
Es ist eine emotionale Szene: Ein Mann wartet am Flughafen auf seine Frau und seine vier Söhne. Er hat sie seit einem Jahr und vier Monaten nicht gesehen. Der Mann umklammert einen Strauß roter Rosen, er wirkt nervös, angespannt. Da endlich biegt seine Familie um die Ecke, einen schweren Gepäckwagen vor sich her schiebend. Die Frau hat Tränen in den Augen, sie und ihr Mann liegen sich lange in den Armen, wollen sich nicht mehr loslassen. Dann umarmt der Mann freudestrahlend seine Söhne, einen nach dem anderen. Den Jüngsten, seinen fünfjährigen Sohn, hebt er hoch und herzt ihn, immer wieder.
Die Szene stammt aus einem Handyvideo, der wartende Mann ist Marwan Wanli aus Syrien. Der 50-Jährige wohnt in der Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Ochsenfurter Pizzeria Aetna. Die Ankunft seiner Familie gilt (ein Jahr, nachdem ein minderjähriges syrisches Brüderpaar, das ohne Eltern nach Ochsenfurt gekommen war, seine Familie nachholen konnte) als erster klassischer Familiennachzug in der Stadt. Der Weg bis zur Ankunftsszene am Münchner Flughafen war ein langer; die Herausforderungen, die nun auf die Familie warten, sind vielfältig.
Die Brüder Ahmad (13), Mohamad Adib (12) und Malaz (10) wünschen sich, Gleichaltrige kennenzulernen und in die Schule zu gehen; für Nesthäkchen Moaz wird ein Kindergartenplatz gesucht. Wanlis Frau, Iman Sukkar, möchte so schnell wie möglich Deutsch lernen – doch der dringendste Wunsch der Familie ist eine eigene Wohnung. Vorerst dürfen die Wanlis in der Pizzeria bleiben; im ehemaligen Geschirrlager teilen sich die vier Jungs ein Zimmer; im Zimmer daneben schlafen die Eltern. Die Räume haben kein Fenster, Licht fällt lediglich durch ein kleines Oberlicht zum Gang; wirklich warm wird es nicht. Toilette, Bad und Küche teilen sich die sechs mit den anderen Bewohnern der Pizzeria.
Vom Militär vertrieben: Flucht nach Ägypten
Und doch: Die Familie hat Glück gehabt, denn Anspruch auf eine Unterkunft hätte sie nicht. Nach Rücksprache mit dem Landratsamt dürfen die Wanlis vorübergehend in der Pizzeria bleiben. Wanlis Frau und die vier Kinder gelten im rechtlichen Sinn als „Fehlbeleger“, da sie keine Asylbewerber sind. Als Familienmitglieder eines anerkannten Flüchtlings sind sie seit ihrer Ankunft in Deutschland berechtigt, Hartz 4 zu beziehen; die Miete für eine Wohnung übernimmt das Job-Center.
Doch die Wohnungssuche gestaltet sich schwierig. „Ich habe alle möglichen Leute angesprochen und im Internet das Wohnungsgesuch auf zahlreichen Portalen geteilt – eine Antwort gab es nur in den wenigsten Fällen“, sagt Claudia Brunner ernüchtert. Die 44-jährige Ehrenamtliche hilft Wanli seit seiner Ankunft in Ochsenfurt und hat ihn insbesondere bei der Familienzusammenführung tatkräftig unterstützt.
Ursprünglich lebten die Wanlis in einem Vorort von Damaskus. Als 2012 bekannt wird, dass sich dort Gegner von Staatspräsident Assad aufhalten, kommt es zum Rundumschlag, alle Bewohner werden mit Militärgewalt vertrieben. Wanli, der in seiner Heimat eine Auto-Reparaturwerkstatt betrieben hat, seine Frau und die vier Söhne führt ihre Flucht zunächst nach Ägypten. Im Herbst 2015 macht er sich alleine auf den Weg nach Italien, sein endgültiges Ziel ist Deutschland. Sieben Tage befindet sich Wanli mit einem Schiff mit 400 Flüchtlingen an Bord auf dem Meer, dann naht Hilfe in Form der italienischen Küstenwache. Der Familienvater leidet unter zu hohem Blutdruck, zudem ist er zuckerkrank. Für ihn kommt die Rettung in letzter Sekunde, in Italien wird er sofort in ein Krankenhaus eingeliefert.
Wenig später fährt Wanli mit dem Zug nach München, wo die Polizei die ankommenden Flüchtlinge auf die verschiedenen Regierungsbezirke verteilt. Über Stationen in Margetshöchheim und im Ochsenfurter Pallatium kommt Wanli im März 2016 in die Pizzeria Aetna. Als er im April als Flüchtling anerkannt wird, kann seine Frau bei der deutschen Botschaft in Ägypten endlich das Visum zur Einreise nach Deutschland für sich und die vier Söhne beantragen.
