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Grettstadt/Würzburg
Wie kam es zum Crash? Unfallanalytiker Werner Schech berechnete 30 Jahre lang Unfallhergänge in Unterfranken
Schicksale stehen im Hintergrund, Sachverständigen muss es am Unfallort um Spuren gehen. Gutachter Werner Schech aus Grettstadt sagt, auf was alle Fahrer achten sollten.
Werner Schech war jahrzehntelang als Unfallanalytiker tätig und zuletzt Niederlassungsleiter der Dekra in Würzburg. Der 65-Jährige aus Grettstadt (Lkr. Schweinfurt) berichtet über die Arbeit an einem Unfallort. 
Foto: Martina Müller | Werner Schech war jahrzehntelang als Unfallanalytiker tätig und zuletzt Niederlassungsleiter der Dekra in Würzburg. Der 65-Jährige aus Grettstadt (Lkr. Schweinfurt) berichtet über die Arbeit an einem Unfallort. 
Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:16 Uhr

Der Unfall ist lange her. Doch er ist Werner Schech noch immer gut im Gedächtnis. Auf einer Bundesstraße im Landkreis Schweinfurt kippt ein Lastwagen um und begräbt ein Auto mit vier Insassen unter sich. Zwei weitere Fahrzeuge sind beteiligt. Später wird sich herausstellen, dass der Lkw einem im Überholmanöver entgegenkommenden Pkw auswich und dabei auf die Gegenfahrbahn geriet. Werner Schech ist damals als Unfallanalytiker vor Ort. Die Insassen des Autos sind im Alter seiner Kinder.

Für Unfallanalytiker gibt es diese Momente, in denen man realisiert: Wäre die Fahrerin oder der Fahrer ein paar Sekunden früher losgefahren, wäre nichts passiert. Aber im Moment eines schweren Unfalles kommt eben alles zusammen.

Werner Schech ist 65 Jahre alt und seit diesem August im Ruhestand. Fast 38 Jahre lang war der studierte Maschinenbau-Ingenieur aus Grettstadt (Lkr. Schweinfurt) bei der Dekra Automobil GmbH beschäftigt. Er leitete die Außenstelle in Schweinfurt, war zuletzt Niederlassungsleiter in Würzburg und baute in Unterfranken den Fachbereich Unfallanalytik auf. Aktuell hat die Dekra sieben Unfallanalytiker in der Region im Einsatz, die 365 Tage im Jahr in Bereitschaft sind.

Unfallanalytiker sollen klären, was geschehen ist

Unfallanalytiker werden in der Regel von der Staatsanwaltschaft über die Polizei vor Ort beauftragt und zu einer Unfallstelle gerufen, wenn es Schwerverletzte oder Tote gibt. Der Experte soll dann den Unfallhergang klären. War es vielleicht ein technischer Mangel? Gab es am Fahrzeug kurz zuvor eine Reparatur? Ist der Fahrer oder die Fahrerin zu schnell gefahren oder hat zu spät reagiert? Hat vielleicht jemand gedrängt?

Im Polizeibericht steht dann zum Beispiel: "Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wurde ein Sachverständiger hinzugezogen." Das ist dann der Unfallanalytiker. Es sei die Aufgabe der Justiz, "denjenigen, der hier zu Schaden kam, zu schützen beziehungsweise die Strafverfolgung im öffentlichen Interesse vorzunehmen", erklärt Unfallanalytiker Schech. "Wir liefern die Beweise, die es vor Ort gibt. Die juristische Beurteilung in der Gesamtsicht nehmen die Gerichte vor."

Bei schweren Verkehrsunfällen mit schwerverletzten Personen oder Toten wird von der Staatsanwaltschaft ein Unfallanalytiker zur Klärung der Ursache hinzugezogen.
Foto: Dekra | Bei schweren Verkehrsunfällen mit schwerverletzten Personen oder Toten wird von der Staatsanwaltschaft ein Unfallanalytiker zur Klärung der Ursache hinzugezogen.

