Gerade mal 100 Jahre ist es her, dass in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Am 30. November 1918 trat das Reichswahlgesetz mit dem aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen in Kraft, am 19. Januar 1919 durften Frauen zum ersten Mal reichsweit an einer Wahl teilnehmen.
300 Frauen, die meisten von ihnen Sozialdemokratinnen, kandidierten damals für einen Platz in der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung; 37 wurden gewählt. Die restlichen 386 Abgeordneten, fast 90 Prozent, waren Männer.
Eine Frau der klaren Worte
Es war ein ganz besonderer Moment, als die SPD-Frau Marie Juchacz am 19. Februar 1919 als demokratisch gewählte Parlamentarierin in der Weimarer Nationalversammlung eine Rede hielt. Ihre Einleitung "Meine Herren und Damen" löste laut Protokoll "Heiterkeit" im Hohen Haus aus.
"Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf", sagte die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, die nach der Machtübernahme der Nazis zunächst nach Frankreich emigrierte und schließlich über Martinique in die USA floh.
Dann wurde Marie Juchacz deutlich: "Ich möchte hier feststellen, und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist."
Finnland war Vorreiter
Es war ein langer und steiniger Weg bis zur Einführung des Frauenwahlrechts - und Deutschland war ganz gewiss kein Vorreiter. Finnland, damals ein russisches Großfürstentum, räumte Frauen als erstes europäisches Land 1906 das aktive und passive Wahlrecht ein, Norwegen, Dänemark, Island und Estland zogen nach. 1918 folgten Deutschland, Lettland, Österreich, Polen und Luxemburg. Unrühmliche Schlusslichter sind die Schweiz und Liechtenstein: Die Eidgenossen gaben ihren Bürgerinnen erst 1971 das Stimmrecht, die Liechtensteiner ließen sich sogar bis 1984 Zeit.
Viele Frauen haben hart gekämpft für die Gleichberechtigung. Auch die Würzburger Kinderärztin Klara Oppenheimer, Tochter einer großbürgerlichen jüdischen Familie, 1867 in Paris geboren und 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt von den Nazis ermordet.
Klara Oppenheimer eröffnete 1918 als erste Frau ihre eigene Praxis
Als sie acht Jahre alt war, ließ sich ihre Familie in Würzburg nieder. Mit 22 Jahren machte Klara Oppenheimer in Aschaffenburg das Lehrerinnenexamen, den höchsten Bildungsabschluss, der Frauen damals erlaubt war - und den sie mit Einsamkeit und Enthaltsamkeit bezahlten. Weil man einer Frau nicht zutraute, Beruf und Familie auf die Reihe zu kriegen, galt seit 1880 der "Lehrerinnenzölibat": Wer seine Anstellung behalten wollte, musste auf die Ehe verzichten - und wer heiratete, verlor nicht nur seinen Job, sondern auch seine Ansprüche auf Altersruhegeld. Das Bundesarbeitsgericht hob die "Zölibatsklausel" im Mai 1957 auf.
Nachdem 1903 Frauen in Bayern für ein reguläres Studium zugelassen wurden, schrieb Klara Oppenheimer sich an der Julius-Maximilians-Universität ein, studierte Medizin, promovierte - und eröffnete 1918 als erste Frau in der Stadt eine eigene Praxis.
Stolperstein vor ihrem Elternhaus verlegt
Schon vor ihrem Studium hatte sie sich im Verein "Frauenheil" engagiert und sich für die "Förderung höherer Bildung des weiblichen Geschlechts und der Erwerbstätigkeit der auf eigenen Unterhalt angewiesenen Frauen" eingesetzt. Später war sie im Vorstand des "Vereins studierender Frauen". Und als sie bereits als Ärztin arbeitete, kämpfte sie weiter für die Rechte von Frauen im "Frauenstimmrechtsvereins".
Heute erinnern der Klara-Oppenheimer-Weg im Frauenland und die Klara-Oppenheimer-Schule in der Sanderau an die große Bürgerin der Stadt. Vor ihrem Elternhaus in der Friedensstraße 26 wurde ein Stolperstein verlegt.
Viele Veranstaltungen - nicht nur für Frauen
Der Kampf von Frauen wie Klara Oppenheimer war Ansporn für das Würzburger Bündnis "100 Jahre Frauenwahlrecht", im Jubiläumsjahr eine Fülle von Veranstaltungen zum Thema anzubieten. Mit dabei: Sozialdemokratische, grüne und CSU-Frauen, katholische und evangelische Frauen, Frauenclubs, Gästeführerinnen, Künstlerinnen, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, Gewerkschaften, die Akademie Frankenwarte, die Universität, Schulen und andere.
Ihre Angebotspalette ist vielfältig. Es gibt eine originelle Postkartenaktion, viele Vorträge und den Besuch der Sonderausstellung "Damenwahl" im Historischen Museum Frankfurt. Die Uni veranstaltet einen "Science Slam ‚Gender‘", die "Sisters of Comedy" lassen es im Boxhorn krachen, im Burkardushaus geht es um "Weiberkraft in Würzburg" und die FH lockt "Frauen in die Wissenschaft". Es werden Filme gezeigt, im Ratssaal findet eine Revue statt und eine Ausstellung, Infoveranstaltungen, Lesungen und vieles mehr steht auf dem Programm. Alles nachzulesen in der von der Stadt herausgegebenen Broschüre "100 Jahre Frauenwahlrecht".
Die Gleichberechtigung steht noch vor vielen Herausforderungen
"Ich bin der festen Überzeugung, dass eine faire und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an politischen Entscheidungen wichtig, erforderlich und gewinnbringend ist", schreibt Oberbürgermeister Christian Schuchardt in seinem Vorwort. Die Freude über das Erreichte dürfe allerdings den Blick "auf noch bestehende, gleichstellungsgpolitische Herausforderungen" wie die "Unterrepräsentanz von Frauen in den Parlamenten" nicht verstellen.
Info: Die Broschüre "100 Jahre Frauenwahlrecht" steht hier zum Download bereit. Außerdem liegt der Flyer bei den beteiligten Institutionen aus.