Seit fast 20 Jahren fotografiert ein Paar aus Veitshöchheim weltweit Höhlen. Warum? Was lockt daran, stundenlang durch dunkle Gänge zu kriechen? Und wie gefährlich ist das?
Grün. Nicht felsgrau oder erdbraun. Sondern Grün. Und Schneeweiß. Wie ein fragiles Korallenriff wachsen die Tropfsteine an den Wänden der Höhle. Manche dünner als ein kleiner Finger und kristallartig, andere oberschenkeldick und rund. Je tiefer man in die "Aven de Mont Marcou" in Südfrankreich eindringt, desto grüner wird es. Die Gänge der Höhle sind eng, oft so eng, dass Menschen nur krabbelnd und unter Verrenkungen vorwärts kommen. Der Instinkt warnt vor dem Steckenbleiben, es tropft von oben und glitscht am Boden. Und doch sagt Michaela Lutz: "Es ist fantastisch. Du bist plötzlich in einer ganz anderen, faszinierenden Welt".
Seit 2002 ist es ihre Welt. Mit ihrem Mann Georg Scheuring ist Michaela Lutz jedes Jahr rund 30 Tage in Höhlen unterwegs. In Franken und Schwaben, aber auch in Frankreich, Italien, Slowenien oder auf Borneo. Warum? "Es geht um das Staunen, was die Natur da geschaffen hat", sagt die 52-Jährige. Zerbrechliche Stalaktiten, wellenartigen Marmor, pergamentdünne Gesteinsfächer: "Jede Höhle ist anders", sagt Georg Scheuring. "Du siehst diese Farben- und Formenvielfalt, du erkennst, wie Stein wächst – und das macht ehrfürchtig."
Fünfzehn Kilo Ausrüstung kommen bei Höhlenfotografen schnell zusammen
Das Paar ist gerade aus Südfrankreich zurückgekommen. Elf Tage Klettern, Wandern und Höhlenfotografie. Vor dem Hauseingang in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg) hängen die Schlatze zum Trocknen in der Sonne. So nennen Höhlenforscher die Anzüge aus stabilem Stoff, die unter der Erde vor Kälte, Verletzungen und Nässe schützen. Im Garten baden die Rucksäcke in einer Wanne. "Man schleppt schon so einiges an Ausrüstung mit", sagt Scheuring. Seile, Karabiner und diverse Sicherungsgeräte plus Kameras, Blitze und extrastarke Taschenlampen. Zehn, fünfzehn Kilo kommen schnell zusammen. Die körperliche Belastung für Höhlenfotografen ist hoch.
Die psychische auch. Jeder Handgriff muss sitzen, wenn man sich rund 190 Meter durch einen riesigen Schacht in die Tiefe abseilt. Wenn man in der Höhle stundenlang nur auf allen Vieren oder auf dem Bauch vorwärts robben kann. Oder wenn sich ein Gang plötzlich so stark verengt, dass zum Einatmen beim Weiterrutschen kein Platz mehr bleibt.
"Wer sagt, er habe dabei keine Angst, dem würde ich nicht glauben", sagt Georg Scheuring. "Aber man lernt, mit der Angst umzugehen." Einige Male sei er an Engstellen schon stecken geblieben, einmal habe seine Frau ihn an den Füßen zurückziehen müssen. "Inzwischen kann ich da relativ ruhig bleiben", sagt der 60-Jährige. Schulter drehen, ruckeln, rutschen, ausatmen, "weil dann der Brustkorb etwas schmäler wird". Und weiter schlufen, so heißt diese Art der Fortbewegung.
"Das ist wahnsinnig anstrengend", sagt Michaela Lutz. "Man muss sich konzentrieren und auf jede Bewegung achten." Das Risiko kriecht quasi mit, die Anspannung ist hoch. "Wer in Höhlen unterwegs ist, muss seinen Körper kennen und wissen, wo die Grenzen sind", sagt die Psychotherapeutin. Denn einfach Umdrehen, das geht in der Tiefe nicht. Und die Dunkelheit belastet zusätzlich. "Das Licht der Stirnlampen wackelt. Daran muss man sich erst gewöhnen", sagt Scheuring.
Vor fast zwei Jahrzehnten waren sie zum ersten Mal in einer Höhle: in der Bismarckgrotte in der Fränkischen Schweiz. Gut 1200 Meter lang und etwas mehr als 52 Meter tief. "Eine klassische Einsteigerhöhle", sagt Lutz. Rund drei Stunden waren sie damals im Untergrund. Danach wollten sie mehr.
"Die Technik haben wir uns zunächst selbst beigebracht", sagt Georg Scheuring, der als Yogalehrer in Veitshöchheim tätig ist. Grundlagen kannten sie vom Klettern und Bergsteigen, Höhlen-Wissen lasen sie in Fachartikeln, probierten aus, übten. Schnell kam das Paar in Kontakt mit anderen Höhlenbegeisterten und Forschern. Von den Erfahreneren lernten sie zum Beispiel den richtigen Umgang mit Hand- und Bruststeigklemme – und hörten von mancher Höhle, "die man einfach gesehen und fotografiert haben muss".
Immer wieder kommt es in Höhlen zu Unfällen
Dem Verband der deutschen Höhlen- und Karstforscher (VdHK) zufolge sind allein in Deutschland bisher etwa 11 000 Höhlen erfasst. Ein Großteil von ihnen liegt in Karstgebieten wie den Mittelgebirgen, alle gelten sie als besonders geschützte Biotope. Rund 50 können laut VdHK als Schauhöhlen besichtigt werden.
