atemnot und bekommen Sauerstoff", sagt Kritzner. Mehrfach am Tag wird hier deshalb bei allen Patientinnen und Patienten die Sauerstoffsättigung des Blutes kontrolliert. Um die 98 Prozent sollte man haben, sagt Angelica Kritzner. Bei den Erkrankten seien es oft unter 90 Prozent. Gerät die Sättigung kontinuierlich in einen kritischen Bereich, droht die Verlegung auf die Intensivstation, möglicherweise gar eine künstliche Beatmung. Das zu vermeiden, erklärt die Krankenschwester, ist die Aufgabe auf Station 51.
Kritzners Schicht beginnt an diesem 26. November mit einer traurigen Nachricht: Über Nacht ist eine Frau gestorben. Sie war gehobenen Alters, hatte zahlreiche Vorerkrankungen. Und so hart es klingen mag: Eine Verlegung auf die Intensivstation hätte ihr wohl nicht mehr geholfen. Angelica Kritzner muss das schnell abstreifen und den Fokus auf die anderen 19 Patientinnen und Patienten legen, für die sie an diesem Morgen weiterhin da sein kann.
"Es kann jeden treffen, und es war schon alles dabei", sagt Kritzner zu den Menschen, um die sie sich auf Station 51 bisher gekümmert hat. "Pflegebedürftige, Geimpfte und Ungeimpfte. Ältere, aber auch junge Menschen ohne Vorerkrankungen, denen es wegen Covid sehr schlecht ging."
Die 41-Jährige erinnert sich an einen jungen Mann mit vorbelasteter Lunge, "der es nicht geschafft hat", nachdem er ihre Station in Richtung Intensivpflege verlassen musste. Die Schutzimpfung helfe auf jeden Fall, sagt Kritzner. "Gerade junge Menschen ohne Vorbelastung kommen bei schwerem Infektionsverlauf meist um die Intensivstation herum, wenn sie geimpft sind."
Ihr morgendlicher Gang durch die Isolationszimmer, in denen die Patientinnen und Patienten überwiegend schon zu zweit liegen, ist kompliziert und zieht sich. Warnend prangt an jeder Tür ein Schild: "CORONA-POSITIV".
Für Kritzner bedeutet das: größtmöglicher Schutz für sich selbst und andere. Sie legt Schutzkittel, Haube, Plastikbrille, gleich zwei Paar Schutzhandschuhe und eine frische FFP2-Maske an, bevor sie ein Zimmer betritt. Für jedes Zimmer gibt es eine neue Ausrüstung. Anlegen, Ablegen, Anlegen, Ablegen: Die Prozedur wiederholt sich Raum für Raum. Für alle, die ein Zimmer auch nur kurz betreten müssen.
Wie es ihnen geht und wie die Nacht war, fragt Kritzner ihre Patientinnen und Patienten drinnen. Sie kontrolliert Blutdruck und Sauerstoffsättigung. Freundlich, gelassen und souverän. Die Werte ruft sie laut Richtung Flur, wo eine Kollegin alles dokumentiert. Eine ältere Frau hat Fieber bekommen. "Das müssen wir beobachten", sagt Angelica Kritzner. Und ja, räumt sie ein, das könnte zu einem größeren Problem werden. Ein Mann möchte keinen Sauerstoff mehr, keine Schmerzmittel. Mit dem Sprechen tut er sich schwer, bekommt wenig Luft. Aber er will nach Hause. Das entscheide der zuständige Arzt, sagt die Krankenschwester. Erst wenn jemand stabil und symptomfrei ist, kommt eine Entlassung überhaupt in Frage.
Während Angelica Kritzner weiter durch die Patientenzimmer geht, ist einige Meter weiter Stefan Menz im Einsatz auf Station 51. Er ist als Psychoonkologe für die psychosoziale Begleitung von Krebspatientinnen und Krebspatienten zuständig. "Natürlich hört die Begleitung nicht auf, wenn die Patienten auf die Covid-Station kommen", sagt der 49-Jährige. Im Gegenteil, der Beistand sei hier umso wichtiger: "Durch Besuchsverbot oder durch erhöhte Hygiene- und Schutzmaßnahmen müssen wir immer mehr Menschen auffangen, die keinen Besuch mehr erhalten können."
Die Patientinnen und Patienten seien verunsichert, genau wie die Angehörigen. "Sie liegen zum Teil alleine auf dem Zimmer", sagt der Psychoonkologe. "Und da sind wir sehr gefragt um zu unterstützen und zu begleiten, Gespräche zu führen und die Patienten auch aufzufangen." Er vermittle den Austausch mit Angehörigen, sorge manchmal aber auch einfach für etwas Ablenkung: "Heute Morgen habe ich eine Zeitung mitgebracht. So ein Tag wird ganz schön lang auf der Covid-Station."
Nebenan nimmt Angelica Kritzner sich zwei Minuten Auszeit an einem Fenster, zieht ihre FFP2-Maske ein Stück nach unten und schnauft einen Moment durch. "Es artet gerade etwas aus", lässt sie kurz hinter die souverän wirkende Fassade blicken. Viel zu wenig Personal gebe es, die körperliche und emotionale Belastung sei groß. Die Station war eingerichtet für Onkologie und Gastroenterologie, erzählt sie. Quasi aus der Not heraus wurde sie nach Ausbruch der Pandemie wie einige andere im Leopoldina umfunktioniert. Nebenan, auf Station 52, werden nach wie vor Krebskranke behandelt.
Eine Schleuse gibt es nicht zwischen den beiden Stationen, für die ein gemeinsames, wenn auch meist getrennt agierendes Team zuständig ist. Auf der einen Seite des Personalzimmers liegen Covid-Erkrankte, auf der anderen werden Chemotherapien durchgeführt, erklärt Kritzner. "Wir versuchen, damit verantwortungsvoll umzugehen."
Als auf Station 52 der Notalarm geht, trägt sie ihre Schutzmontur und darf nicht eingreifen. "Normalerweise würden wir jetzt rüber stürmen, um zu helfen." Doch das Kontaminationsrisiko sei zu groß. "Diese Welle ist die heftigste", sagt die Krankenschwester. Und wenngleich sie ihren Beruf liebe, könnte sie ihn ihren Kindern gerade nicht empfehlen. Es gebe Tage, da würde sie am liebsten alles hinwerfen.
Was sie davon abhält? Da muss Angelica Kritzner dann doch nicht lange überlegen: "Menschenliebe", sagt sie knapp.