Das Coronavirus hat im Jahr 2020 der Polizei einige neue Aufgaben beschert. Die Beamten müssen Ausgangsbeschränkungen kontrollieren und bei Verstößen gegen die Maskenpflicht oder gegen Kontaktbeschränkungen einschreiten. All das neben ihren üblichen vielfältigen Aufgaben. Wie seine Dienststelle mit diesen Herausforderungen umgeht, darüber spricht Jürgen Maier, Chef der Polizeiinspektion Ochsenfurt.
Jürgen Maier: Für mich war das Jahr anders, aber im Grunde war‘s auch wie immer. Natürlich ist die Pandemie etwas, was wir noch nie hatten. Gleichzeitig ist aber klar geworden, dass gerade bei solchen Herausforderungen die Polizei funktionieren muss. Der Bürger erwartet das, und verlässt sich drauf. Bei uns haben Bürger angerufen, während das Live-Interview des Ministerpräsidenten im Fernsehen noch lief, und haben gefragt, wie er das genau gemeint hat. Man verlässt sich auf das Funktionieren der Polizei, und das ist nichts Neues.
Maier: Das ist nicht störend. Im Gegenteil: Das ist, warum die meisten von uns zur Polizei gegangen sind, was uns antreibt. Dass es gesellschaftlich wichtig ist, was wir hier tun.
Maier: Ich denke schon, aber es war tatsächlich die große Herausforderung in diesem Jahr, die Rechtsgrundlagen, die sich ständig verändert haben, an die handelnden Personen zu bringen. Es gab Wochen, da wurden die Infektionsschutzmaßnahmen dreimal angepasst. Das heißt, sie mussten dreimal neu der Mannschaft bekannt gegeben werden, und die damit zusammenhängenden taktischen Herausforderungen. Und es musste sichergestellt werden, dass der Beamte, der am Donnerstag nach drei freien Tagen seinen Dienst beginnt, genauso rechtssicher auftritt wie sein Kollege. Das war anders als in den Jahren zuvor.
Maier: Die Diskussionen, die wir medial mitbekommen, gehen immer um die Fälle, wo gegen die Regeln verstoßen wird. Was wir sehen, ist, dass sich die überwiegende Masse nicht nur dran hält, sondern auch akzeptiert, dass die Regeln nötig sind. Das ist auch der Großteil der Rückmeldungen, die wir etwa bei Kontrollen bekommen. Wir werden gerufen, wenn sich einzelne nicht dran halten und das vielleicht auch noch aggressiv nach außen tragen. Das führt dann natürlich zu öffentlichkeitswirksamen Einsätzen, teilweise auch zu körperlichen Widerständen. Das sind aber Einzelfälle. Auch diese Partys, die wir immer wieder auflösen, weil sich Leute irgendwo treffen. Das sind natürlich Verstöße, die nicht sein müssten, aber häufig werden wir da sogar von der Bevölkerung darauf hingewiesen. Das zeigt mir: Die Masse der Leute ist nach wie vor sehr diszipliniert.
Maier: Beim Wort Denunziant denk ich sofort an diese Blockwart-Mentalität, die wir mal hatten. Die will keiner und die braucht keiner. Aber wenn jemand gegen Regeln verstößt, die zu unser aller Schutz sind, dann ist es für mich nicht negativ belegt, wenn einer der Polizei sagt: Guckt da mal hin, ob das alles in Ordnung ist. Wir stellen schon fest, dass wir bei Corona mehr solcher Hinweise bekommen. Möglicherweise aus der Sorge heraus, dass der Schaden für die Allgemeinheit größer ist als bei anderen Rechtsverstößen. Ich würde nicht sagen, das ist Denunziantentum.