Warten, immer wieder Warten
Die Unterlagen, die sie hierfür benötigt, sind umfangreich: Unter anderem werden syrische Reisepässe aller Familienmitglieder, Geburtsurkunden und ein Auszug aus dem Familienbuch gefordert. All diese Dokumente müssen übersetzt und von der deutschen Botschaft auf ihre Echtheit bestätigt werden – eine teure Angelegenheit, die sich so manche Familie von Geflüchteten nicht leisten kann. „Viele Flüchtlinge müssen ihren Angehörigen dafür Geld in die Heimat schicken“, erklärt Brunner. Wer heute für sein Kind einen Reisepass aus Syrien beantragt, müsse mit Kosten von bis zu 600 US-Dollar rechnen, berichtet Iman Sukkar und zeigt die mit bunten Stempeln übersäten Dokumente, die sie für ihr Visum benötigt hat.
Jeder der Stempel zeugt von Wochen und Monaten des Wartens. Den Visumsantrag hat die vierfache Mutter im Mai 2016 gestellt, einen Termin in der Botschaft bekommt sie erst im Oktober. Auch danach tut sich lange nichts. Erst als sich unterdessen in Ochsenfurt der Gesundheitszustand ihres Mannes verschlechtert, nimmt das Verfahren plötzlich Fahrt auf. Der 50-Jährige soll am Herz operiert werden – die Ursachen für seine körperlichen Probleme sieht der Arzt auch im psychischen Bereich. „Marwans schlechter Gesundheitszustand kam unter anderem auch dadurch zustande, dass seine Familie nicht da war“, so Brunner. Sie bittet den Arzt, dies schriftlich zu bescheinigen.
Nur wenige Tage später, in der ersten Dezemberwoche, erhält Iman Sukkar die Nachricht, dass sie ihr Visum abholen könne. Der Hintergrund: In humanitären Notfällen – wie etwa die schwerwiegende Erkrankung eines Familienmitglieds – kann der Nachzug beschleunigt werden. Am 15. Dezember bekommt die 40-Jährige endlich das Visum ausgehändigt: den einen bedeutenden Aufkleber, auf den sie und ihre Söhne monatelang gewartet haben.
Die Sehnsucht nach einem wirklichen Neustart
In Ochsenfurt hat Wanli seine Operation überstanden und bucht mit Hilfe Brunners den Flug für seine Familie von Kairo nach München. „Das war ein sehr gutes Gefühl“, sagt er und strahlt. Per What?s App erhält seine Frau die Tickets, die sie am 27. Dezember zu ihrem Mann bringen sollen. Und während in Ochsenfurt Alois Hanke vom Helferkreis Ochsenfurt mit seinem Neun-Sitzer-Bus Brunner und Wanli samt roter Rosen zum Flughafen fährt, befinden sich Iman Sukkar und ihre vier Söhne im Anflug auf München.
Zwei Wochen später erzählt die Familie im Zimmer der Jungs ihre Geschichte. Mit wenigen Handgriffen hat Wanli den Raum zum Wohnzimmer umfunktioniert, für die Gäste gibt es Klappstühle, Kekse, Obst und Getränke. Im Raum ist die Erschöpfung der Familie fast greifbar, die Sehnsucht nach Ruhe ist allen anzusehen. Vieles hat sich in kurzer Zeit bereits zum Guten entwickelt: Iman Sukkar, die in ihrer Heimat studiert hat, hat einen Sprachkurs begonnen, die älteren drei Söhne besuchen die Mittelschule. Für einen wirklichen Neustart und das Gefühl, endlich angekommen zu sein, fehlt der Familie aber immer noch eines: eine eigene Wohnung.
Wer eine Wohnung für Familie Wanli hat oder bei der Suche weiterhelfen möchte, kann per E-Mail Kontakt aufnehmen: marwan.wanli67@gmail.com
Familienzusammenführung
Das Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter besonderen Schutz. Deswegen ist es auch grundsätzlich möglich, dass ausländische Familienangehörige nach Deutschland einreisen können.
Unter anderem haben anerkannte Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge ein Recht auf Familiennachzug. Die Ehegatten, Kinder oder Eltern (bei Nachzug zu den minderjährigen Kindern) müssen dafür einen Visumsantrag bei der für sie zuständigen Auslandsvertretung (Konsulat oder auch Botschaft) stellen und dort persönlich vorsprechen.
Wer aus einem Land mit Visumspflicht als Familienangehöriger nach Deutschland einreisen will, beantragt bei der deutschen Botschaft in seinem Herkunftsland ein Visum zum Zweck der Familienzusammenführung.
Anschließend wird von der Botschaft und der örtlichen Ausländerbehörde geprüft, ob die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Quelle: caritas.de
Wer die Berichte hierzu in der MP liest, gewinnt aber einen ganz anderen Eindruck.
Da sollte die Städte schon einmal mit dem Bau von Großfamiliengerechten Sozialwohnungen anfangen, denn auf dem flachen Land möchten die Schutzsuchenden ja nicht leben....