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Würzburg
Würzburger Startup hilft: Wie Unternehmen ihre Belegschaft diverser machen – und damit attraktiver werden
Im IT-Bereich wimmelt es von neuen kleinen Firmen. Aber können auch Inklusion und Antidiskriminierung ein Geschäftsmodell sein? Die "Denkfabrik Diversität" will es beweisen.
Treten für mehr Diversität und gegen Diskriminierung in Unternehmen und Einrichtungen ein: Rassismusforscher Dr. Julien Bobineau und Startup-Mitgründerin Catherina Crasser.
Foto: Patty Varasano | Treten für mehr Diversität und gegen Diskriminierung in Unternehmen und Einrichtungen ein: Rassismusforscher Dr. Julien Bobineau und Startup-Mitgründerin Catherina Crasser.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 20:44 Uhr

Die Arbeitswelt ist im Umbruch, fast überall fehlen Fach- und Hilfskräfte. Umso wichtiger wird für Unternehmen eine Personalpolitik, die den gesellschaftlichen Wandel abbildet. Belegschaften sollen diverser werden – also gut gemischt mit Blick auf Geschlecht und Alter, inklusiv und offen für Menschen mit Migrationshintergrund oder einer Behinderung.

EU führt Prüfberichte zur Einhaltung sozialer Standards ein

Das Würzburger Startup "Denkfabrik Diversität" hat sich genau darauf spezialisiert und berät Unternehmen und Einrichtungen. Der Bedarf ist schon deshalb groß, weil die EU die sozialen Nachhaltigkeitsstandards stufenweise verschärft und von den Firmen Prüfberichte verlangt – auch zur Diversität. Aber taugt sie als Geschäftsmodell?

Jeder dritte Angestellte hat einer Umfrage zufolge schon einmal Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt. Dies ergab erst vor kurzem eine europaweite Umfrage der Beratungs- und Prüfungsgesellschaft EY. Auffallend: War die Führungsebene in den Unternehmen divers und inklusiv aufgestellt, kam es zu weniger Fällen von Diskriminierung.

Im sogenannten "Cube", einem würfelförmigen Gebäude am Würzburger Hubland, sitzen vor allem IT-Firmen. Das Zentrum für digitale Innovationen (ZDI) gibt hier jungen Unternehmen eine Startchance. Die "Denkfabrik Diversität" zählt dabei zu den Exoten. Nicht Künstliche Intelligenz oder technische Entwicklungen stehen im Vordergrund, sondern Beratung und Schulung zur personellen Vielfalt und Antidiskriminierung. Noch reichen zwei 20 Quadratmeter kleine Räume. Die Gründer sind überzeugt, ein Zukunftsthema zu bearbeiten.

Vor einem knappen Jahr sind sie in den "Cube" eingezogen, im Januar kam ein zweiter Raum dazu. Die vier fest angestellten Kräfte arbeiten mit fünf Werkstudierenden zusammen. Mitinitiiert wurde das Startup vom Würzburger Unternehmer Andreas Möller, Inhaber des Kran- und Arbeitsbühnenverleihers Möller manlift. Ein Investment, das sich früher oder später rechnen soll.

Unterstützt von Möller manlift: Erfahrung aus Wirtschaft und Wissenschaft

Firmenchef Möller hatte die gesellschaftliche Bedeutung von Diversität und Inklusion erkannt. Gemeinsam mit dem promovierten Romanisten und Rassismusforscher Julien Bobineau entstand die Idee, einen "Think Tank" dazu zu gründen, Erfahrungen aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammenzubringen.

Bobineau war Mitarbeiter an der Uni Würzburg und forscht aktuell noch im Rahmen seiner Habilitation an der Uni Jena. Das Thema Diskriminierung beschäftigt ihn schon lange. So hielt er in der Vergangenheit bereits rassismuskritische Schulungen für Azubis der Bereitschaftspolizei.

Der 37-Jährige ist der akademische Kopf des Startups, seine Mitgründerin Catharina Crasser (26) bringt als studierte Diversitätsmanagerin Struktur ins Unternehmen. Anfang 2025 wollen die beiden zusammen mit Möller das Startup in eine eigenständige GmbH überführen. "Das ist eine sehr softe Gründung", findet Crasser. Sie weiß: Nicht selten verschwinden Startups so schnell wie sie gekommen sind.

Im 'Cube' am Würzburger Hubland bietet das Zentrum für digitale Innovationen (ZDI) jungen Startups Platz für die Zeit der Gründungsphase.
Foto: Johannes Kiefer | Im "Cube" am Würzburger Hubland bietet das Zentrum für digitale Innovationen (ZDI) jungen Startups Platz für die Zeit der Gründungsphase.

Die drei sind überzeugt, dass es einen Markt für ihre Dienstleistung gibt. "Wir betrachten Diversität nicht ideologisch", sagt Bobineau, "das überlassen wir Aktivisten." Es gehe um den unternehmerischen Gewinn. Die Botschaft lautet: Wer sich divers und inklusiv aufstellt, ist der attraktivere Arbeitgeber.

Die Denkfabrik hilft mit Trainings und Schulungen: Wie finden jung und alt zusammen? Wie verteilt sich die Elternzeit gerechter? Wie kommen Frauen verstärkt in Führungspositionen? Wie spricht man Azubis mit Migrationshintergrund an? Welche Chancen haben Menschen mit Behinderung in meinem Unternehmen?

Die persönliche Beratung ist zeitintensiv. Deshalb arbeitet man auch an digitalen Lösungen, unter anderem mit der Uni Würzburg. Solche Module könnten das Jungunternehmen schneller in die Gewinnzone bringen. Erste Anfragen und Aufträge sind da. So berät man den Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund und die Bundeszentrale für Politische Bildung bei einem Antidiskriminierungsvideo, das im Vorfeld der Europameisterschaft laufen soll. 

Beratungs- und Prüfbedarf bei Firmen durch EU-Berichterstattungspflicht 

Den Firmengründern geht es nicht ums schnelle Geld, sondern um eine gute Marke. "Wir sehen das als Dauerlauf, nicht als Sprint", sagt Bobineau. Er hat keinen Zweifel, dass durch die EU-Standards für die soziale Nachhaltigkeit der Beratungs- und Prüfbedarf bei Unternehmen wächst.

Sie haben nun eine Berichterstattungspflicht, die über die kommenden Jahre ausgedehnt wird. Wobei die Sozialstandards nicht nur für die eigene Belegschaft gelten, sondern auch für Unternehmen der Lieferkette, betroffene Gemeinschaften – zum Beispiel indigene Völker – und die Verwendung von Produkten durch die Endnutzer.

Rassismusforscher Julien Bobineau ist am 30. April einer der Gäste beim nächsten "Kellergespräch" von Main-Post und Juristen-Alumni-Verein der Uni Würzburg. Ab 19 Uhr geht es im Max-Stern-Keller (Alte Universität) um "Racial Profiling" und die Frage, welche Rolle diskriminierende oder rassistische Klischees bei Polizeikontrollen spielen. 

 
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