Auf zwölf Meter Tiefe fällt der Anker. Die noch tief stehende Sonne scheint vom azurblauen wolkenlosen Himmel, das Meer an der türkischen Südküste glitzert und schimmert wie ein mit Lametta überladener Christbaum. Nur schöner. Als der Bordmotor verstummt, herrscht eine fast besinnliche Stille. Sanft plätschern kleine Wellen an die Bordwand, eine einzelne Möwe kreischt, ein Greifvogel kreist über der steilen Felswand, in die die Lykier vor Jahrtausenden Felsengräber geschlagen haben.
Dann durchbricht ein spitzer Schrei die Stille: "Merry Christ…". Die letzte Silbe wird von einem lauten Platschen verschluckt. Zac, ein Freund aus Alaska, ist bereits vom Nachbarboot ins immer noch 24 Grad warme Wasser gesprungen. Inmitten eines Wellenkreises treibt seine kitschige Weihnachtsmütze.
Und dann wird es auch schon hektisch in der eigentlich einsamen Bucht. Boot auf Boot schiebt sich an dem kleinen Leuchtturm auf der Halbinsel vorbei, alle vollgepackt mit Freunden aus der Marina von Kaş, die für vier Jahre mein Heimathafen war. Ankerketten prasseln, Leinen werden von Bord zu Bord geworfen und mehrere Boote zu einem großen Floß vertäut. Bierdosen zischen, Weinkorken ploppen, der Grill zischt und aus den Bordküchen steigt der wohlige Geruch unterschiedlichster kulinarischer Kulturen.
Es ist der 24. Dezember. Und hätte meine türkische Freundin nicht am Bugkorb ein wenig Weihnachtsschmuck angebracht, es hätte auch ein x-beliebiger Sommertag sein können. Wie schon die Jahre zuvor feiern wir mit anderen Seglern aus der ganzen Welt: Südafrika, Australien, der USA, Wales, Russland, England und natürlich der Türkei. Auch wenn in der Türkei Weihnachten kein Feiertag ist.
Die vergangenen vier Jahre habe ich so Weihnachten gefeiert. Zum Traditionsessen wurden die Königsberger Klopse nach einem Rezept meiner Oma, auch wenn kaum einer der ausländischen Freunde den Namen richtig aussprechen kann.
Nein, ich vermisse Weihnachten in Deutschland nicht! Schon gar nicht die hektische Vorweihnachtszeit. Auch nicht den Stau auf der A7 an Heiligabend, wenn gefühlt halb Deutschland in einer riesigen Blechlawine über den nassen Asphalt rollt und Chris Rea gefühlt der einzige Mensch auf Erden zu sein scheint, der "Driving home for Christmas" wirklich zelebriert.
Das größte Geschenk an Weihnachten an Bord ist für mich, dass Geschenke keine Rolle spielen. Stattdessen bereitet jeder etwas vor. Essen und Getränke werden geteilt, und jeder ist willkommen. Ob mit seinem eigenen Boot oder als Gast bei Freunden. Herkunft, Religion oder auch Alter spielen keine Rolle. Alles was zählt, ist ein Tag in guter Gesellschaft.
Wir feiern keine weiße Weihnacht, dafür Weihnacht unter weißen Segeln. Kein Lametta, aber auch kein Lamentieren, wann der Baum aufgestellt wird. Kein Glitter, dafür die glitzernde See. Immerhin tragen wir alle kitschige Weihnachtsmützen, die gibt es sogar in der Türkei zu kaufen. Und auch läuft sicherlich einmal "Last Christmas" von Wham! über die Lautsprecher. Aber wirklich nur einmal. Das reicht für 365 Tage.
In diesem Jahr wird Weihnachten wohl stiller. Wir werden, so alles gut läuft, irgendwo auf dem Atlantik sein. Ohne "Wham!". Dafür sicherlich mit Königsberger Klopsen.
Text: Jens Brambusch
Jens Brambusch war u.a. Redakteur der Main-Post. Er ist heute freier Autor und in seinem Segelboot unterwegs auf den Weltmeeren.
In der Kolumne "Würzburger Adventskalender" schreiben Menschen aus der Region Würzburg Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.