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WÜRZBURG
Zockende Kinder: Hilfe für betroffene Eltern
Sozialarbeiter, Erzieher und Lehrer setzten sich in Würzburg mit Chancen und Gefahren digitaler Medien auseinander
Foto: Pat Christ | Sozialarbeiter, Erzieher und Lehrer setzten sich in Würzburg mit Chancen und Gefahren digitaler Medien auseinander
Redaktion
 |  aktualisiert: 27.04.2023 06:20 Uhr

„Sagt mal, wer von euch glaubt, dass er süchtig nach seinem Smartphone ist?“ Stellt Stefanie Greß, Suchtpräventionsfachfrau des Diakonischen Werks, diese Frage, schnellen die Hände im Klassenzimmer hoch. Die Kids können sich eine Leben ohne Handy nicht mehr vorstellen. Wobei die Selbsteinschätzung der Schüler dramatischer klingt als die Situation ist, so Greß: „Auf wirklich bedenkliche Internetabhängigkeit stoße ich vielleicht einmal im Jahr.“

Wer nachts zockt ist in der Schule müde

Wann beginnt das mediale Verhalten eines Jugendlichen bedenklich zu werden? Über diese Frage diskutierten 120 Sozialarbeiter, Erzieher, Lehrer und Therapeuten beim vierten Würzburger Fachtag Suchtprävention, einer Gemeinschaftsveranstaltung der Würzburger Diakonie und der Stadt. Der Tag machte deutlich: Wo immer Erwachsene es mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, spielt das Thema „Digitale Medien“ eine Rolle – und zwar oft eine problematische.

„Wir haben ständig damit zu tun“, sagt Lucas Wejda, Schulsozialarbeiter an der Mittelschule Zellerau. Wenn Wejda übermüdete Kinder fragt, warum sie unausgeschlafen sind, würden diese zumindest manchmal zugeben, dass sie bis drei Uhr morgens am Computer oder am Handy gespielt haben.

Wenn das Handy am Bett liegt

Neulich hörte der Schulsozialarbeiter einen Jungen zum anderen sagen: „Warum hast du mir um halb vier morgens eine WhatsApp geschickt?“ Das, so Wejda, sei Normalität: „Das Handy liegt nachts neben dem Bett. Die Kids kommen nicht zur Ruhe.“

Uwe Milz kennt das Problem. Er ist IT-Fachlehrer und Suchtbeauftragter des Beruflichen Schulzentrums für Wirtschaft und Datenverarbeitung. Die meisten Jugendlichen, die hier den theoretischen Teil ihrer Ausbildung lernen, sind technikaffin. Milz: „Sie zocken bis um 5 Uhr früh, morgens hängen sie mit dem Köpfen auf dem Tisch im Unterricht.“ In jeder Klasse sitzt nach seiner Beobachtung ein Jugendlicher, der seinen Medienkonsum nicht mehr im Griff hat. „Wir kommen an die Jugendlichen kaum heran, es ist echt frustrierend.“

Was sind die Ursachen für Internetsucht?

Manchmal schaffen es Eltern oder Lehrer, einen Jugendlichen dazu zu bewegen, sich an die Drogenberatungsstelle der Stadt zu wenden. Fabian (Name geändert), ein 15-Jähriger aus dem Landkreis, ist aktuell bei Einrichtungsleiter Holger Faust in Beratung.

Fabian wechselte die Schule. In der neuen Klasse fand er keinen Anschluss. Auch in dem kleinen Dorf, in dem er wohnt, hat er keine Freunde. „Er spielte jeden Tag nach der Schule acht bis zehn Stunden“, sagt Faust. Am Wochenende auch mal 16.

Durch die Beratung sah Fabian ein, dass dies nicht gut ist. Nun arbeitet der Junge daran, seine Lust an Computerspielen auf vier Stunden am Tag zu beschränken.

Faust suchte mit ihm nach Alternativen zum Zocken wie Schwimmen und Skateboard-Fahren. Vor allem half ihm ein Praktikum in einem Handwerksbetrieb. Jetzt ist er abends müde.

24 Stunden spielen und dann darüber reden

Um Internetsucht vorzubeugen, ist es laut Andreas Weis von der Würzburger Jugendeinrichtung Café Dom@in wichtig, jungen Menschen Räume zu eröffnen, wo sie in Begleitung von Erwachsenen Erfahrungen mit digitalen Medien machen können.

Das Café Dom@in ist solch ein Raum. Neben Kicker, Billard und Darts gibt es hier Computer zum Zocken und Spielekonsolen. „Heuer haben wir zum ersten Mal eine Cyber-Night veranstaltet“, sagt Weis. 24 Stunden lang durften die Jugendlichen zocken. Viele kamen und gingen. Und einige blieben tatsächlich 24 Stunden lang wach. Hinterher redeten sie über das, was sie erlebt haben.

„Es gibt viel zu wenige Reflexionsräume dieser Art“, kritisiert Lambert Zumbrägel, Medienfachberater des Bezirksjugendrings in Unterfranken. Zu schnell urteilen Erwachsene nach seiner Ansicht über das mediale Verhalten von Jugendlochen, ohne mit diesen selbst zu reden. Auf diese Weise, so Zumbrägel, komme man freilich nicht an Jugendliche heran.

Beim Fachtag plädiert der Medienexperte außerdem dafür, in Würzburg eine Medienerziehungsberatungsstelle zu etablieren. Eltern seien momentan in puncto Medienerziehung völlig alleingelassen. Wann soll mein Kind sein erstes Smartphon bekommen? Wie viel Medienkonsum ist in welchem Alter angemessen? Eine solche Anlaufstelle einzurichten, ist Zumbrägel überzeugt, würde präventiv wirken.

 
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