Seit 27 Jahren kümmern sich Gudrun und Herbert Martin in ihrer privaten Igelstation in Gerbrunn um verwaiste, verletzte, kranke oder zu magere Igel. In so langer Zeit sammelt man viele Erfahrungen. Was das Ehepaar in diesem Jahr erlebte, ist trotzdem neu. Neu und erschreckend: „17 Igel sind mir einfach unter den Händen weggestorben, obwohl sie eigentlich groß und schwer genug waren und gesund aussahen“, berichtet die ehrenamtliche Igelpflegerin. Erklären kann sie sich das reihenweise Igelsterben nicht. „In anderen Jahren waren es mal einzelne Igel, die trotz vermeintlich guter Verfassung nicht überlebten. So viele waren es definitiv bisher noch nie.“
Diese unerklärlichen Todesfälle unter ihren Schützlingen sind allerdings nicht das Einzige, das Gudrun Martin umtreibt. Das andere Problem lässt sich in nüchternen Zahlen folgendermaßen ausdrücken: Bis zum 7. November 2015 hatte sich die Igelstation um 270 hilfebedürftige Stacheltiere gekümmert, elf davon hatten nicht überlebt. Am 7. November 2016 führte Martin Buch über 236 Igel, 13 schafften es nicht. Bis zum gleichen Tag 2017 erfasste die Station nur 149 der Kleinsäuger, von denen 47 keine Chance hatten.
Zu den 17 ungeklärten Todesfällen kamen 24 Jungtiere, die schlicht verhungerten sowie sechs schwer verletzte Schützlinge. Letztere mussten die Naturliebhaber einschläfern lassen.
Direkte Folge des Insektensterbens
So unerklärlich wie die oben genannten Fälle sind, so klar ordnet Martin den dramatischen Rückgang bei ihren Schützlingen ein: „Vor Kurzem beschäftigte die Medien das Insektensterben. Der deutliche Rückgang der Igelpopulation und die vielen unterernährten, lebensunfähigen Jungtiere sind eine direkte Folge davon“, stellt die Fachfrau fest. Denn neben Schnecken stehen auf dem Speiseplan der Wildtiere Insekten, „von denen es in unseren Gärten, die bei den meisten Menschen einem Wohnzimmer gleichen, kaum noch welche gibt“. Ein Zusammenhang, der für Martin offensichtlich ist.
Dass es im Nahrungsmittelkreislauf Auswirkungen des Insektensterbens gibt, das erscheint auch Steffen Jodl, Geschäftsführer des Bund Naturschutz, plausibel. Auch wenn sich diese über die letzten zehn Jahre gesehen statistisch nur bedingt herauslesen lassen. Auch das Veterinäramt und die untere Naturschutzbehörde im Landratsamt können die Beobachtungen der Igelstation weder bestätigen noch widerlegen.
Anders Marion Damm, Leiterin der Igelstation in Lichenfels (Oberfranken) und gleichzeitig Vorsitzende des Landesvogelschutzbundes. Auch sie hat einen Rückgang der Igelpopulation festgestellt, ebenso wie unerklärliche Todesfälle. Gemeinsam mit ihrer Tierärztin vermutet sie dahinter eine Folge zunehmender, neumodischer Gartengestaltung mit Folien und Kies. Als Folge daraus müssten sich Igel zunehmend auf Nacktschnecken als Nahrung beschränken. Diese wiederum seien Überträger von Lungenwürmern, die auch erwachsenen Igel gefährlich werden können.
Weniger Igel in den Gärten unterwegs
Bestätigt wird der Igel-Rückgang zudem durch immer mehr besorgte Menschen, die bei Martin anrufen, weil sie vergebens auf Igelfamilien warteten, die sonst ihren Garten bevölkerten. „Viele berichten, dass sie in diesem Jahr noch keinen einzigen der stacheligen Schneckenliebhaber bei sich gesehen haben.“ Für die Gerbrunner Igelfreunde Beleg dafür, dass nicht etwa die Zahl der hilfebedürftigen Tiere sinkt, sondern die Zahl der Igel generell.
Bei aller Dramatik, den noch vorhandenen Tieren - ob Igel, Insekt oder Vogel - kann jeder auf einfach Weise helfen. „Jeden Tag nasses Katzendosenfutter und eine Schale Wasser (niemals Milch) in den Garten stellen und wenigstens in einer Ecke im Garten nicht aufräumen, sondern Laub und abgeschnittene Äste liegen lassen.“ Damit nicht Nachbars Katze sich das Futter holt, stülpt man über den Napf eine einfache Box aus dem Baumarkt, in die man ein Einschlupfloch schneidet und beschwert sie mit einem Stein.
Füttern und in Ruhe lassen
Noch etwas sollte sich jeder verinnerlichen: „Igel sind Wildtiere und können normalerweise problemlos im Freien den Winter überleben.“ Allenfalls füttern und sonst in Ruhe lassen sind die obersten Gebote, sagt Martin. Wer bei einem der unter Naturschutz stehenden Igel Zweifel hat, sollte das Tier wiegen. Ist es zu leicht (unter 300 Gramm) oder eindeutig krank oder verletzt, sollte er direkt bei uns anrufen. „Im Karton im Keller verenden die Tiere oft elendig.“
Kontakt zur Igelstation Gerbrunn: Tel. (09 31) 30 48 96 08