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Würzburg
Zwei Jahre nach antisemitischen Übergriffen vor dem Würzburger Bahnhof: Vorwürfe gegen das Mainfranken Theater
Der Leitung des Mainfranken Theaters in Würzburg wird mangelnde Empathie und Fürsorge vorgehalten. Ihr Umgang mit einer jüdischen Schauspielerin sorgt für Schlagzeilen.
Am Bahnhofsplatz in Würzburg, vor dem DenkOrt Deportationen, spielte Anouk Elias im Frühsommer 2022 die Titelrolle im Stück 'Das Tagebuch der Anne Frank'.
Foto: Nik Schölzel | Am Bahnhofsplatz in Würzburg, vor dem DenkOrt Deportationen, spielte Anouk Elias im Frühsommer 2022 die Titelrolle im Stück "Das Tagebuch der Anne Frank".
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 14:22 Uhr

Eine Hauptrolle im ZDF-Film "Für immer Freibad", eine Synchronisation für die Netflix-Serie "Bridgerton", eine Rolle in der Sprechoper "Saal 600" über die Nürnberger NS-Prozesse am Theater Oldenburg: "Lauter schöne Projekte" habe sie derzeit am Laufen, berichtet die Schauspielerin Anouk Elias.

Gleichzeitig beschäftigen die 26-Jährige bis heute ihre Erfahrungen mit antisemitischen Vorfällen während ihrer Zeit am Mainfranken Theater in Würzburg. Im Frühsommer 2022 spielte Anouk Elias vor dem Würzburger Hauptbahnhof die Titelrolle im Stück "Das Tagebuch der Anne Frank". Damals kam es zu judenfeindlichen Pöbeleien, die die Süddeutsche Zeitung jetzt im Zusammenhang mit einem Arbeitsprozess vor dem Bühnenschiedsgericht in München erneut thematisiert.

In der Folge sehen sich die Würzburger Theater-Verantwortlichen um Intendant Markus Trabusch einem Shitstorm in den sozialen Netzwerken ausgesetzt. Der Vorwurf lautet, man verharmlose bis heute den vorgefallenen Antisemitismus.

Leitung des Mainfranken Theater weist Vorwürfe auf Instagram zurück

Die Theaterleitung weist diese Kritik in einem Post auf der Plattform Instagram zurück. Man habe seinerzeit "angemessen reagiert und alle aus unserer Sicht erforderlichen Maßnahmen ergriffen", schreiben die Verantwortlichen.

Anzeige für den Anbieter Instagram über den Consent-Anbieter verweigert

Die Schauspielerin hatte dem Theater schon 2022 vorgeworfen, ihr Sicherheitsbedürfnis als jüdische Schauspielerin (und entfernte Verwandte von Anne Frank) als "Empfindlichkeit" abgetan zu haben.

Zunächst hatte das Theater auf ein mit der Polizei abgestimmtes Sicherheitskonzept verwiesen, das regelmäßige Streifenfahrten, eine Telefonverbindung zur Bahnpolizei sowie zusätzliche Präsenz von Mitarbeitenden des Theaters vorgesehen habe. Dieses Konzept sei aber nicht konsequent umgesetzt worden, sagt die Schauspielerin. So seien Polizeibeamte lediglich bei der Premiere vor Ort gewesen, die Telefon-Hotline habe nicht funktioniert.

Inszenierung von "Das Tagebuch der Anne Frank" auf dem Würzburger Bahnhofsvorplatz

Der öffentliche Spielort, der gerade am Abend belebte Bahnhofsvorplatz mit dem DenkOrt Deportationen, verlangte Anouk Elias ein Höchstmaß an Konzentration ab. Dabei meisterte sie auch Störungen souverän – selbst wenn Schaulustige durchs Bühnenbild liefen, Angetrunkene in der Nähe Rechtsrock spielten oder Worte wie "Nazi" grölten.

Regelrecht bedroht fühlte sich die junge Schauspielerin, als ein mutmaßlich betrunkener Mann während der Aufführung am 6. Mai 2022 Parolen skandierte wie "Scheiß Judenveranstaltung" oder "Was erzählt ihr hier für Lügen". Sie habe Angst gehabt und versucht, sich irgendwie durch die Vorstellung zu hangeln, bis die verbalen Attacken vorüber waren, so Elias im Gespräch mit dieser Redaktion.

Erst als diese Redaktion sich einschaltete, bewegte sich etwas

Versuche der Schauspielerin, die Verantwortlichen des Theaters für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zu gewinnen, scheiterten zunächst. Auch die Unterstützung durch die Theater-Gewerkschaft GDBA, die Beratungsstelle B.U.D. für Betroffene rechter Gewalt und die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) Bayern half nicht weiter. Erst als diese Redaktion sich einschaltete, verstärkte das Theater den Schutz: Man engagierte einen privaten Sicherheitsdienst, der die Vorstellungen fortan überwachte.

Dieses Vorgehen sorgt jetzt, fast zwei Jahre später, für heftige Diskussionen im Internet. Das "Ensemble Netzwerk" oder die Initiative "Stabiler Rücken", die sich für mehr Diversität in der Theater- und Filmlandschaft einsetzt, werfen dem Würzburger Intendanten und seinem Team einiges vor: mangelnde Empathie und Fürsorge, die Verharmlosung von Antisemitismus, Machtmissbrauch, Diskriminierung und fehlende Selbstkritik im Umgang mit Anouk Elias.