Maier: Das ist Standard-Geschäft. Vieles von dem, was die Polizei macht, ist mit Rechtseingriffen verbunden. Wir haben im Grund nur zwei Aufgaben: die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung. Das führt dazu, dass wir Leute zu einem gewissen Verhalten anhalten, oder von einem gewissen Verhalten abhalten müssen. Und das geht häufig gegen deren Willen. Jeder hat seine Grundrechte, aber diese Grundrechte sind mit Einschränkungen verbunden, wenn die Grundrechte anderer berührt werden. Und unter gewissen Voraussetzungen darf die Polizei in Grundrechte eingreifen. Das ist nichts Neues. Das ist bei der Verfolgung von Rauschgiftdelikten oder beim Schlichten von Ehestreitigkeiten, die in häusliche Gewalt führen, nichts anderes als im Bereich Corona.
Maier: Gedanklich macht Corona einen großen Anteil aus, weil wir uns ständig damit beschäftigen, nicht nur was die Durchsetzung von Regeln betrifft, sondern auch, um intern die Abläufe so zu organisieren, dass wir funktionsfähig bleiben. Vom Arbeitsaufwand her ist das schwer zu beziffern. Andere Delikte gehen weiter, Unfälle gehen weiter. So gesehen ist Corona ein Teil von vielen.
Maier: Was tatsächlich runter gegangen ist, ist die Zahl der Unfälle. Wir haben gemerkt, dass das Verkehrsgeschehen im ersten Lockdown deutlich geringer war. Und im Moment merkt man, dass Wohnhäuser deutlich häufiger belebt sind. Das heißt nicht, dass keine Einbruchdiebstähle mehr stattfinden, aber die Tatgelegenheiten nehmen ab. Da ist es aber schwer, eine Prognose abzugeben, weil die Einbruchssaison erst begonnen hat.
Maier: Überhaupt nicht. Als wir im Frühjahr versucht haben, die kommende Situation zu antizipieren, um abzuschätzen, wo wir eventuell mehr Ressourcen einsetzen müssen, haben wir auch gedacht, das könnte so ein Punkt sein. Hat sich aber nicht bestätigt. Die Zahl der Fälle, in denen wir einschreiten mussten, ist nahezu gleich geblieben. Das hat uns auch überrascht. Die Frage ist, kommt das hinterher. Viele Geschädigte, meist Frauen, machen so eine Art Bilanzrechnung auf und fragen sich, wo sie hin können, wenn sie einen Schlussstrich unter ihre häusliche Situation ziehen. Vielleicht ist die Entscheidung, einen Strich zu ziehen, im Moment schwerer geworden. Vielleicht war die Sorge aber einfach nur unbegründet.
Maier: Mmmh. Ja, doch, es ist so. Die Überwachung des ruhenden Verkehrs ist momentan in der Priorität etwas nach hinten gerutscht.
Maier: Tatsächlich war eine der ersten Maßnahmen im Februar, dass sich die Polizeichefs versammelt haben und ein Arzt von der Regierung uns erklärt hat, was das für ein Virus ist. Mit dem damaligen Wissensstand haben wir erfahren, dass Corona eine gefährliche Erkrankung der Atemwege ist, die sich möglicherweise verbreitet, bevor Symptome auftreten. Da waren wir ziemlich alarmiert. Über die normalen Schutzmaßnahmen hinaus war deshalb der erste Gedanke, wie wir uns so organisieren können, dass die Funktionsfähigkeit gewährleistet ist. Was ist, wenn wir einen Infektionsherd haben, beispielsweise in einer Gemeinschaftsunterkunft, und müssen da rein? Muss ich dann die ganze Streife abschreiben? Und wie oft kann ich mir das erlauben? Wir haben Schichtpläne erdacht: Was ist, wenn ein Viertel der Mannschaft ausfällt? Was ist, wenn 50 Prozent fehlen? Ich hab meinen Leuten damals gesagt, egal wie es läuft, der Rest muss arbeitsfähig bleiben. Ich hab mir ein Feldbett vom THW ins Büro stellen lassen. Wenn es ganz schlimm gekommen wäre, hätten die letzten zehn Gesunden die Stellung gehalten, hätten sich das Essen bringen lassen und wären nur im Vollschutz raus marschiert. Alles wieder vor dem Hintergrund: Das Ding muss laufen. Und diese Überlegungen gelten bis heute.