Die Beweise. Das sind beispielsweise die Spuren vor Ort, auf der Fahrbahn oder an den beteiligten Fahrzeugen. "Ganz entscheidend ist immer festzustellen, wo es zur Kollision kam, weil sich die Fahrzeuge nach der Kollision weiterbewegen oder überschlagen und bis zur Endstellung Energie abbauen", sagt Schech. Dann könne man die Auslaufbewegungen der Fahrzeuge feststellen und zurückrechnen, mit welcher Geschwindigkeit sie aufeinander gefahren sind. Die genaue Geschwindigkeit und Fahrsituation könne man zumindest in engen Grenzen feststellen.

Gutachten berücksichtigen auch äußere Umwelteinflüsse und Zeugenaussagen

Auch Fahrbahnverhältnisse, Wetterlage und Sichtverhältnisse spielen eine entscheidende Rolle, um den Unfallhergang beziehungsweise das Verhalten der Fahrer zu klären. Und um ein Gutachten erstellen zu können, "das bei einer Gerichtsverhandlung den genauen Hergang eingrenzen lässt", sagt der 65-Jährige.

In diesen Gutachten berücksichtige man zwar auch Zeugenaussagen. "Die sind aber meistens wenig aussagekräftig", sagt Schech, "weil derjenige, der beteiligt ist, selbst so involviert ist, dass er es in dem kurzen Moment nicht alles wahrnehmen kann". Und die Zeugen, die den Unfall beobachtet haben? "Die sehen in der Regel immer erst dann hin, wenn es schon gekracht hat, sodass sie zur Entwicklung des Unfalles oftmals zu wenig sagen können."

"Ich weiß, seit ich Unfallanalytiker bin, dass es morgen für mich oder einen nahestehenden Menschen vorbei sein kann."
Werner Schech, Unfallanalytiker aus Grettstadt

Es ist mitten in der Nacht, dunkel, es regnet. Ein schwerer Unfall. Ein ungünstiges Szenario für einen Unfallanalytiker. Was auf ihn zukommt, weiß er nicht. Seine Vorbereitung fängt deshalb schon vorher an: Welche Geräte braucht er? Kommt er an alle Spuren dran? Muss er auf der Autobahn auch die Gegenfahrbahn beurteilen? "Das sind die Dinge, die ich im Kopf durchgehe. Die Konzentration fängt zu Hause an", sagt Schech.

Ist man da, geht es darum, alle Spuren zu erkennen und dokumentieren zu können. "Der Verkehr steht, du hast Stress. Weil du weißt, sobald der Verkehr wieder rollt, sind die Spuren weg. Du kannst nicht sagen, ich fahre am nächsten Tag nochmal hin", erklärt der Analytiker. Und bei Regen seien die Spuren schwerer zu erkennen als bei Trockenheit. "Du hast im Prinzip vor Ort so eine Anspannung, dass du an das Schicksal der Personen zunächst nicht denkst." Als Sachverständiger müsse man das auch ausblenden – "um ganz neutral an den Fall herangehen zu können".

Schech und seine Kolleginnen und Kollegen werden immer wieder gefragt, wie sie es verkraften können, an eine Unfallstelle mit Schwerstverletzten oder Toten zu kommen. "Da muss man ganz ehrlich sein", sagt der 65-Jährige. "Da sind natürlich – und da habe ich Riesenrespekt vor – die Rettungskräfte schon viel eher da. Bei denen kommt es auf jeden Handgriff an." Die Unfallanalytiker könnten nicht helfen – "wir können nur alles dafür tun, den wahren Unfallhergang herauszufinden und zu belegen".

Überhöhte Geschwindigkeit ist nur einer von vielen Gründen

Die häufigsten Unfallursachen? Meistens stehe in den Unfallberichten, dass jemand zu schnell gefahren sei. "Ich bin der Meinung, es ist immer eine Kombination", sagt Schech. Meistens sei es Unachtsamkeit, vielleicht auch Unerfahrenheit. "Man hat ja Handy, man hat Freisprechanlage, man hat viele Assistenzsysteme im Auto, die einen ablenken können."