Die Theater-Gewerkschaft GDBA fordert die Theaterleitung bei Instagram auf, ihr Statement zu überdenken und ihr Verhalten gegenüber der Schauspielerin "kritisch aufzuarbeiten" und die "notwendigen Konsequenzen" daraus zu ziehen.

Anzeige für den Anbieter Instagram über den Consent-Anbieter verweigert

"Irritiert" von der Stellungnahme des Theaters bei Instagram zeigt sich auch die Antisemitismus-Informationsstelle Rias. Man vermisse Bedauern und Empathie, schreibt Rias-Sprecher Felix Bandalat in einem Statement.  Es seien 2022 nämlich nicht "alle erforderlichen Maßnahmen getroffen worden", um die Schauspielerin zu schützen.

Intendant Trabusch und die Theaterleitung weisen die Vorwürfe zurück. Auf die Nachfrage, warum man den aktuellen Post nicht genutzt habe, um die antisemitischen Übergriffe rund um die "Anne Frank"-Inszenierung zu bedauern oder sich bei Anouk Elias wegen des Umgangs mit ihren Ängsten zu entschuldigen, verweist die Theaterleitung auf ein "persönliches Gespräch" im Juni 2022, bei dem man Bedauern ausgedrückt habe.

Weiter heißt es: "Das Mainfranken Theater duldet keinen Antisemitismus. Dafür stehen wir mit unserer Arbeit und unserem Spielplan seit vielen Jahren ein."

Streit um "Teilspielzeitvertrag" des Würzburger Theaters mit Anouk Elias

Anouk Elias indes beklagt weiterhin, sie sei mit ihren Ängsten und Befürchtungen nach den antisemitischen Übergriffen alleingelassen worden. Im Gegenteil: Nachdem ein Bericht in der Main-Post erschienen war, habe der Würzburger Intendant sie in sein Büro zitiert. Er habe ihr vorgeworfen, sie habe  "Betriebsinterna" an die Presse verraten und Vertrauen missbraucht. Ein bereits vereinbarter "Teilspielzeitvertrag" für den Herbst 2022 sei ihr dabei gekündigt worden. 

Das Theater betont hingegen, es sei Elias gewesen, die den vom Intendanten bereits vor den Vorfällen um das "Anne Frank"-Stück unterzeichneten Vertrag nicht zurückgeschickt habe. Nach den antisemitischen Vorfällen habe die Schauspielerin gesagt, sie lege keinen Wert mehr auf eine weitergehende Zusammenarbeit.

Anouk Elias hatte bereits für ein neues Stück in Würzburg geprobt

Eine Darstellung, der die 26-Jährige vehement widerspricht. Sie sei grundsätzlich bereit gewesen, weiter am Mainfranken Theater zu arbeiten – und habe schon für ein geplantes Stück geprobt. Gleichzeitig habe sie Trabusch gesagt, falls er keine Basis für eine weitere Zusammenarbeit sehe, könne er ihr kündigen, müsse dann aber eine Abfindung zahlen. 

Der Streit landete vor dem Bühnenschiedsgericht in München. Dort einigten sich beide Parteien im Dezember 2023 auf einen Vergleich – inklusive einer Abfindung für Anouk Elias. 

 
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  • Martin Heberlein
    Mangelnde Empathie wird dem Intendanten ja nicht nur in diesem Fall vorgeworfen. Es gab ja auch etliche Äußerungen von Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen des Theaters, die sich über das eisige Betriebsklima beschwerten.
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  • Michael Czygan
    @Martin Deeg: Es ist nicht richtig, was Sie schreiben: Die Main-Post hat als erstes und einziges Medium schon vor zwei Jahren über die antisemitischen Übergriffe berichtet: https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/nach-antisemitischen-poebeleien-die-wuerzburger-anne-frank-darstellerin-fuehlt-sich-auf-open-air-buehne-nicht-sicher-art-10817771
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  • Martin Deeg
    Richtig, dieser Bericht ist ja auch oben erwähnt/verlinkt.

    Ich bezog mich auf den aktuellen Bericht der SZ vom 04.02.2024, der bundesweit auch in Printausgabe erschien - und wunderte mich, dass auf Nachschau der letzte Bericht der Mainpost (mit teils seltsamen Kommentaren) hierzu lange zurückliegt; das ist ja nun nicht mehr der Fall.
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  • Martin Deeg
    Seltsam, dass die Mainpost dies erst jetzt aufgreift, nachdem diese Würzburger Posse bereits vor Wochen breit in der SZ thematisiert wurde.

    Das ganze weist lehrbuchhaft die üblichen Methoden und Muster von institutionellem und strukturellem Machtmissbrauch auf, inklusive der üblichen Ausblendung des Machtgefälles: es wird wie selbstverständlich so getan, als ob zwei gleichgestellte Parteien einen Konflikt hätten. Der Intendant Trabusch stellt sich praktisch als „Opfer“ dar obwohl er der einzige ist, der hier VERANTWORTUNG trägt, nicht die Schauspielerin.
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