Zum ersten Mal haben sie geschafft, was niemand für möglich gehalten hat: Am 6. Juli haben sich Landwirte und Umweltschützer auf eine gemeinsame Strategie geeinigt, wie die Landwirtschaft der Zukunft in Deutschland aussehen soll. Für ihren Abschlussbericht hatten zuvor über 30 Interessenvertreter aus Landwirtschaft, Wissenschaft, Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz in der sogenannten "Zukunftskommission Landwirtschaft" ein Jahr lang miteinander gerungen.
Herausgekommen ist ein 190 Seiten starkes Dokument mit Handlungsempfehlungen für den sozialen, ökonomischen und ökologischen Bereich. Es ist ein Arbeitsauftrag an die nächste gewählte Bundesregierung, die den Kompromiss von Umweltschützern und Bauern umsetzen soll.
Wie diese ideale Landwirtschaft der Zukunft in Unterfranken aussehen könnte, darüber sprachen wir mit Marion Ruppaner, Agrarreferentin beim Bund Naturschutz Bayern und mit Stefan Köhler, Präsident des Bayerischen Bauernverbands (BBV) in Unterfranken.
Marion Ruppaner: Landwirte und Umweltschützer haben sich zum ersten Mal auf eine gemeinsame Strategie verständigt. Es ist eine Versöhnungsbotschaft, die die nächste Regierung umsetzen muss.
Stefan Köhler: Beide Seiten haben nicht alles erreicht, was sie wollten. Das ist für mich ein Zeichen, dass es ein guter Kompromiss ist.
Ruppaner: Die Landwirte sollen fair entlohnt werden und gesellschaftliche Anerkennung bekommen. Auf der anderen Seite müssen sie ihren Beitrag zur Biodiversität, für das Tierwohl und zum Umwelt- und Klimaschutz leisten, denn sie bewirtschaften 50 Prozent der Landesfläche Deutschlands.
Köhler: Die Zukunftskommission bekennt sich zur Landwirtschaft in Deutschland. Sie soll nachhaltig und ökonomisch tragfähig sein, aber nicht ins Ausland ausgelagert werden. Es hilft ja niemandem, wenn Rindfleisch künftig aus Südamerika kommt, weil bei uns die Tierwohl-Vorgaben finanziell nicht gestemmt werden können.
Ruppaner: Durch den Ausbau regionaler Wirtschaftskreisläufe, besser informierte Verbraucher, mehr bäuerliche Betriebe statt Großbetriebe, klimafreundliches Wirtschaften, höhere Tierschutzstandards und faire Bedingungen mit dem Handel.
Köhler: Durch den Grundsatz, der uns als Bauernverband wichtig ist: Kooperation vor Ordnungsrecht. Man entwickelt gemeinsam mit den Landwirten Umweltprogramme, die finanziell honoriert werden.
Ruppaner: In Unterfranken gibt es große Gegensätze. Im Dreieck Würzburg, Schweinfurt, Kitzingen wachsen die Betriebe mit zunehmender Intensivlandwirtschaft. Die Biodiversität nimmt ab. Im Spessart und in der Rhön dagegen ist für die Natur noch viel drin.
Köhler: In Unterfrankens intensiven Gäulagen könnte man sicher mehr für die Umwelt tun. Doch die Zukunftskommission hat erkannt: Klima- und Tierschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Vielen Landwirten ist es egal, ob sie mit Weizen oder einer Umweltleistung ihr Geld verdienen. Noch bekommen sie das meiste Geld für den Weizen.
Ruppaner: Im Ochsenfurter Gau liegen viele Zuckerrüben und Maisfelder im Frühjahr brach. Das müsste sich ändern. Denn bei starkem Regen kommt es zu Bodenerosion. 2021 dürfen Landwirte dort auch wieder Zuckerrübensaatgut, das mit einem bienengefährlichen, hochwirksamen Insektizid behandelt ist, auf ihren Äckern ausbringen. In ganz Unterfranken haben wir Folgekosten bei der Trinkwasseraufbereitung durch zu viel Nitrat im Grundwasser. Und die Landwirtschaft müsste sich dahingehend verändern, dass sie möglichst wassersparend zur Lebensmittelproduktion beiträgt.
Köhler: Natürlich können wir auch in Unterfranken Einiges verändern. Zum Beispiel weitere Fruchtfolgen anbauen, die den Humusgehalt der Böden als CO2- und als Wasserspeicher erhöhen. Das Problem: Diese sind am Markt nicht so gefragt. Und es kostet Geld, das laut Zukunftskommission nicht nur die Landwirte, sondern auch die Allgemeinheit über Steuern oder Verbraucherpreise bezahlen muss.
