Ein Kirchturm, meist mit Abstand das höchste Gebäude in einem Dorf, wäre hier wohl ohne Probleme unterzubringen: Bis zu 40 Meter hoch sind die Logistikhallen des Würth-Konzerns in Bad Mergentheim (Lkr. Main-Tauber). 40 Meter hohe Fahrstühle sausen hier, in nahezu menschenleeren Hallen, wie von Geisterhand gesteuert zwischen den hundert Meter langen Regalreihen umher, um C-Teile abzustellen oder herauszuholen. Es hat was von einem Science-Fiction-Film - und ist Teil eines riesigen Netzwerks für die Industrie.
C-Teile, so heißen im Fachjargon die Gegenstände, die im Gegensatz zu A- oder B-Teilen für den Erfolg eines Produkts die geringste Bedeutung haben. Kleinteile wie Schrauben zum Beispiel. Oder Metallstifte, Dübel, Schlauchklemmen, Kabelbinder, Schleifscheiben oder Schmiermittel.
C-Teile, das ist die Welt des Würth-Konzerns aus dem hohenlohischen Künzelsau. Mit dem Handel dieser Kleinteile hat Würth rund um den Globus auf den Baustellen und in den Industriehallen ein Imperium geschaffen. Kein Wunder, dass Firmenpatriarch Reinhold Würth gerne als "Herr der Schrauben" bezeichnet wird.
Der Erfolg des Konzerns hängt wesentlich auch mit der Würth Industrie Service GmbH & Co. KG in Bad Mergentheim zusammen, mit einem Jahresumsatz von zuletzt 536 Millionen Euro die sechstgrößte von 400 Tochtergesellschaften im weit verzweigten Würth-Reich. Oberhalb des tauberfränkischen Kurortes ist seit 2000 mitten im Wald eine Stadt in der Stadt entstanden - mit eigenen Straßennamen und drei Haltestellen im Bad Mergentheimer Busnetz.
Die Dimension sprengt so manchen Rahmen: In dem verschachtelten Hallenkomplex auf dem Drillberg lagern nach Firmenangaben im Durchschnitt 1,1 Millionen C-Teile. Jeden Tag verlassen Scharen von Lastwagen beauftragter Speditionen das Areal, um die Waren zu den 20 000 Kunden in Europa zu bringen. Manches wird auch per Luftfracht verschickt.
390 Millionen Euro hat Würth nach eigenen Angaben in den vergangenen 21 Jahren in sein Drehkreuz gesteckt. Bad Mergentheims Oberbürgermeister Udo Glatthaar bezeichnet es "als großen Glücksfall" für die 24 000-Einwohner-Stadt und nennt es "das größte Hochregallager Europas".
1700 Menschen arbeiten hier, jeder Neunte davon kommt nach Würth-Informationen aus Mainfranken. Selbst aus dem gut eine Autostunde entfernten Schweinfurt fahren täglich Beschäftigte auf den Drillberg, sagt Pressesprecherin Stephanie Boss.
Das 240 Fußballfelder große Gelände ist im Übrigen ein Paradebeispiel dafür, wie Konversion funktionieren kann: Von 1963 bis 1999 war dort die Panzerbrigade 36 der Bundeswehr stationiert. Nach dem Abzug kaufte Würth das Gelände und macht sich dort seither in großem Tempo breit.
Weil das Unternehmen viele Militärgebäude erhalten und lediglich innen umgebaut hat, versprüht der Drillberg noch immer Kasernen-Flair. Dazu gekommen sind in den vergangenen Jahren unter anderem die beiden von Weitem sichtbaren kirchturmhohen Hallen.
Sie sind das Herzstück des Logistikzentrums. Schon deshalb, weil die Förderbänder im Innern aneinandergereiht bis an den etwa 40 Kilometer entfernten Stadtrand von Würzburg reichen würden. Was - in scheinbarem Wirrwarr - auf diesen Förderbändern an C-Teilen bewegt wird, folgt hochkomplexen, durchdigitalisierten Regeln.
Für die gigantischen Datenströme hat Würth auf dem Drillberg eine eigene Serverfarm und einen wuchtigen Notstromaggregaten installiert. "Selbst wenn in Bad Mergentheim die Lichter ausgehen, haben wir noch Strom", sagt Armin Rother. Der einstige Oberstabsfeldwebel der Bundeswehr leitet heute das Würth-Museum auf dem Drillberg, das die Geschichte des Geländes zeigt.
Gigantisch sind die Datenströme schon deshalb, weil in Europa Tag für Tag 1,9 Millionen sogenannter Kanban-Behälter von Würth unterwegs sind, automatisch gesteuert von Bad Mergentheim aus. Im länderübergreifenden Kreislauf sollen die mit Datenträgern ausgestatteten Plastikbehälter permanent für eine zügige und punktgenaue Belieferung der Kunden mit C-Teilen sorgen.
Kanban kommt aus dem Japanischen und ist ein Begriff der Logistik- und Lagerbranche: Entnimmt beispielsweise in Spanien ein Industriearbeiter an seinem Fließband die letzte Schraube aus dem Behälter, löst das automatische eine Bestellung in Bad Mergentheim aus. Prompt wird ein gefüllter Behälter nach Spanien geschickt, der leere kommt von dort zurück. Die große Drehscheibe für kleine Teile hat begonnen, sich zu drehen.