Endlich ist die Familie wieder zusammen. Am Flughafen München nehmen sich Anfang Dezember alle in den Arm, drücken sich, wollen sich nicht mehr loslassen. Ein Jahr und vier Monate waren sie getrennt. Ahmad und sein Bruder Abdul sind nach Deutschland geflüchtet, fanden in Ochsenfurt eine Zuflucht. Die Eltern und zwei Brüder blieben zurück, lebten unter schwersten Bedingungen in Ägypten. Und jetzt wird alles gut. Endlich ein gemeinsames Leben in Sicherheit.
Aber die ersehnte Normalität kehrt nicht ein. Angekommen in Deutschland beginnt für die sechsköpfige Familie jetzt die schwierige Suche nach einem Dach über dem Kopf. Obhut findet die muslimische Familie schließlich in einer ehemals jüdischen Herberge – in der Kemenate in Ochsenfurt bei Simone Barrientos und ihrem Lebensgefährten Leander Sukov.
Zuvor lebte die Mathematiklehrerin Asmaa mit ihrem Mann Naser und ihren vier Kindern in Homs. Die Stadt war schwer umkämpft. Der Vater, ein Gegner Assads, saß zeitweise im Gefängnis, wurde gefoltert. Eines Tages ließen sie alles stehen und liegen und flüchteten nach Kairo. Von hier aus wollte Naser mit einem seiner Söhne weiter übers Mittelmeer nach Europa fliehen. Frau und Kinder sollten in Kairo bleiben.
Doch die beiden wurden von der ägyptischen Polizei aufgegriffen, landeten im Gefängnis. Erst durch Vermittlung der Vereinten Nationen kamen sie wieder frei. Naser und sein Sohn waren geschwächt, wurden krank. Die Polizei hatte ihnen das letzte Geld abgenommen. Der Vater sah keinen Ausweg mehr, schickte seine beiden ältesten Söhne alleine los.
Der damals 15-jährige Abdul und sein zwei Jahre älterer Bruder Ahmad wagten schließlich die gefährliche Schiffspassage übers Mittelmeer. Sie schafften es, kamen in Italien an, fuhren weiter mit dem Zug nach Mailand und gelangten schließlich über München nach Ochsenfurt. Was sich unbeschwert anhört, war ein ziemlicher Höllentrip. Die Jungs reden nicht gerne darüber, lassen sich alles aus der Nase ziehen. Zeitweise trieb ihr Schiff mit 300 Flüchtlingen an Bord nach einem Motorschaden auf offener See. Ohne Kapitän, erzählen sie dann doch. Das Trinkwasser ging aus. Auch die Vorräte an Lebensmittel reichten nicht. Sie tranken das Kühlmittel für die Schiffsmotoren, aßen altes, vergammeltes Brot. Sie überlebten.
Ein Jahr warteten sie in Ochsenfurt auf die Bewilligung ihres Asylantrages, lernten Deutsch, besuchten die Schule, integrierten sich. Dann, Anfang August 2014 die gute Nachricht. Ihr Asylantrag wurde anerkannt und die beiden Brüder beantragen den Nachzug ihrer Familie. Es vergingen weitere vier Monate, bis das Visum für ihre Eltern und zwei weitere Brüder ausgestellt war.
Anfang Dezember landete ihre Familie dann in München. Ahmed und Abdul packten all ihre Sachen und nahmen sie am Flughafen in Empfang. Auf den Rat eines Betreuers hin, meldeten sie sich bei der Flughafenpolizei schließlich obdachlos. Doch die Beamten waren sich schnell sicher: In München können sie nicht bleiben. Ahmad und Abdul waren ja in Ochsenfurt gemeldet – und dahin müssten sie nun auch zurück. Das Ticket für die Rückreise spendierte ihnen eine caritative Organisation.
