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Würzburg
Wenn im Stadtrat viele Parteien sitzen: Chance oder Risiko?
Dass die Parteienlandschaft immer bunter wird - auf kommunaler Ebene nichts Neues. Unterfrankens Oberbürgermeister berichten, wie sie mit Vielfalt und Zersplitterung umgehen.
Zehn Parteien und Gruppierungen teilen sich derzeit die 50 Sitze im Würzburger Stadtrat 
Foto: Daniel Peter | Zehn Parteien und Gruppierungen teilen sich derzeit die 50 Sitze im Würzburger Stadtrat 
Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:03 Uhr

Zwei große Parteien, zwei oder drei kleine - das war einmal. Die Parteienlandschaft ist bunt geworden, auf Europa- und Bundesebene und in den Länderparlamenten lässt sich eine immer stärkere Zersplitterung beobachten. Für Kommunalpolitiker nicht überraschend - und nicht ungewöhnlich. "Wir haben hier häufig Initiativ- und Wählergruppen, die nur ganz lokal agieren", sagt Schweinfurts Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU). Auf kommunaler Ebene sei die Parteienlandschaft "noch vielfältiger und insofern auch zergliederter, als das im Land oder Bund der Fall ist".

Meinungsvielfalt ist größer geworden

Auch für Kitzingens Oberbürgermeister Siegfried Müller (UsW) ist das "nichts Neues". Auch hier sei der Stadtrat immer bunter geworden. Sein Würzburger Kollege Christian Schuchardt (CDU) spricht von einer Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Das Meinungsspektrum sei breiter geworden, die Entfernung zwischen den Extrempositionen habe zugenommen, so der Würzburger OB. Heute gebe es keine festen Mehrheiten mehr. Mit Blick auf den Bundestrend sagt Schuchardt: Der Bundestag nähere sich langsam den Verhältnissen des Würzburger Stadtrats an. Die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Partikularinteressen habe ja "auf kommunaler Ebene begonnen".

Oberbürgermeister der Stadt Schweinfurt: Sebastian Remelé.
Foto: Josef Lamber | Oberbürgermeister der Stadt Schweinfurt: Sebastian Remelé.

Im Schweinfurter Stadtrat beispielsweise gab es bis in die 1980er Jahre zwei dominierende Parteien - und einen Einzelkämpfer. Mittlerweile finden sich dort fünf Fraktionen, dazu die Wählergemeinschaft proschweinfurt, die FDP und die AfD. Im Kitzinger Rathaus kommen insgesamt acht Parteien zusammen, im Würzburger Stadtrat mit insgesamt 50 Sitzen zehn verschiedene Parteien und Gruppierungen.

Was steht hinter dieser Entwicklung? Für Christian  Schuchardt spiegelt die heutige Gesellschaft viele unterschiedliche Lebensstile und Lebenswirklichkeiten wider. Es gebe nicht mehr die eine vorherrschende Richtung. Ähnlich sieht es Remelé: Die Gesellschaft sei heterogener geworden,  Milieus hätten sich aufgelöst. Menschen würden sich heute gerne für "ihr" Thema engagieren und seien darauf fixiert. Viele fühlten sich bei den Volksparteien nicht mehr aufgehoben.

Oberbürgermeister der Stadt Würzburg: Christian Schuchardt
Foto: Daniel Peter | Oberbürgermeister der Stadt Würzburg: Christian Schuchardt

Dass es in der bayerischen Kommunalpolitik keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, die eine Parteienzersplitterung eindämmen könnte - Schuchardt hält das für sinnvoll. "Die Fragen, mit denen sich ein Stadtrat beschäftigt, sind zu 98 Prozent wirklich reine Sachfragen", sagt der Würzburger OB. "Lediglich im Vorfeld von Wahlen werden im Zweifelsfall Themen, bei denen man normalerweise Einigkeit hätte, zu Konfliktthemen." Eine Fünf-Prozent-Hürde reduziere künstlich die Anzahl der Meinungen. Doch es gehe darum, dass die Bevölkerung in ihrer Vielfältigkeit richtig widergespiegelt sei.

Martha Suda, die an der Uni Würzburg über Kommunalpolitik forscht, sagt: "Es ist Ansichtssache, ob wir von Parteienzersplitterung oder - eher positiv - von Parteienvielfalt sprechen." Es zeige sich generell, dass in einem Stadtrat möglichst viele Interessen vertreten werden. Die Herausforderung bestehe darin, diese zusammenzubringen, so die Politikwissenschaftlerin.

