Seit dem 1. September ist Tobias Winkler der Würzburger Hilfsorganisation "Liebe im Karton" auf der Insel Lesbos im Flüchtlingscamp Moria. Geplant war, sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen und im Winter mit Weihnachtsboxen und notwendigen Hilfsgütern wiederzukommen. Am Mittwoch sollte es zurück in die unterfränkische Heimat gehen. Doch es kam anders. In der Nacht auf Mittwoch brannte es im Camp. Winkler cancelte seinen Rückflug und beschloss zu helfen. Im Interview berichtet der 36-Jährige von der katastrophalen Lage vor Ort.
Frage: Wie haben Sie das Feuer im Camp erlebt?
Tobias Winkler: Gegen Mitternacht haben wir die erste Meldung bekommen, dass im Camp ein Brand ausgebrochen sei. Gebrannt hat es an mehreren Stellen und mit dem starkten Wind hat sich das Feuer sehr schnell verbreitet. Nach Schätzungen sollen 30 bis 40 Prozent des Camps abgebrannt sein.
Ein plötzliches Feuer mitten in der Nacht. Wie haben die Menschen reagiert?
Winkler: Wir waren die ganze Nacht im Einsatz und es lief alles sehr friedlich ab. Die Menschen im Camp sind dann einfach losgelaufen, ohne Plan oder Organisation. Das war ein nicht endender Zug an Flüchtlingen auf der Flucht. Tausende von Menschen, die ohne Plan durch die Straßen laufen und sich irgendwann mit ihren Schlafsäcken und Sachen in die Straßen gelegt haben zum Schlafen. In der Nacht hat dann ein Gerücht die Runde gemacht, dass am Hafen ein Schiff nach Athen ablegen soll. Das war die Hoffnung, deswegen wollten alle Menschen zum Hafen.
Ist denn keine Panik ausgebrochen?
Winkler: Wir haben keine schreienden Menschen erlebt, die total schockiert waren. Die Menschen hier machen ja seit Monaten die Hölle durch, mit all den Verbrechen und den steigenden Corona-Infektionen. Deswegen ist das für sie auch eine Erlösung, wenn das Camp weg ist, denn alles andere, was jetzt noch kommt, kann eigentlich nur besser sein. Andererseits war der Brand auch ein absoluter Verlust von dem, was die Menschen überhaupt noch hatten. Hier sind viele Familien, die jetzt alle auf der Straße sitzen.
Wie ist die Lage am Tag danach?
Winkler: Der Brand ist unter Kontrolle, aber es sind noch vereinzelte Schwelbrände vorhanden. Den Rauch riecht man immer noch. Die Situation ist aber immer noch ein absoluter Ausnahmezustand. Straßenzüge sind komplett gesperrt. Überall gibt es Polizeisperren, die versuchen die Menschen daran zu hindern, in die Stadt vorzudringen. Knapp 13 000 Menschen sind gerade auf der Straße und keiner weiß, wie es weitergeht.
Was glauben Sie, wie ist der Brand entstanden?
Winkler: Ich kann nur mutmaßen, aber das Thema Corona hat die Lage verschärft. Die Zahl der Infektionen ist gestiegen und Ausgangssperren wurden verhängt. Die Menschen waren im Camp regelrecht eingesperrt und durften nicht einmal mehr einkaufen gehen. Auch hier gibt es Menschen, die Corona leugnen und sich nicht testen lassen wollen. In den Corona-Teststationen ist laut unseren Informationen auch das Feuer entstanden. Es kann aber auch andere Gründe haben. In der Vergangenheit gab es bereits rechte Gruppierungen, die das Camp angezündet haben. Wer hinter dem Brand steckt, wird man wohl nie herausfinden.
Wie sieht die Lage für die Helfer aus?
Winkler: Der Brand war für uns nicht ganz so schlimm. Wir haben zwar seit letzter Nacht die ganze Zeit im Rauch verbracht, aber da das Feuer unter Kontrolle ist, besteht keine Gefahr mehr. Allerdings ist die Stimmung den Helfern gegenüber aggressiv. Heute Nacht wurden wir von zwanzig Männern angegriffen, die uns nicht nur Angst einjagen wollten. Die sind mit Stöcken und Stangen auf uns losgegangen. Das war eine Art Bürgerwehr. Einheimische, die aggressiv mit Selbstjustiz gegen Geflohene und Helfer vorgehen. Gewalttaten solcher Gruppierungen gibt es immer wieder. Aber wir bleiben so lange hier um zu helfen, wie es erforderlich ist.
Was brauchen die Menschen in der jetzigen Situation?
Winkler: Was wir jetzt vor Ort benötigen ist schnelles und gezieltes Handeln. Wir brauchen Hilfsgüter, Essen und Trinken. Noch gibt es Lebensmittelvorräte, aber ich denke, in spätestens zwölf Stunden wird sich die Lage nochmals verschärfen. Es ist ein Rennen gegen die Zeit.
Wird es mittelfristig das Camp noch geben?
Winkler: Die Situation ist für alle eine nicht auszuhaltende Belastung und kocht schon seit Monaten hoch. Die Einheimischen und die Flüchtenden werden hier alleine gelassen. Auf europäischer Ebene wird einfach keine Lösung gefunden. Es gab auch schon die Überlegung, einen Zaun ums Camp zu bauen, aber das verstärkt zum einen die Bedenken der Einheimischen, dass das Camp langfristig in ihrem Ort bleiben werde. Zum anderen befürchten die Flüchtlinge, weggesperrt zu werden. Tausende Menschen müssen sich eine Toilette teilen und sind eingeschlossen – und das auch noch zu Corona-Zeiten. Das führt zwangsläufig zu Ausschreitungen. Die Not nimmt hier extrem aggressive und heftige Züge an. Da muss jetzt eine andere Lösung her.
Entwicklungsminister Müller treten Sie zurück Sie haben keine Ahnung!
Man kann zur Flüchtlingsthematik stehen wie man möchte - aber was hier geschieht ist einer modernen, liberalen Gesellschaft wie jene in Europa eine sein möchte nicht würdig!