"Ich kann mich von allem trennen", sagt Josephine Lützel und lässt ihren Blick durch ihre idyllisch am Mainufer gelegene Werkstatt in Winterhausen (Lkr. Würzburg) schweifen. Hämmer, Formeisen, Modelle aus Papier, Dreh- und Werkbank; in Glasvitrinen und im Nebenraum sind ihre Werke ausgestellt.
Josephine Lützel ist Silberschmiedin. Seit 1994 entwirft und fertigt sie ihre eigenen Kollektionen – zeitlos elegante Gebrauchsgegenstände wie Teekannen, Pfeffermühlen, Obstschalen, Kerzenständer, Silberbecher, Vasen. Viel Herzblut steckt in ihren Arbeiten, immer wieder erhielt sie Preise für ihre Werke, von denen sich einige in öffentlichen Sammlungen von Museen befinden.
- Lesen Sie auch: Allerlei Silbriges: Zwölf Fakten rund um Silber
Doch nun ist es vorbei: Nach 25 Jahren intensiven Schaffens hat Josephine Lützel zu ihrer letzten Ausstellung eingeladen – unter dem symbolträchtigen Titel "Zäsur". Ein letztes Mal hat sie Kollegen, Freunde und Kunden in ihrer Werkstatt versammeln, ein letztes Mal ihre gesammelten Werke präsentiert. Als am Sonntagabend die letzten Besucher gegangen sind und die 58-Jährige die Tür ihrer Werkstatt hinter sich zuschließt, schließt sie auch mit einem großen Kapitel ihres Lebens ab. Dass Lützel ihre Arbeit als Silberschmiedin aufgeben muss und will, steht für sie seit dem Sommer fest. Es ist keine leichte Entscheidung und sie ist nicht ganz freiwillig.
Ein Radunfall 2017 im Piemont bringt die Zäsur
Im Frühjahr 2017 ist Josephine Lützel mit ihrem Mann im Piemont unterwegs und erleidet dort mit dem Rennrad einen schweren Unfall. Eine Woche liegt sie in Italien im Krankenhaus. "Von dem Unfall bis zur Verlegung in ein Krankenhaus nach Murnau habe ich eine Gedächtnislücke", sagt Lützel. Sie erinnert sich an nichts, wohl aber an die Prognose der Ärzte: Ob sie je noch einmal laufen könne, sei unklar. "Anfangs konnte ich nur meinen rechten Arm auf und ab bewegen", so Lützel.
Doch während ihr Mann überlegt, wie man das Zuhause in Winterhausen rollstuhlgerecht umbauen könnte, plant Josephine Lützel vom Rollstuhl aus ihre nächste Ausstellung. "Mir war immer klar, dass ich wieder laufen werde", sagt sie bestimmt. Ihre Entschlossenheit und zwei Rehas helfen ihr, wieder auf die Beine zu kommen – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit eisernem Willen arbeitet sich Lützel vom Rollstuhl zum Rollator, vom Rollator zu Nordic-Walking-Stöcken. Heute braucht sie keine Gehhilfen mehr.
Ein Jahr lang hilft ein Kollege der Silberschmiedin bei der Werkstattarbeit. Doch langsam macht sich in ihr die Erkenntnis breit, dass sie ihren Beruf nie wieder in der bisherigen Form ausüben werden kann. "Seit einem guten Jahr ist klar, dass ich so nicht mehr weitermachen kann." Eine linksseitige Lähmung im Arm und in einigen Fingern erschwert das präzise Arbeiten, auch die nötige Kraft fehlt. "Ich spüre nur noch einen Bruchteil meiner Hände und Füße", sagt Lützel.
Die Ausstellung als Schlusspunkt
Dass die Arbeiten am Werktisch zum Teil bedeutend länger dauern als vor dem Unfall, dass sie nicht mehr so belastbar ist und immer wieder um Hilfe bitten muss, ärgert Lützel. "Der Tag ist anstrengender als zuvor, die Krankheit zieht viel Energie ab, die ich sonst in andere Dinge stecken konnte." Denn: "Selbständig zu sein, bedeutet ja auch, die Buchführung zu machen, an Messen, Ausstellungen und Wettbewerben teilzunehmen, im Gespräch zu bleiben – das läuft oft auf mehr als einen Acht-Stunden-Tag hinaus."
