Das rechteckige Ding mit den schwarzen Gummimuffen sieht so ein bisschen aus wie ein plattgedrückter Telefonhörer, dessen Muscheln überpolstert sind. Das Plastik ist über die Jahre angestaubt und angegraut. Und während sich der Laie noch einigermaßen ratlos fragt, was das wohl für ein Gerät sein möge und was es denn um Himmels Willen mit dem Internet zu tun haben könnte, klärt sein Besitzer Gerhard Schneider freundlicherweise auf:"Das ist ein Akustikkoppler." Aha. Die Internetpioniere der 1980er Jahre werden jetzt gequält aufstöhnen, denn wollten sie ihren Computer mit der Welt verbinden, waren sie auf Gedeih und Verderb diesem Ding ausgeliefert.
Wobei die Welt in diesem Zusammenhang vor 30 Jahren noch sehr überschaubar war. Bevor an Facebook und Instagram überhaupt zu denken war, geschweige denn daran, ein Bild innerhalb eines Wimpernschlags auf den PC zu laden, gab es schon so etwas wie einen Datenaustausch, aber eben sehr eingeschränkt und mit einer sehr kleinen Fan-Gemeinde.
Internetpioniere brauchten Geduld und waren nachtaktiv
Einer, der von Anfang an dabei war, ist Gerhard Schneider, heute Geschäftsführer der Fidion Gmbh, die Content-Management-Systeme für Tageszeitungen anbietet, damals Informatik-Student an der Fachhochschule Würzburg. Dem großen Mann mit dem Pferdeschwanz huscht ein Grinsen über das Gesicht, wenn er an die Anfänge des Internets, also eigentlich die Vorinternet-Phase zurückdenkt.
Wer "online" gehen wollte, musste den Telefonhörer eines Apparats der deutschen Post sorgfältig auf die schwarzen Muffen des Akustikkopplers pressen. Dann die Nummer einer Mailbox anwählen. Da sich nur eine gewisse Anzahl von Nutzern gleichzeitig einwählen konnte, war die Leitung häufig belegt. Und so hieß es nochmal wählen und nochmal. War man erst einmal drin, bestand eine gute Chance, direkt wieder rauszufliegen. Dann ging das Spiel von vorne los. Internetpioniere brauchten viel Geduld und waren meist nachtaktiv. "Abends war der Telefontarif bei der deutschen Post nun mal deutlich günstiger als tagsüber", erklärt 51-Jährige.
Langsam, teuer und mit begrenzten Zugriffsmöglichkeiten
So tutete und quietschte es des Nachts auch regelmäßig im rund 16 Quadratmeter großen Jugendzimmer von Schneider im Würzburger Frauenland. "Den Akustikkoppler habe ich irgendwann in den Schrank gestellt, und ein Kissen draufgepackt, weil die Rückkopplung wirklich nervig war." Über die Mailboxen tauschten die Internetpioniere vor allem Daten und Software aus, die in einer Art Briefkasten hinterlegt waren. Etwas komfortabler wurde das Ganze erst durch ein Modem, doch auch das war langsam, teuer und die Zugriffsmöglichkeiten waren begrenzt. "Das war damals alles komplett neu und ziemlich experimentell", erinnert sich Schneider. Trotzdem ist der Student von den Möglichkeiten der Technik derart begeistert, dass er sich in das Thema richtig reinfuchst, seine eigene Mailbox einrichtet, und diese sukzessive zur deutschlandweit größten Amiga-Mailbox ausbaut. "Ich war damals schon ein kleiner Nerd", bekennt er.
Doch da war er längst nicht der einzige. Zeitgleich fand sich in Würzburg eine Gruppe technikbegeisterter junger Männer zusammen und gründete die GeFökom, die Gesellschaft zur Förderung Kommunikativer Medien. Auch dort gab es seit 1989 eine Mailbox zum Chatten. Aber weil Konkurrenz nicht zwingend das Geschäft belebt, stieg Schneider schließlich als Vorsitzender bei der GeFökom ein und sein Jugendzimmer wurde zur Zentrale für die Pionierarbeit in Sachen Internet in Unterfranken. Was mit einem Modem begann, endete schließlich bei 25. Schneider schraubte auf eigene Kosten mit seinen Freunden Serverschränke zusammen und ließ Leitungen freischalten: Erst zwei, dann vier und dann acht. "Ich habe alle vier Wochen wegen einer neuen Leitung angerufen."
