Er überlebt. Das war für einen 40-jährigen Patienten und dessen Ärztinnen und Ärzte lange nicht selbstverständlich. Der Mann infizierte sich mit Corona und kam im September auf eine Intensivstation in Hessen. Seine Lunge kollabierte, er musste über einen Schlauch in seiner Luftröhre künstlich beatmet werden. Dann wurde er auf die Intensivstation des Thoraxzentrums des Bezirks Unterfranken verlegt. "Er kam fast tot hier an", sagt die behandelnde Ärztin Dr. Karen Laudenbach von der Lungenfachklinik in Münnerstadt (Lkr. Bad Kissingen). Das war vor 38 Tagen.
Die Klinik ist für schwerkranke Corona-Patientinnen und -Patienten meist nicht die erste Anlaufstelle. Wer mit Corona auf die Intensivstation des Thoraxzentrums kommt, hat die lebensbedrohliche Phase der Krankheit im Normalfall schon hinter sich und ist auf dem Weg der Besserung. Hierhin werden Patientinnen und Patienten verlegt, um Intensivstationen der gewöhnlichen Krankenhäuser zu entlasten.
Es fehlt an Personal, nicht an Betten und Maschinen
Die Klinik hat zwölf Intensivbetten, derzeit sind alle belegt. Stationsleiter Jürgen Müller schildert, dass in der Fachklinik viele unaufschiebbare Operationen, zum Beispiel wegen Krebserkrankungen, stattfinden. Tumore zerstören Lungen – egal, ob gerade Pandemie ist oder nicht. Deshalb ist nur ein Teil der Betten für die Behandlung von Covid-Patientinnen und -Patienten verfügbar. "Wir könnten einen noch größeren Beitrag leisten", sagt Müller angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Lage in den Krankenhäusern. "Aber uns fehlt Personal – wie in allen anderen Kliniken auch. Betten und Maschinen habe wir genug."
Vier Corona-Patienten liegen an diesem Tag auf der Intensivstation. Einer von ihnen ist noch infektiös und muss von der restlichen Station isoliert werden. Eine Schiebetür trennt den Mann von der Außenwelt ab. Ein Impfdurchbruch. Denn trotz zweifacher Impfung nahm die Erkrankung bei ihm einen schweren Verlauf. Intubiert werden musste er jedoch nicht. Der Zustand des Mannes, Jahrgang 1949, hat sich in den vergangenen Tagen rasch verbessert. Er kann sprechen und selbstständig essen - auch wenn es ihm noch schwerfällt. Intensivpfleger Andreas Lang bringt ihm das Frühstück. Brötchen mit Wurst und Käse, Pfefferminztee und Vanillepudding. Jeder Kontakt mit dem Patienten ist mit großem Aufwand verbunden. Jedes Mal muss Lang Kopfhaube, Schutzbrille, Einwegkittel, zwei Lagen Handschuhe und eine FFP3-Maske anziehen.
Der 40-jährige Patient aus Hessen liegt nur wenige Zimmer weiter. Er muss nicht mehr isoliert werden, weil er nicht mehr ansteckend ist. Doch sein Zustand ist deutlich schlechter. Nahrung bekommt er über einen Schlauch in der Nase. Pudding und Brei kann er schlucken. Wenn er seine Hände bewegt, schaut er sich verwundert dabei zu. Als habe er sich noch nicht daran gewöhnt, dass das wieder geht.
"Ob man das jetzt Post-Covid oder Long-Covid nennt, ist für uns zunächst einmal nicht so wichtig", sagt die Ärztin Karen Laudenbach. Was für sie zählt: Die Lunge des Mannes ist vernarbt und das wird ihn noch lange einschränken. Er hatte keine Vorerkrankungen. "Wenn er im Alltag wieder selbstständig zurechtkommt, wäre das ein Erfolg", sagt die Lungenärztin. Ob er jemals wieder in seinem Beruf als Handwerker arbeiten kann, ist ungewiss. Der Mann muss zunächst in kleineren Etappen denken. Von Corona ist er genesen, doch gesund ist er noch lange nicht.
Patienten müssen vom Beatmungsgerät entwöhnt werden
In den Wochen zuvor hat er wieder gelernt, zu atmen. Wenn Patientinnen und Patienten lange auf der Intensivstation liegen, baut die Atemmuskulatur ab. Das kann auch bei Corona-Erkrankten der Fall sein. Das Thoraxzentrum war schon vor der Pandemie auf das sogenannte Weaning spezialisiert. "Man versucht, Patienten vom Beatmungsgerät zu entwöhnen, damit sie wieder selbstständig atmen können", erklärt Stationsleiter Müller.
Bei dem 40-jährigen Patienten ist das nun gelungen. Doch nicht nur seine Atemmuskulatur hat durch die künstliche Beatmung und das lange Liegen gelitten. Er sieht ausgezehrt aus. Seine Waden sind viel zu dünn, die Haut ist fahl, der Blick sorgenvoll. Die zittrigen Hände greifen nach einem gelben Gummiband, mit dem er seine Arme trainieren muss.
Petra Przybilla steht am Bettrand. Die Physiotherapeutin richtet ihren Blick während den Übungen immer wieder auf den Bildschirm, der die Herzfrequenz und die Sauerstoffsättigung im Blut des Patienten anzeigt. Das Sitzen auf der Bettkante ist für den 40-jährigen Mann so anstrengend, dass er nach wenigen Minuten schwitzt. "Bei der pneumologischen Frührehabilitation sollen Patienten nach einer schweren Erkrankung wieder Basis-Fähigkeiten erlernen: Sitzen, stehen, selbstständig essen", erklärt Przybilla. Erst dann kann die eigentliche Rehabilitation beginnen. Bei dem Mann aus Hessen werde das schätzungsweise in acht Wochen der Fall sein. "Er macht sich gut", sagt die Physiotherapeutin.
Beim Weg zurück ins alte Leben werden Corona-Patientinnen und -Patienten, die lange auf der Intensivstation lagen, nicht nur von Ärzten und Krankenpflegern begleitet. Neben Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden können auch Psychologen notwendig sein. "Manche müssen das Trauma der Intensivstation überwinden", sagt Laudenbach. Man könne sich nicht vorstellen, was sich in den Köpfen der Erkrankten in dieser Zeit abspielt. Der stellvertretende Stationsleiter Andreas Mahlmeister war dabei, als der 40-Jährige seine Todesangst in Worte fasste: "Was passiert mit mir? Wie geht es mit mir aus?", soll der Corona-Patient gefragt haben, als er wieder zu Bewusstsein kam.
Inzwischen ist die Todesangst ausgestanden, doch die Sorge vor der Zukunft bleibt. Der Mann möchte wieder als Fensterbauer arbeiten können, das sei sein großes Ziel. "Ich dachte, mich erwischt es nicht", sagt er. Deshalb habe er sich nicht gegen Corona impfen lassen. Ob er sich heute anders entscheiden würde? "Ja."