Genau in diesen Systemen sieht Schech aber auch viel Positives. Er erwartet, dass die Arbeit der Unfallanalytiker in Zukunft weniger wird: "Weil es dank der vielen und vermehrt verbauten elektronischen Assistenzsysteme weniger Unfälle geben wird oder die Unfallfolgen durch diese stark gemindert werden." Als ein Beispiel nennt er die Notbremssysteme, gerade in der Stadt. "Diese können den Unfall zwar auch nicht immer zwingend vermeiden, aber es ist natürlich ein Unterschied, ob jemand mit 50 oder mit 25 auffährt."

Ein Unfallanalytiker bei einer Untersuchung an der Unfallstelle. Unterfrankenweit sind für die Dekra sieben Sachverständige im Einsatz.
Foto: Dekra | Ein Unfallanalytiker bei einer Untersuchung an der Unfallstelle. Unterfrankenweit sind für die Dekra sieben Sachverständige im Einsatz.

Nicht nur Fahranfängerinnen und Fahranfänger sollten sich über neue Verkehrszeichen und Regelungen informieren, um die Verkehrslage richtig einschätzen zu können, meint Schech: "Es reicht nicht aus, einfach den Führerschein zu erwerben und sich damit sicher zu fühlen." Er bedauere, dass es nicht für alle üblich sei, die Verkehrstauglichkeit regelmäßig zu prüfen.

Gleiches gelte für die Sehfähigkeit, besonders im Alter. Für ihn selbst sei das auch ein Thema bei der Arbeit. Denn als Niederlassungsleiter ist der Grettstadter zwar im Ruhestand, als Sachverständiger für Schäden ist er aber weiter öffentlich bestellt und vereidigt. Gutachten erstelle er noch, sagt Schech, in der Unfallanalytik direkt sei er aber nicht mehr tätigt. Als Brillenträger habe er mittlerweile Sorge, nicht mehr gut genug sehen zu können für den Job: "Ich muss ja vor Ort beurteilen, ob man zum Beispiel den Fußgänger hätte rechtzeitig sehen können oder nicht. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, in meinem Alter zu sagen, ob da jetzt wirklich keine Spuren sind oder ich sie einfach nicht erkennen kann."

Schicksale vor Gericht nehmen auch den Sachverständigen mit

So sehe er es auch beim Fahren: "Man sollte sich immer hinterfragen, ob man noch mit voller Aufmerksamkeit und Sehfähigkeit am Verkehr teilnehmen kann." Als Sachverständiger in Gerichtsverhandlungen hat Schech oft mitbekommen, wie ältere Menschen weinend auf der Anklagebank sitzen: "Weil sie dafür verantwortlich waren, dass ein 18-jähriger Motorradfahrer ums Leben kam, nur weil sie ihn nicht rechtzeitig sehen konnten."

Solche Schicksale "nehmen einen auch mit", sagt Schech. Es gehe nicht nur um die Geschädigten, sondern auch um diejenigen, die hinterm Steuer saßen – und vielleicht durch eine kurze Unachtsamkeit einen Unfall verursachten.

Durch seinen Beruf habe sich seine Einstellung zum Leben verändert: "Ich weiß, seit ich Unfallanalytiker bin, dass es morgen für mich oder einen nahestehenden Menschen vorbei sein kann." 

Ein Beruf, den auch die Familie mitträgt

Sein letzter Einsatz an einer Unfallstelle ist ihm noch gut im Gedächtnis. 24. Dezember 2020, Heiligabend. "Da war die Festtagsstimmung für die ganze Familie erst einmal dahin." Unfallanalytiker seien, ähnlich wie die Rettungskräfte, nicht allein mit ihrem Beruf: "Familien und Freunde sind auch immer mit involviert. Ein Glück, wenn sie dies akzeptieren."

 
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