Da es seit Jahren einen Mangel an Nachwuchs in Pflegeberufen gibt, will das bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege junge Menschen auf Ausbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich aufmerksam machen. In Kooperation mit der Nürnberger Agentur "Kunstdünger-die Agentur für Kulturdesign", der Theaterpädagogin Frederike Faust und dem Jungen Theater der Frankenfestspiele Röttingen entsteht in der kommenden Woche in Röttingen ein Podcast zum Thema Pflege – gesprochen von Jugendlichen für Jugendliche, mit Experten-Interviews und Hörspielen aus der Praxis. Wir haben im Vorfeld mit Jean-Francois Drožak von der Agentur Kunstdünger gesprochen - über Reformen in der Pflege, völlig neue Berufsbilder und den Stellenwert von Geld.
Jean-Francois Drožak: Wir wollen Jugendliche zum Thema Pflege ins Gespräch bringen. Wie wir den Pflegenotstand lösen, ist eine der Hauptfragen der nächsten zehn bis 20 Jahre.
Drožak: Meine Arbeit besteht darin, mit kreativen Methoden wie Theater und nun auch Podcasts wichtige Themen an Schulen zu kommunizieren – wie in diesem Fall die Neuausrichtung der Pflege. Wir machen das bayernweit, aber immer kommunal. In der Regel fragen wir an verschiedenen Schulen an, ob die Jugendlichen an dem Projekt mitwirken wollen. Dann entwickeln wir zusammen eine szenische Talkshow, mit Experten auf der Bühne, und mit Theaterszenen, die die Jugendlichen einspielen. Das präsentieren wir im Anschluss an den Schulen, normalerweise vor bis zu 200 Jugendlichen, was aufgrund der Corona-Lage im Moment aber nicht möglich ist.
Drožak: Ja, neben der Theater-Performance produzieren wir nun einen 30-minütigen Podcast, mit Hörspielen, die von Schülern gesprochen werden. Diese Produktionen werden an alle Gymnasien in der Region weitergegeben und dort im Unterricht abgespielt, mit einer moderierten Reflexion im Anschluss. Dort findet die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Thema statt. Je intensiver die Nachreflexion, umso besser kann sich ein Jugendlicher entscheiden, ob er ein Praktikum in der Pflege macht oder nicht.
Drožak: Dass sich Jugendliche realistisch mit dem Berufsbild der Pflege auseinandersetzen. Die Experten, die zum Projekt dazustoßen, kommen aus der jeweiligen Region der Schüler – in der kommenden Woche zum Beispiel unter anderem aus der Diabetes-Klinik in Bad Mergentheim. Es geht nicht darum, die rosarote Brille aufzusetzen oder Emotionalität zu produzieren, die mit dem eigentlichen Beruf nichts zu tun hat.
Drožak: Der Bereich der Pflege ist sehr im Umbruch; in den vergangenen Jahren haben viele Reformen stattgefunden. Bisher gab es drei in sich abgeschlossene Ausbildungen: in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Seit Januar 2020 gibt es einen neuen Pflegefachberuf – bei dem die drei Ausbildungen zu einer Fachausbildung zusammengelegt wurden, der sogenannten generalistischen Pflegefachausbildung.
Drožak: Es gab viel Diskurs, weil sich die Ausbildung ändert. Früher hat man zum Beispiel drei Jahre lang Kinderkrankenpflege gelernt. Jetzt macht man zwei Jahre eine Grundausbildung, und im dritten Jahr folgt die Spezialisierung. Viele befürchten, dass dadurch Know-How verloren geht.
Drožak: Für einen Schüler ist es eine Wahnsinns-Herausforderung, herauszufinden, was er vielleicht noch mit 60 Jahren machen will. Wenn ein Jugendlicher jetzt die neue Ausbildung zum Pflegefachmann beginnt, muss er noch nicht entscheiden, ob er später mit Kindern, alten Menschen oder Behinderten zusammenarbeitet. Sondern er entscheidet sich dafür, in der Pflege tätig zu sein, mit vielen unterschiedlichen Möglichkeiten.
Drožak: Es gibt es eine ganz neue Entwicklung in Deutschland: das Studium zum akademischen Pflegefachmann. In Bayern beginnt der Studiengang dieses Jahr an vier Standorten, unter anderem an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Die meisten kennen bisher nur das Pflegemanagement-Studium – das ist so etwas wie BWL für Pflegefachkräfte, danach kann man Pflegeeinrichtungen leiten. Das Studium der Pflegewissenschaften ist ungefähr auf dem Niveau eines Medizinstudiums. Man lernt, Pflege auf akademischem Niveau durchzuführen – zum Beispiel am Krankenbett für hochkomplexe Pflegefälle. Oder in der Forschung zu diesem Thema – Pflege ist hierzulande sehr von Erfahrungswissen geprägt, es wird noch zu wenig evaluiert und geforscht. Man kann mit dem Master aber auch autonom arbeiten, das heißt, in bestimmten Bereichen eine eigene Praxis eröffnen.
Drožak: Eine endgültige Antwort darauf gibt es nicht, weil sich das Berufsbild neu entwickelt. Zum Beispiel könnten Pflegefachkräfte mit akademischen Abschluss eine Diabetes-Praxis entwickeln, in der sie ganzheitlicher als ein Arzt auf das Konzept eingehen, wie der Patient lebt. Sie könnten in einem Architekturbüro arbeiten, das sich etwa auf den Bau von Pflegeheimen spezialisiert hat, und dort am Aufbau der Pflegeheime der Zukunft mitwirken. Sie könnten in der Stadtplanung tätig sein: Wie wird die Stadt der Zukunft aussehen, wenn unsere Gesellschaft immer älter wird? Und: Schon jetzt gibt es Pflegebeauftragte, die in der Krankenkasse Pflegeberatung machen. Pflegewissenschaftler sollen aber auch am Krankenbett arbeiten. Sie können auf Station im Team mit Pflegefachkräften da Entscheidungen treffen, wo Routine nicht mehr funktioniert.
Drožak: Es sind zwei eigenständige Bereiche mit unterschiedlichen Expertisen, die auf Augenhöhe miteinander agieren. Sie sind aufeinander angewiesen, doch in unserem Denken ist verankert, dass Pflegefachleistungen eine Assistenzleistung des Mediziners sind. Natürlich hat ein Arzt andere Kompetenzen, er weiß über Medikamente und Therapien Bescheid. Aber ein Pflegewissenschaftler bringt seine eigene Perspektive mit. Andere Länder wie die USA, die Schweiz und Österreich haben das längst erkannt. Die Pflege der Zukunft wird sich komplett verändern, da gibt es viel zu entdecken und zu erforschen.
Drožak: Im Vorfeld des Projekts sollten wir im Auftrag des bayerischen Gesundheitsministeriums junge Menschen befragen, wie der Pflegeberuf der Zukunft gestaltet sein müsste, damit sie sich dafür entscheiden. Je nach Schultyp sind unterschiedliche Erwartungen und Wünsche herausgekommen, aber Geld hat nie eine Rolle gespielt. Die Frage war eher: Fühle ich mich in dem Beruf aufgehoben, bereichert er mein Leben?