Die Nachricht von seinem plötzlichen Tod macht nicht nur die Familie, sondern auch Weggefährten, Projektpartner und ehemalige Studierende betroffen. Sie kannten Dieter Leistner als einen, der die Welt nicht nur mit seiner Kamera festhalten wollte, sondern Beziehungen schuf – zwischen Menschen, Kulturen und Architekturen. Der mit seinem wachen und kritischen Blick das Dasein verstehen und Ästhetik ergründen wollte. Und der dabei nie abgehoben ist oder sich in den Elfenbeinturm zurückgezogen hätte – im Gegenteil.
Anfang November wäre er 70 geworden
Am vergangenen Wochenende ist der Fotografie-Professor völlig unerwartet gestorben, wenige Wochen vor seinem 70. Geburtstag. Dieter Leistner war verheiratet und hinterlässt vier Kinder.
Neugier und Entdeckerfreude hatten ihn zeitlebens nicht verlassen. Und früh erfasst: Sein erstes Bild "knipste" er im Alter von acht Jahren heimlich auf Sylt mit der Kamera seines Vaters. Das Motiv: Düne, Campingtisch, Klappstühle. Als biografischer Fingerzeig sollte sich dieses Bild herausstellen. Denn seine Leidenschaft brachte ihn später zur Fotografie und auf viele Reisen rund um den Globus. Die Kamera immer dabei.
Geboren 1952 in Salzgitter, lernt Leistner in Niedersachsen zunächst das Tischlerhandwerk, geht als Geselle ins Saarland. Daheim könnte er die väterliche Werkstatt übernehmen. Doch der weltoffene junge Mann entscheidet sich anders: Über den zweiten Bildungsweg studiert er Fotoingenieurwesen, Visuelle Kommunikation/Fotodesign und Kommunikationsdesign an Hochschulen in Köln, Essen und der Uni Wuppertal.
Seit 1982 arbeitete er als freiberuflicher Fotograf. Wie mühsam es bisweilen ist, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen und sich selbstständig eine Existenz aufzubauen – das konnte er Studierenden aus eigener Erfahrung nahebringen. Ab 1983 übernahm er Lehraufträge, hielt Gastvorträge, veröffentlichte Bücher und Bildbände. Seine Ausstellungen fanden international Beachtung. Dieter Leistner zählt zu den bedeutendsten deutschen Architekturfotografen.
Neben einer Lehrtätigkeit an der Dortmunder FH arbeitete Dieter Leistner von Mainz aus als freischaffender Fotograf und folgte 1999 dem Ruf als Professor an die Würzburger Fakultät Gestaltung der heutigen Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS). Als Hochschullehrer prägte er bis 2018 die Bildsprache einer ganzen Generation von Fotografen. Seine Aufnahmen zeitgenössischer Bauten, die weltweit in zahlreichen Fachpublikationen erschienen, definierten sich durch ihre grafische Gestaltung und den wohlüberlegten Einsatz von Licht und Farbe.
Die besondere Perspektive bei der Fotografie von Innenräumen
Bekannt wurden seine Aufnahmen von Innenräumen, in denen er den Blick von unten nach oben richtete. Einen Namen machte er sich ferner durch seine sorgfältig konzipierten Innenansichten von historischen Hallenbädern. Aber auch seine Porträts von Stars der Architekturszene wie Zaha Hadid oder Gottfried Böhm und vielen anderen waren vor allem eines: "typisch Leistner".
Hochschulpräsident Robert Grebner würdigt den Verstorbenen als "leidenschaftlichen Fotografen, Hochschullehrer und großzügigen Menschen". Als hilfsbereiter Kollege habe er sich der FHWS sehr verbunden gefühlt und über Jahre hinweg uneigennützig verschiedenste Hochschulgebäude fotografiert. Dekan Erich Schöls (Fakultät Gestaltung) sagt: "Dieter Leistner konnte mit der Kamera umgehen wie kein anderer." Diese Fertigkeit habe er an junge Menschen weitergegeben. "Die Fakultät ist dankbar und traurig."
Nicht nur fachlich versiert: "Immer gute und unterhaltsame Gespräche"
Neben der Hochschule suchte Leistner die Zusammenarbeit mit Unternehmen und Einrichtungen, initiierte Projekte für Studierende. So auch mit dieser Zeitung: "Seine Architektur- und Reisefotografie zierte immer wieder unsere Produkte", sagt Daniel Biscan, Art Director der Main-Post. Leistner habe den Lehrstandort Würzburg im Bereich Fotografie sehr aufgewertet. Und: "Er war ein geselliger Mensch, mit dem man immer gute und unterhaltsame Gespräche führen konnte." Was allseits bestätigt wird.
"Er war ein Menschenfänger par excellence", erinnert sich der langjährige Kulturredakteur Karl-Georg Rötter. Im Fotostudio der FH in der Würzburger Korngasse wurde nicht nur formal unterrichtet. Dort traf man sich auch an einer kleinen Bar, hier wurde über Fotografie geredet, "und manchmal endeten diese Gespräche erst tief in der Nacht", erzählt Rötter. "Denn ein gutes Glas Wein stand bei dem Fotoprofessor immer parat."
Häufig gewannen Leistners Studierende mit ihren Arbeiten Preise
Dieter Leistner war anspruchsvoll, wenn es um Fotografie ging. Und das zeigte sich immer wieder in Semesterausstellungen mit außergewöhnlichen Arbeiten der Studierenden. Und der Professor freute sich mit ihnen, wenn sie wieder mal einen Preis gewonnen hatten – was häufig vorkam.
Die Vernissagen waren in der Würzburger Kulturlandschaft legendär und entwickelten sich nicht selten zu langen Partys. Und Leistner beherrschte seine Rolle als Gastgeber perfekt. Hier wurden nicht selten Fremde zu Freunden.
Zu seinem Abschied in den Ruhestand zeigte Dieter Leistner 2018 auf dem Kunstschiff "Arte Noah" nochmals einen Querschnitt durch sein vielseitiges fotografisches Werk. Dass dies seine letzte Ausstellung in Würzburg sein würde, konnte und wollte sich damals niemand vorstellen.
Mitarbeit: Karl-Georg Rötter