Forschen, Tüfteln, Basteln – das ist seit Jahrzehnten ihre Leidenschaft. Doch gefunden haben sich die beiden Lengfelder Fast-Nachbarn erst vor zwei Jahren: Tüftelexperte Klaus Hünig (72), der Erfinder der legendären Sonnenfinsternis-Schutzbrille, und Horst Wagner (64), ein Heilpädagoge und Theologe mit Forschungsdrang, der im Kinderzentrum „Spieli“ die Kinder zum Experimentieren animiert. Jetzt haben Hünig und Wagner ihr erstes gemeinsames Werk auf die Beine gestellt: einen Nitinol-Motor zum Selberbauen für Hobbyforscher. Das Modell gibt einen Ausblick auf eine möglicherweise revolutionäre Art der alternativen Energiegewinnung.
Der Schlüssel dazu findet sich in vielen Kindermündern. „Der Nitinol-Draht ist genau wie jener, der in Zahnspangen verwendet wird“, erklärt Horst Wagner. Nitinol, das ist eine Legierung aus Nickel und Titan. Es hat die ungewöhnliche Eigenschaft, oberhalb einer bestimmten Temperatur steif und elastisch wie Federstahl zu sein, unterhalb dieser Temperatur aber beliebig biegsam wie Weicheisen.
Der wundersame Draht sorgt für Bewegung
Wie sich das im Nitinol-Motor-Modell auswirkt, ist einfach anzuschauen, es zu beschreiben weitaus schwieriger: Der nur drei Haaresbreiten dünne Nitinol-Draht läuft über ein Konstrukt mit zwei Rillenrädern. Taucht der Drahtring mit dem kleineren der Räder in eine Schale mit etwa 50 Grad warmen Wasser ein, beginnt das Spektakel.
Der an der Luft weiche Draht wird im warmen Wasser steif und gerade. Weil ihn aber das Rillenrad in eine Rundung zwingt, muss er nach oben ausweichen und zieht dabei wieder ein neues Stück Draht hinter sich her. dem dann dasselbe passiert. Die Folge: Der Drahtring kommt in Schwung, der Motor beginnt sich unermüdlich zu drehen.
Naturwissenschaft verständlich machen
Über die Achse des oberen Rades geraten über weitere Rollen Längsarme in Schwung. Diese haben keine direkte Funktion, demonstrieren aber eindrucksvoll die Bewegungskraft der kleinen Maschine. „Theoretisch könnte man auch einen kleinen Generator damit aktivieren“, sagt Klaus Hünig. Er bezeichnet die kleine Maschine als „ein Spielzeug zum meditativen Betrachten“.
Damit untertreibt der ehemalige Waldorflehrer mit Erfindergeist. Denn Hünig, der seit über 30 Jahren schon mehr als 70 Bausätze – darunter eine Lochkamera, ein Kopernikus-Planetarium oder eine Dampfmaschine– konstruierte, hat vor allem ein Ziel: Wissenschaft und vor allem Naturwissenschaft verständlich zu machen – und das anhand von Bausätzen, die überwiegend aus Karton zusammengebastelt werden.
Nitinol – ein Schlüssel zur Energiegewinnung?
Das ist beim Nitinol-Motor nicht anders. Den Anstoß dazu lieferte Horst Wagner, der sich beim TEC-Institut für technische Innovationen in Waldaschaff mit dem „Wundermetall“ Nitinol beschäftigt: „Eine Forschungsreihe der Superlative“, sagt er, denn „da steckt Zukunftspotenzial drin“. Wenn man genau weiß, wie der Draht bei den Temperaturunterschieden wirkt, könne man Abwärme – etwa aus Kälteanlagen – zur Energiegewinnung nutzen und damit beispielsweise Generatoren zur Stromerzeugung betreiben. „Der Draht kann bei entsprechender Stärke eine gewaltige Kraft entwickeln.“
Das klingt einfacher, als es ist. Zum Nitinol-Modell hat Wagner den Draht beigesteuert. „Dabei habe ich fast drei Jahre gebraucht, um die Verbindung der Nitinol-Drahtenden zu einem Ring in den Griff zu bekommen“. Wagner arbeitet seit fast 30 Jahren im Zellerauer Kinderzentrum „Spieli“, wo er mit Experimenten die Kinder zum Forschen animiert und sie für naturwissenschaftliche Prinzipien begeistert. Demnächst will er – „als Gag“ – den Nitinol-Motor in einem Kindertretauto ausprobieren.
Der Kessel ist eine aufgeschnittene Bierdose
Für die „Inszenierung der Technik“ am Nitinol-Motor-Bausatz-Modell war Klaus Hünig zuständig. Deshalb ist es, soweit möglich, aus Karton gefertigt. Beim Wasserkessel, der mit einem Teelicht erhitzt wird, passte Pappe natürlich nicht. Hünig sagt, er habe lange gebraucht, bis er das passende Material fand: eine aufgeschnittene Bierdose.
Ein Dreivierteljahr haben Hünig und Wagner an der Entwicklung des Nitinol-Motor-Modells gearbeitet, das Hünig für knapp 30 Euro über seinen Astro-Media-Verlag vertreibt. Rund dreieinhalb Stunden braucht man laut Hünig für den Zusammenbau. Um Kundschaft sorgt er sich nicht. Es gebe reichlich große und kleine Hobbyforscher, weiß er aus der Erfahrung.
Nach dem Nitinol-Motor werden bestimmt weitere gemeinsame Projekte kommen, prognostizieren Wagner und Hünig. Warum? „Ein guter Erfinder und Techniker muss einen ausgeprägten Spieltrieb haben“, behauptet Wagner. „Und wir beide sind da auf dem gleichen Niveau.“