Zurück in Ochsenfurt wussten die sechs aber auch nicht, wohin. Wieder hörten sie auf den Rat eines Betreuers, sie sollten doch nach Schweinfurt in die Kaserne zur Erstaufnahme gehen. Das taten sie dann auch. Eine Nacht schliefen sie dort zusammen mit vielen hundert Menschen in einem großen Raum. Am nächsten Tag wurden sie weggeschickt. Denn die beiden Jungs sind anerkannt und haben somit nicht mehr den Status von Asylbewerbern. Und ihre Eltern und Brüder sind vergleichbar mit Touristen, die Deutschland besuchen. Also auch keine Asylbewerber. Alle verstanden die Welt nicht mehr. Wohin nur sollten sie jetzt gehen?
Voller Verzweiflung riefen Ahmad und Abdul ihren Vormund an, der eigentlich gar nicht mehr für sie zuständig war, weil mittlerweile die Eltern im Land sind. Sie sollten doch wieder zurück nach Ochsenfurt, riet er ihnen trotzdem. Und die Eltern? Und die Brüder? Die konnten erst einmal in Schweinfurt bleiben, jemand vom Helferkreis hatte sie aufgenommen.
Zurück in Ochsenfurt begann für die beiden älteren Brüder die Wohnungssuche. Auf Ahmad, dem 17-Jährigen, lastete plötzlich die ganze Verantwortung für seine Familie. Und sie wurden fündig. An einer Wohnung sahen sie ein Schild „Zu vermieten“, kontaktierten den Vermieter, schilderten ihre Situation und erfuhren, dass sie zum 18. Dezember einziehen könnten.
Kurze Zeit später kam die Absage. Der Vermieter hatte mittlerweile von den Behörden erfahren, dass er nicht 25 Euro am Tag pro Nase bekäme. So viel zahlt das Landratsamt nämlich für Asylbewerber. Aber hier übernimmt die Miete das Job-Center. Knallhart zog der Vermieter seine Zusage zurück. Wieder hatte die Familie kein Dach über den Kopf. Sechs Tage konnten Ahmads Eltern in Schweinfurt bleiben. Dann wurde es auch hier schwierig. Schließlich trafen sich alle in Ochsenfurt wieder und meldeten sich bei der Stadt obdachlos. Doch ihre Hoffnung auf eine Notunterkunft schwand. Es gab keine Wohnung für die sechs. Einzelpersonen kann die Stadt unterbringen, Großfamilien aber nicht.
Simone Barrientos erfuhr von der Geschichte. Sie kennt die beiden Jungs bereits aus ihrer Arbeit im Helferkreis. Ohne lange zu zögern, nahm sie alle bei sich auf. „Es ist eng und ungewohnt laut im Haus“, erzählt sie. Ihren Gästen stellt sie die erste Etage der Kemenate zur Verfügung. Drei Schlafzimmer sind hier, ein Esszimmer. Im Erdgeschoss gibt es eine kleine Veranstalterküche, die der Familie zur Verfügung steht, und ein Gästebad. „Wir verzichten deswegen auf nichts“, sagt die Wahl-Ochsenfurterin, die in ihrer neuen Heimatstadt einen kleinen Verlag leitet. „Endlich sind wir alle zusammen. Alles wird jetzt gut“, freut sich Naser und nimmt seine Ehefrau Asmaa in den Arm.
Und vielleicht wird es das tatsächlich auch. Zum 1. Februar wird eine städtische Wohnung frei. Die Familie will sich bewerben und hofft darauf. Bis dahin können sie in der Kemenate bleiben. Welch ein Glück!
bewilligt.
Mietspiegel in Ochsenfurt knapp 6€/qm. Ergibt ca. 720 € kalt + 350 NK
= großzügig aufgerundet 1100 €
Ei der Daus
Um den biblischen Bezug aufzugreifen: Von der Flucht nach Ägypten kehrte die heilige Familie wieder nach Galiläa zurück, nachdem der böse Diktator Herodes gestorben war...
Noch übler als für den Steuerzahler wirds allerdings für die hier lebenden sozial Schwachen. Die werden die neue Konkurenz auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt bald richtig zu spüren bekommen. Wir haben in Deutschland weder ausreichend Jobs für gering Qualifizierte noch genügend preiswerten Wohnraum.