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Würzburg
Würzburger Uiguren-Experte Alpermann: "China begeht einen kulturellen Genozid"
Ein riesiges Datenleck belegt aktuell die Verfolgung der Uiguren in Nordwestchina. Wie Sinologe Björn Alpermann die erschütternden Bilder bewertet.
Dokumente und Bilder belegen nun die Unterdrückung: Systematisch werden Uiguren in staatlichen chinesischen Internierungslagern misshandelt.
Foto: xinjiang police files/obs | Dokumente und Bilder belegen nun die Unterdrückung: Systematisch werden Uiguren in staatlichen chinesischen Internierungslagern misshandelt.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:09 Uhr

Die Veröffentlichung geheimer Dokumente und Bilder aus chinesischen Polizei-Computern sorgt weltweit für Aufsehen: Massenhaft interniert die chinesische Zentralregierung demnach in der Region Xinjiang Angehörige der Uiguren in Umerziehungslagern. Der Würzburger China-Experte Prof. Björn Alpermann beschäftigt sich seit Jahren mit der Unterdrückung der muslimischen Volksgruppe. Der 49-jährige Sinologe ist Professor für Moderne China-Studien an der Universität Würzburg und hat vor wenigen Monaten erst ein Buch zur Situation der Uiguren herausgebracht. Wie bewertet Alpermann die aktuellen Vorgänge?

Frage: Herr Alpermann, haben Sie die Enthüllungen der Xinjiang Police Files überrascht?

Prof. Björn Alpermann: Überrascht hat mich das Ausmaß des Datenlecks. Inhaltlich bestätigt sich dadurch vieles, was uns schon aus anderen Quellen berichtet wurde – zum Beispiel von Augenzeugen, die selbst in Lagern eingesperrt waren. Punktuell erfahren wir auch Neuigkeiten, etwa die Verantwortung der Zentralregierung für die Unterdrückungsmaßnahmen.

Was ist das eigentlich Besondere an diesen Dokumenten?

Alpermann: Zum einen das Datenleck als solches: Die chinesischen Behörden haben ihre Computer offenbar nicht so gut geschützt, dass sie undurchdringlich sind. Zum anderen bekommen wir durch Dokumente und Bilder bewiesen, wie die Behandlungsmethoden in diesen Umerziehungslagern tatsächlich sind. Dass Menschen in Hochsicherheitstrakten weggesperrt und verhört werden. Dass es bei Fluchtversuchen einen Schießbefehl gibt . . .

Der Würzburger China-Forscher Björn Alpermann von der Universität Würzburg beschäftigt sich seit Jahren mit der Verfolgung der Uiguren und der Menschenrechtslage in China.
Foto: Thomas Obermeier | Der Würzburger China-Forscher Björn Alpermann von der Universität Würzburg beschäftigt sich seit Jahren mit der Verfolgung der Uiguren und der Menschenrechtslage in China.
Ein Schießbefehl, der offenbar vom regionalen Parteichef angeordnet wurde. Bringen die Dokumente die chinesische Regierung unter Druck?

Alpermann: Es wird jedenfalls klar, dass es sich nicht um "Bildungsmaßnahmen" handelt, wie das die chinesische Regierung darstellt, sondern dass die Menschen in Umerziehungslagern wie in Gefängnissen gehalten werden. Die vorliegenden Reden zeigen die direkte Involvierung der Zentralregierung. Die oberste Staats- und Parteiführung ist über das Geschehen in Xinjiang nicht nur informiert, sondern es wird augenscheinlich von Peking aus koordiniert und finanziert.

Sehen Sie einen Grund, warum die Dokumente gerade jetzt enthüllt wurden?