Natürlich habe sie auch mit sich gehadert und sich gefragt, "ob es noch Möglichkeiten gibt", sagt Lützel. Und doch steht für sie fest, dass sie ihre Werkstatt schließen, ihr Inventar und ihre Werke verkaufen und einen Neustart wagen will. Einen "freiwillig unfreiwilligen Beschluss" nennt sie ihre Entscheidung. "Ich bin dankbar, wie viel Glück ich nach dem Unfall hatte." Die Ausstellung soll der Schlusspunkt eines großen Kapitels ihres Lebens sein – eine Zäsur, die Platz schafft für Neues.
"Das ist schon eine extreme Veränderung für uns", sagt Markus Lützel, Würzburger Geigenbauer und Mann von Josephine Lützel, während er auf der Ausstellung seiner Frau beim Gespräch mit einer Kundin zuschaut. "Wenn man etwas so intensiv ausübt, wie meine Frau ihren Beruf, ist das ein großer Teil von einem." Mit weißen Handschuhen präsentiert Lützel der Kundin eine Teekanne, einer ihrer ersten Entwürfe, bei dem nicht nur das formschöne, schlichte Äußere überzeugt. "Wenn jemand viel Geld für ein Unikat ausgibt, soll nicht nur die Ästhetik, sondern auch die Funktionalität bedient werden", betont Lützel.
Der Beruf des Silberschmieds wird immer schwieriger
Und das ist die Herausforderung: "Teetrinker brauchen in der Regel morgens einen Liter Tee", sagt Lützel; die Kanne muss also ein bestimmtes Volumen haben. Zum Gewicht des Tees kommt das Gewicht des Materials – dabei darf die Kanne insgesamt nicht zu schwer werden. Ebenfalls essentiell: Der Winkel der Schnaupe zum Körper der Kanne muss stimmen, damit es beim Ausgießen nicht tropft. Über 100 Stunden Arbeit stecken in einem solchen Werk; der Kaufpreis liegt im mittleren vierstelligen bis fünfstelligen Euro-Bereich.
Die Silberschmiedin ist es gewöhnt, dass manch potenzieller Kunde erst einmal zusammenzuckt, wenn er den Preis für eines ihrer Werke hört. Doch Silberinteressierte wissen um den Wert, den Lützels Unikate haben. Eine Frau etwa, die sich für eine Obstschale begeisterte, sie sich aber zunächst nicht leisten konnte, meldete sich fünf Jahre später wieder: Sie hätte ihre Lebensversicherung ausgezahlt bekommen – und würde einen Teil davon gern in die Schale investieren. Eine andere Kundin, erzählt Lützel, gönnt sich jedes Jahr zu Weihnachten einen Espressolöffel.
Wer sind ihre Kunden? Lützel überlegt kurz: „Galeristen und Privatkäufer“, sagt sie dann. „Menschen, die Wert auf einen gut gedeckten Tisch und Ästhetik legen; Menschen, die Spaß am Essen haben und gern genießen.“ Insgesamt werde der Beruf des Silberschmieds immer schwieriger, sagt Lützel. "Die Leute besitzen sehr viele Dinge – um Silber muss man sich aber kümmern und es regelmäßig putzen." Des öfteren höre sie die Beschwerde, dass Silber anlaufe. Doch: "Wer das geerbte Silberbesteck nur an Weihnachten rausholt, sollte sich nicht ärgern, wenn es schwarz ist, sondern es lieber das ganze Jahr über nutzen, dann läuft es längst nicht so schnell an."
Immer wieder wollen Gäste der Ausstellung mehr über das Aus der Silberschmiede wissen. Josephine Lützel begegnet den Fragen mit großer Geduld: "Es ist gut, immer wieder darüber zu sprechen und zu sagen: ,Es ist jetzt so.' Das macht auch was mit einem." Ihr offizieller Abschied soll Platz für Neues machen, so ihr Wunsch.
Josephine Lützel ist auf der Suche nach etwas Neuem
Wie dieses Neue konkret aussehen soll, weiß Lützel noch nicht. "Ich möchte gern vielseitig arbeiten und Kontakt mit Menschen haben, am liebsten in Teilzeit in einem Angestelltenverhältnis", sagt sie. Einen Bürojob am PC kann sie sich weniger vorstellen. Aber sie ist optimistisch, "dass ich etwas finden werde, was mir zusagt".
Nach der letzten Ausstellung will sie im neuen Jahr nun ihre Werkstatt nach und nach auflösen. "Meine kleine Drehbank und die Werkzeuge nehme ich aber mit", sagt sie. "Ich will nicht ausschließen, dass ich im stillen Kämmerlein handwerklich das ein oder andere mache – zu meinen Bedingungen."