Ruppaner: Im Landkreis Rhön-Grabfeld arbeiten Bauernverband und Bund Naturschutz seit Jahren sehr gut bei der Vernetzung von Biotopen zusammen. In einem Projekt bauen Landwirte statt Mais ein Hanfgemenge an, das im August gemäht wird und in die Biogasanlage kommt. Bis dahin ist es ein nahrungsreiches Blühangebot für Insekten. Die Landwirte bekommen den Fehlbetrag erstattet.
Köhler: Es gibt Landwirte, die für regionale Brauereien die Braugerste anbauen und dabei Blühstreifen integrieren. Die Brauereien vermarkten dann das spezielle "Artenschutz"-Bier. Es gibt auch eine Erzeugergemeinschaft im Landkreis Rhön-Grabfeld, die alte Getreidesorten wie Emmer und Einkorn ohne Pflanzenschutzmittel anbaut. Sie werden von Bäckern weiterverarbeitet und speziell vermarktet.
Ruppaner: Der Bund Naturschutz hat das Rhönschaf, eine alte Haustierrasse, vor dem Aussterben gerettet. Hier wird die Züchtung alter Haustierrassen mit extensiver Grünlandbeweidung gefördert.
Köhler: Im Landkreis Main-Spessart verzichten Landwirte bei der Initiative Grünland bei der Weidehaltung auf chemischen Pflanzenschutz und Mineraldünger und pflegen so wertvolle Flächen. Ihr Rindfleisch ist zertifiziert, generiert einen höheren Preis und wird sehr gut nachgefragt.
Ruppaner: Regionale Kennzeichnung funktioniert, wenn sie mit einem Qualitätsbegriff verbunden ist. Und nicht, wenn sie, wie etwa beim Siegel "Geprüfte Qualität aus Bayern" Futtermittel aus der Regenwaldabholzung toleriert. Das ist nicht im Sinne der Verbraucher. Bei den Biowinzern in Franken gibt es diese klare regionale Qualitätskennzeichnung: Wein aus Franken inklusive Biodiversität, Wasserschutz und Bodenfruchtbarkeit.
Köhler: Mit staatlicher Förderung allein funktioniert sie jedenfalls nicht. Denn was nützt der schönste Apfelbaum, der staatlich gefördert wird, wenn die nächste Regierung die Förderung wieder streicht? Wenn der Landwirt aber seinen Streuobstapfelsaft vermarkten kann, wird er sich auch um den Apfelbaum kümmern. Die Zukunftskommission fordert deshalb, nicht nur die Verluste für Umweltmaßnahmen auszugleichen, sondern neue Einkommenskomponenten für die Landwirte zu schaffen. Wie beim Wasserschutzbrot in Unterfranken: Der Landwirt düngt weniger. Dadurch sinkt das Risiko, dass Stickstoff ins Grundwasser ausgewaschen wird. Der Weizen hat einen geringeren Eiweißgehalt. Doch es haben sich Bäcker gefunden, die diesen Weizen verarbeiten und vermarkten.
Köhler: . . . es sei denn, die regionalen Mühlen müssten künftig offenlegen, wie viel Weizen sie aus fränkischen Wasserschutzgebieten und wie viel Weizen sie zum Beispiel aus der Ukraine einkaufen. Ebenso wie der Bäcker, der den Weizen weiterverarbeitet. Wenn bei Weizen aus der Ukraine Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, die bei uns seit 30 Jahren verboten sind, müsste der Weizen entsprechend gekennzeichnet werden. Die Politik könnte dann sagen: Entweder darf nur Weizen, der unseren Standards genügt, eingeführt werden oder es kommt aus Klimaschutz/Artenschutzgründen eine Abgabe oben drauf. Das ist zwar ein richtig dickes Brett, aber im Grunde nichts anderes als das Lieferkettengesetz, das verlangt, dass gewisse soziale Standards weltweit eingehalten werden.
Ruppaner: Die Landwirtschaft in Deutschland umzubauen, so schätzt die Kommission, würde sieben bis elf Milliarden Euro pro Jahr kosten. Alles zu lassen, wie es ist, kostet uns pro Jahr 40 Milliarden Euro an Folgekosten durch Wasser- und Luftschadstoffe oder Bodenerosion sowie weitere 50 Milliarden Euro, zählt man die Biodiversitäts-, Arten- und Lebensraumverluste hinzu.
Köhler: Es gibt noch einige Landwirte, die sagen: Es ist doch alles gut. Wir machen weiter wie bisher. Aber das bringt uns nicht weiter. Die Auswirkungen von Klimawandel und Artensterben spüren wir alle.