Alpermann: Ich denke, der Anlass ist der laufende Besuch der UN-Menschenrechtskommissarin in der Region. Er hatte sich lange verzögert, weil sich die UNO und die chinesische Seite nicht über die Bedingungen einigen konnten. Die UNO wollte verhindern, dass der Besuch zum Propaganda-Erfolg für Peking ausgeschlachtet wird. Die aktuellen Veröffentlichungen scheinen mir genau darauf abzuzielen. Damit werden die Geschehnisse in Xinjiang der Öffentlichkeit drastisch vor Augen geführt.

Wen vermuten Sie hinter den Enthüllern?

Alpermann: Wer sich tatsächlich in die chinesischen Polizei-Computer gehackt hat – da könnte ich nur spekulieren. Laut Adrian Zenz, dem die Dokumente zugespielt wurden, war ein Individuum aus eigener Motivation und ohne Bezahlung am Werk.

Zenz ist Kulturanthropologe und hat sich einen Namen als Uiguren-Experte gemacht. Manche sehen ihn wegen seines wissenschaftlichen und evangelikalen Hintergrundes auch kritisch. Was sagen Sie?

Alpermann: Adrian Zenz hat mit seiner Arbeit viel zur Aufdeckung der Verhältnisse in Xinjiang beigetragen. Er hat als einer der ersten die Alarmglocken geläutet und auf den Aufbau des Lagersystems aufmerksam gemacht. Auch an anderen Stellen hat er Pionierarbeit geleistet, hat neue Quellen erschlossen. Das muss man ihm hoch anrechnen, auch wenn man sich nicht alle seiner Positionen zu eigen macht.

Zenz recherchiert ausschließlich übers Internet und nicht vor Ort - ein Kritikpunkt?

Alpermann: Das würde ich nicht sagen. Es ist im Grunde unmöglich, vor Ort Forschungsarbeit zu leisten. Die chinesischen Behörden schränken den Zugang zur Region systematisch ein. Jemand wie Adrian Zenz würde nicht einmal ein Visum für China bekommen oder Gefahr laufen, dort verhaftet zu werden.

Er war es auch, der die Zahl von einer Million inhaftierter Uiguren hochgerechnet hat. Wie realistisch ist eine solche Größenordnung?

Alpermann: Ja, es handelt sich um eine geschätzte Zahl, die Zenz 2018, 2019 unter anderem aus Bauausschreibungen für die Internierungslager errechnet hat. Mit einer anderen Methodik auf Grundlage der Essenssubventionen kam er sogar auf 900.000 bis 1,8 Millionen Lagerinsassen. Die Frage ist, ob die Lager heute noch in dieser Größenordnung existieren. Denn es gibt Anzeichen, dass viele Insassen in Industriearbeiterjobs mit entsprechender Überwachung entlassen wurden. Manche sprechen von Zwangsarbeit. Ein anderer Teil wurde dagegen mit langjährigen Haftstrafen in Gefängnisse gesteckt.

Uigurische Türken in der Nähe der chinesischen Botschaft in Ankara:  Eine kleine Gruppe von Uiguren protestierte am Dienstag gegen den Besuch der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in China. 
Foto: Burhan Ozbilici, dpa | Uigurische Türken in der Nähe der chinesischen Botschaft in Ankara:  Eine kleine Gruppe von Uiguren protestierte am Dienstag gegen den Besuch der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in China. 
Sie selbst sprechen von einem kulturellen Genozid an den Uiguren. Was meinen Sie damit?

Alpermann: Die chinesische Zentralregierung versucht, mit einem Bündel an Maßnahmen, die ethnische Identität der Uiguren und anderer Turkvölker auszulöschen beziehungsweise so umzuformen, dass von der ursprünglichen Identität – etwa mit Blick auf die Islam-Gläubigkeit – nicht mehr viel übrigbleibt. So wird immer früher das Hochchinesisch als Unterrichtssprache eingesetzt, das Uigurische und andere Turksprachen werden verdrängt. Mit einer staatlich verordneten Geburtenkontrolle wurde die Geburtenrate in der Region innerhalb von nur zwei Jahren fast halbiert.