Höhlen sind Naturräume, keine Spielplätze für Abenteuerlustige. Es droht Steinschlag, Wasser kann plötzlich eindringen. Das Handy hat keinen Empfang. Jedem Höhlenforscher muss das bewusst sein, muss wissen, welches Risiko er eingeht. Umso wichtiger sind auch in Vereinen und Verbänden Sicherheit und Ausbildung. Trotzdem kommt es in der Tiefe immer wieder zu Unfällen. Erst im Februar ist ein Taucher in der Mühlbachquellhöhle in der Oberpfalz gestorben. 2014 wurde in der Riesending-Schachthöhle bei Berchtesgaden ein Forscher von einem Steinschlag am Kopf getroffen – er musste in einer elf Tage dauernden und fast eine Million Euro teuren Rettungsaktion wieder ans Tageslicht gebracht werden.
Michaela Lutz und Georg Scheuring sind sich der Gefahren bewusst, beide sind Mitglied im Verband. Ohne Erfahrung und Vorbereitung sei es fahrlässig, in eine Höhle einzusteigen, sagt Scheuring. Generell gehe es weder ihm noch seiner Frau um Superlative bei den Begehungen. Sondern um das Eintauchen in eine andere Welt, um das Naturerlebnis, um die Stille. "In Höhlen bist du meistens alleine", sagt der 60-Jährige. Der Lärm der Zivilisation bleibt oben zurück. "Draußen ist es laut, überall, selbst auf einem Gletscher hört man Flugzeuge – aber in den Höhlen herrscht Stille." Das "Plopp" eines Wassertropfens wird in der Tiefe zum lauten Knall.
Um die Stille zu finden, warten die beiden Unterfranken manchmal jahrelang. Etwa auf die "Aven de Mont Marcou" mit den grünen Aragonit-Tropfsteinen. "Da rein zu kommen, das war immer mein Traum", sagt Lutz. Nur zehn Personen dürften pro Jahr in die Höhle, die Anmeldeliste sei lang. "2019 haben wir es geschafft. Und es war wirklich eine Märchenwelt."
Eine, die den meisten Menschen verborgen bleibt. Oft finde man Höhlen nur über Tipps und Erzählungen von anderen Vereinsmitgliedern oder Fotografen. "Es gibt keine Liste, keine Karte, auf der alle verzeichnet sind", sagt Scheuring. Viele Höhlen würden von den Verbänden bewusst verschlossen, um Vandalismus und eben Unfälle zu verhindern. Beziehungen seien meist der Schlüssel im Wortsinn. So kam das Paar beispielsweise in eine Höhle mit blauem Marmor in Frankreich. "Als erste Deutsche", sagt Lutz. "Da waren wir schon ein bisschen stolz."
Jedes Jahr sind die beiden deshalb beim deutschen Höhlenfotografentreffen dabei, pflegen Kontakte und zeigen ihre neusten Bilder. Auch in Margetshöchheim bei der "mainART" hat Michaela Lutz schon ausgestellt. Einige der großformatigen Hochglanzdrucke hängen an den Wänden im Treppenaufgang ihres Hauses.
Allerdings wollten die ersten Aufnahmen in der Tiefe nicht recht gelingen. Zu wenig Licht, zu wenig Akzente, nur schwer ließ sich die Faszination mit der Kamera einfangen. Michaela Lutz zeigt ein Foto von ihrem Mann, knietief im braunen Schlamm stehend und taghell angeblitzt. Sie schüttelt den Kopf. "Das war ganz am Anfang." Durch einen Zufall lernte das Paar dann bekannte Höhlenfotografen wie Alexandra Bengel oder den Franzosen Philippe Crochet kennen. "Alexandra hat uns mitgenommen und viel gezeigt", sagt Lutz. Ihre Augen leuchten. "Da gibt es ganz einfache Tricks, wie zum Beispiel einen zusätzlichen Blitz hinter einen Tropfstein zu legen."
Bis zu 18 Stunden unterwegs in der Tiefe
Mittlerweile füllen die Höhlenfotos des Paares unzählige Speicherkarten und mehrere dicke Alben. Welche Höhle die beeindruckendste war? Scheuring und Lutz schauen sich an, lachen. Schwer zu sagen. Vielleicht die grüne "Aven de Mont Marcou"? Vielleicht die Grotte mit dem blauen Marmor? Oder das Verneau-System mit dem unterirdischen Fluss? Das sei 32 Kilometer lang gewesen – und damit eine ihrer längsten Höhlen, sagt Scheuring. "Wenn man schnell unterwegs ist, dauert das 16 bis 18 Stunden."Einsteigen dürfe man dort nur bei schönem Wetter – "wenn es regnet, kommt das Wasser".
Höhlen sind schlicht keine Komfortzone, die Fotografie in der Tiefe ist harte Arbeit. "Du bist immer nass, es ist lehmig und dreckig", sagt Michaela Lutz. Man schwitzt, Spinnen krabbeln über Hände und Arme. "Manchmal denkt man schon, das ist ein ganz schönes Drecksloch hier." Abends müssen Material und die Anzüge geputzt werden. "Und du stinkst bärig", sagt die 52-Jährige. "Es ist eigentlich ekelhaft – aber ich liebe es."