Das Jugendzimmer wurde ein Serverraum, in dem außer einem Tisch und einem Bett nicht mehr viel Platz fand. Der Computer lief rund um die Uhr. "Das hatte immerhin den Vorteil, dass man nicht mehr heizen musste", sagt Schneider. Doch das Engagement der GeFökom zahlte sich aus. Anfang der 90er Jahre griffen die Würzburger bereits auf weltweite Diskussionsforen im sogenannten Use-Net zu. Dort waren E-Mail und Foreneinträge schon möglich, auch wenn es mit dem Internet von heute nur wenig zu tun hatte. Vielmehr wurden kurzfristige Verbindungen hergestellt, um Daten auszutauschen. Schätzungsweise 100 Würzburger nutzten 1995 das Usenet.
Im gleichen Jahr legte eine Standleitung zwischen Würzburg und Karlsruhe, damals das deutsche Internet-Zentrum, die Grundlagen für das Surfen im heutigen Sinne. Abgesehen von den Hochschulen war die neue Datenautobahn aber nur für wenige bezahlbar. 450 Mark kostete beispielsweise ein monatliches Kontingent von fünf Megabyte Daten. Das wollte die GeFökom ändern. "Wir wollten möglichst viele Leute für die Technologie begeistern und sie möglichst vielen Menschen zugänglich machen. Geld haben wir damit nicht verdient." Im Gegenteil, Schneiders Eltern unterstützten das Hobby ihres Sohnes auch finanziell, denn ein gutes Modem kostet damals schnell an die 1000 D-Mark. Nur als beim Verlegen einer 10Mbit-Standleitung im Garten der Schneiders die Rosen seiner Mutter zerstört wurden, hing der Haussegen kurzzeitig schief.
"Meine Mutter hat immer gesagt, solange ihr nichts illegales macht, ist mir das egal", erinnert sich Schneider. Wobei, so ganz legal ging es dann auch im Jugendzimmer nicht zu, aber das war eher den Umständen geschuldet, denn krimineller Energie. An die Leitungen der deutschen Post durften nur zertifizierte Geräte angeschlossen werden. Aber die Modems aus den USA waren nun einmal deutlich schneller als die deutschen. Ein Thema, über das die GeFökom mit dem damaligen und gleichzeitig letzten Postminister Wolfgang Bötsch bei einem Besuch in Würzburg reden wollte. Während der sich die Sorgen und Nöte der Internetpioniere anhörte, blinkten und summten hinter ihm einige verbotene amerikanische Modems fröhlich in den Buchsen der deutschen Post vor sich hin.
Bürgernetzvereine halfen Schulen und Städten
Die Bitten der Internetpioniere wurden spätestens ab 1995/1996 erhört. Der Freistaat legte das Pilotprojekt Bayern Online auf und stellte 100 Millionen Mark landesweit zur Verfügung. Die GeFökom wurde einer von rund 80 bayerischen Bürgernetzvereinen, die Server aufstellten, Workshops veranstalteten und Schulen oder Städten dabei halfen, Zugang zum Internet zu bekommen oder eigene Webseiten für sie erstellten.
Jetzt – über 30 Jahre später - liegt der ausgediente, verstaubte Akustikkoppler auf dem Tisch, während Gerhard Schneider einfach mal schnell mit seinem Smartphone checken kann, ob die Samtpfote zu Hause einen unerwünschten Besucher mit durch die Katzenklappe geschleppt hat. Die Vor-Internet-Ära wünscht er sich sicher nicht zurück. Aber eine Sache, die war damals als E-Mails und Forenbeiträge noch mühsam heruntergeladen werden mussten, dann doch besser, findet Schneider: "Obwohl wir auch oft hitzig über verschiedene Themen diskutiert haben, ging es nie unter die Gürtellinie, wurde niemand beschimpft oder verunglimpft."