Die UN-Menschenrechtskommissarin ist gerade vor Ort. Was erwarten Sie von ihr?

Alpermann: Es gibt seit längerer Zeit einen Bericht über das Vorgehen der chinesischen Regierung in der Region, der zum großen Teil auf Aussagen von Geflüchteten beruht. Der Bericht ist bis heute unter Verschluss geblieben. Ich würde mir sehr wünschen, dass er - verbunden mit den aktuellen Erkenntnissen - endlich publiziert wird.

Und was müsste politisch daraus folgen? Sanktionen?

Alpermann: Es gibt ja schon einige EU-Sanktionen, die bisher nicht gefruchtet haben. Nötig wäre aus meiner Sicht eine noch pro-aktivere Xinjiang-Politik. Die Probleme müssen gegenüber China deutlicher thematisiert werden, im direkten Gespräch. Zum anderen sollten wir noch stärker mit anderen demokratischen Ländern zusammenarbeiten, um eine gemeinsame China-Politik zu formulieren und Fehler zu vermeiden, wie sie im Falle Russlands gemacht wurden.

Ist auch die deutsche Wirtschaft gefordert? Profitiert sie gar von uigurischer Zwangsarbeit?

Alpermann: Es ist nicht auszuschließen, dass auch in Lieferketten deutscher Unternehmen uigurische Arbeit steckt. Ob dies im Einzelnen dann Zwangsarbeit ist, lässt sich von außen nur schwer beurteilen. In jedem Fall sind europäische oder nordamerikanische Firmen gut beraten, ihre Lieferketten unter ethischen Gesichtspunkten genauer unter die Lupe zu nehmen. Vorangehen müssen hier aber die Regierungen.

 
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Kommentare
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  • uwe.luz@t-online.de
    Deswegen schreibe ich in diesem Forum seit geraumer Zeit immer wieder:

    Kauft keine chinesischen Waren!

    Jeder kann seinen Teil dazu beitragen, dass der Druck auf China steigt.
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  • gowell70@yahoo.de
    Immer daran denken:

    Bevor Helmut Kohl und andere anfingen, China als Billigproduktionsstätte zu missbrauchen sind die Chinesen und Chinesinnen Fahrrad gefahren und hatten blaue Einheitsanzüge an.
    Und schon am Beginn der Globalisierung konnte jeder Mensch wissen, welche Massaker China in Tibet seit 1950 anrichtet.

    Was mit dem uigurischen Volk passiert,ist ebenfalls seit langem bekannt.

    Gut, jetzt liegen durch dieses Datenleck die Fakten klar aufm Tisch; aber die plötzliche Empörung ist heuchlerisch und scheinheilig
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  • gowell70@yahoo.de
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln (fehlender Bezug zum Artikel) auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • rasputin32
    Und Schießbefehle bei Fluchtversuch hatten wir doch auch schon vor der Haustüre.
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  • rasputin32
    Solange die uiguristische Unabhänigkeitsorganisation ETIM auf der Terroristenliste der USA stand, und die USA sogar die Zerstörung von Ausbildungslägern der ETIM in Afghanistan meldete, interessierte diese Thema niemanden.
    So wenig , wie das amerikanische Foltergefängnis Quantanamo auf Kuba oder ein gutes Dutzend weiterer Foltergefängnisse auf der ganzen Welt keine Beachtung erzielten.
    Auch die Skelettfunde tausender indigener Kinder an Umerziehungsinternaten in Kanada wühlten die Welt nicht auf.
    Kommen aber solche Meldungen aus Rußland oder China, wacht die Medienwelt auf.
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  • ralfestenfeld@aol.com
    Nichts Neues. Alles, was dem Kommerz dient, wird moralischem Anspruch untergeordnet. Und das ist völlig unabhängig von der politischen "Farbe". Und das seit Jahrzehnten. Vor allem gegenüber China.
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