Maier: Toi, toi, toi, wir hatten noch keinen positiv Getesteten in der Dienststelle. Wir hatten Verdachtsfälle und Kontaktpersonen, aber immer mit negativem Ergebnis. Das darf ruhig so bleiben. Ich hab frühzeitig von den Kollegen erbeten – auch wenn das dienstrechtlich nicht gehalten hätte – ihre privaten Kontakte zu reduzieren. Ich weiß von Kollegen, die das sehr strikt gehalten haben, einmal, um sich und ihre Familie zu schützen, aber auch, weil sie wissen, wie wichtig es ist, dass die Polizei funktioniert. Das soll jetzt nicht pathetisch klingen. Aber dafür bin ich meinen Leuten schon dankbar.
Maier: Wir werden auf jeden Fall unterwegs sein, wie an jedem Heiligen Abend. Wir haben da eine verstärkte Mannschaft im Dienst, genauso wie an Silvester. Weil die sozialen Kontakte gerade am Heiligen Abend und den folgenden Feiertagen jedes Jahr die Gefahr von Konfikten bergen. Und wenn Konflikte da sind, wird die Polizei gerufen. Wir können da schlecht sagen: Habt ihr mal in den Kalender geschaut? Es ist Weihnachten.
Maier: Natürlich gibt’s da Konflikte, spätestens am zweiten Feiertag, wenn diejenigen aufeinandergesessen waren, die sich sonst das ganze Jahr aus dem Weg gehen. Dann kommt Alkohol hinzu und dann knallt’s. Deshalb haben wir an Weihnachten mehr Leute im Dienst und an Silvester auch.
Maier: Die Linie ist ganz klar: Wenn sich jemand von uns erwischen lässt, ist er dran. Dann zeigen wir ihn an, und dann gibt’s die Strafe. Das ist so. Ich selber hab nichts gegen Feiern, ganz im Gegenteil. Aber wenn es heuer verboten ist und einer macht’s doch, kommen wir hin, stellen die Personalien fest und lösen die Feier auf. Da sind wir wieder bei den Rechtseingriffen. Aber wenn sich die Gesellschaft auf demokratische Weise Regeln gibt, dann hab ich null Problem, die auch durchzusetzen.
Maier: Absolut, zwei sind mir dabei besonders wichtig. Zum einen: Die Pandemie hat nicht geschafft, die bayerische Polizei in die Knie zu zwingen. Der Laden läuft. Wir sind hier in Ochsenfurt zuständig für 36 000 Leute. Die haben vom ersten Tag der Pandemie ihre Polizei gehabt. Da ist nichts schief gelaufen.
Maier: Die überwiegende Zahl der Menschen in Deutschland hat in kürzester Zeit einen Konsens hingekriegt und hält sich dran. Das ist für mich die positive Lehre: Es läuft bei uns, und zwar ohne Bürgerkrieg. Demos laufen mal aus dem Ruder, aber selbst wenn in Leipzig 10 000 gegen die Regeln demonstriert haben, bleiben 83 Millionen übrig, die nicht demonstriert haben. Und davon halten sich vielleicht 80 Millionen an die Regeln. Klar ist in einer Krise die Exekutive immer die handelnde Gewalt, aber unsere Legislative verlangt lautstark und zurecht nach Beteiligung, und die Judikative grätscht rein, wo sie es für nötig hält und untersagt uns auch Rechtseingriffe. Daran sieht man: Es funktioniert bei uns. Deshalb bin ich wirklich stolz auf dieses Gemeinwesen und diese Gesellschaft. Das wird mir positiv in Erinnerung bleiben.
Danke an Herrn Meißner wie auch Herrn Maier und bleiben Sie gesund!