"Dass alles schnell einstimmig beschlossen wird, ist ja kein Gradmesser für Qualität. Das ist höchstens ein Gradmesser für klare Mehrheitsverhältnisse."
Christian Schuchardt, Oberbürgermeister der Stadt Würzburg

Doch was heißt es, wenn immer mehr Parteien mitreden wollen? Es komme auf die Personen an, die im Stadtrat sitzen, sagt Suda: "Wenn sie alle den demokratischen Grundsatz teilen und Interesse an der Stadtgestaltung haben, dann denke ich, ist man gefordert, Themen gut auszudiskutieren, um die Kommune weiterzubringen."

Diskurs ist aufwendiger geworden

Was zeigt die Praxis? Im Würzburger Rathaus sei es "nicht unbedingt schwieriger einen Kompromiss zu finden, der Diskurs ist nur vielfältiger und aufwendiger geworden", sagt Schuchardt. Am Ende gehe es darum, eine legitimierte Entscheidung zu finden. "Dass alles schnell einstimmig beschlossen wird, ist ja kein Gradmesser für Qualität. Das ist höchstens ein Gradmesser für klare Mehrheitsverhältnisse."

Sein Kitzinger Amtskollege Müller beklagt die zunehmende Bürokratie, die mit steigender Parteienzahl aufkommt: "Viele Anträge und viele unterschiedliche Interessen können die Entscheidungsprozesse lähmen und belasten vor allem die Verwaltung, da jeder Antrag geprüft, bearbeitet und individuell abgewogen werden muss."

Kitzingens Oberbürgermeister Siegfried Müller
Foto: Jürgen Sterzbach | Kitzingens Oberbürgermeister Siegfried Müller

Der Ton im Stadtrat werde durch die Vielfalt jedoch nicht schlechter, sagt Müller: „Wir arbeiten kollegial zusammen. Wenn man kontrovers diskutiert, darf es auch manchmal etwas temperamentvoll zugehen.“ Remelé beobachtet in Schweinfurt, „dass man für sich markante Themen heute mit heftigster Leidenschaft vorträgt und da vielleicht so ein bisschen das große Ganze aus dem Blick verliert“. Auffällig sei, dass Stadträte heute "den Weg des Bürgerentscheids suchen, wenn sie mit ihrer Meinung im Stadtrat keine Mehrheit auf sich vereinigen", sagt er.

Breites Angebot führt nicht zu mehr Wahlbeteiligung

Positiv beurteilen die mainfränkischen Oberbürgermeister die Vielfalt an Ideen – sofern alle an einem Strang ziehen. "Der Vorteil an einer ausdifferenzierten Parteienlandschaft besteht darin, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen besser und direkter repräsentiert werden", sagt Schuchardt. Außerdem könne man so letztlich jedem interessierten Bürger ein Angebot machen, sagt Remelé. 

Martha Suda, Politikwissenschaftlerin an der Universität Würzburg.
Foto: Martha Suda | Martha Suda, Politikwissenschaftlerin an der Universität Würzburg.

Warum dann die Wahlbeteiligung nicht höher liegt? Politikwissenschaftlerin Martha Suda erklärt es so: "Kommunalpolitik hat für viele auf den ersten Blick eher wenig Aufregendes und sie gilt gemeinhin als solide, aber auch als bieder und im Grunde provinziell." Auch wenn es in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht anders scheine, habe die Kommunalpolitik eine immense Bedeutung. Auf keiner anderen staatlichen Ebene seien die Entscheidungen so unmittelbar für die Bürger spürbar und die Wirkungsmöglichkeiten so groß.

Kommunalwahl 2020: Weitere Zergliederung denkbar?

Und was erwarten die Oberbürgermeister von der Kommunalwahl im März 2020? Wird das Spektrum in den Stadträten noch vielfältiger? In Kitzingen rechnet Müller mit weiteren Gruppierungen. Im Würzburger Rathaus, sagt Schuchardt, werde das wohl von den Themen im Wahlkampf abhängen und ob sie eine starke Fokussierung auf meinungsführende Parteien bewirken. Gibt es diese Themen nicht, kann sich Schuchardt eine weitere Ausdifferenzierung vorstellen.

Anders sieht es in Schweinfurt aus. OB Remelé rechnet nicht damit, dass weitere Gruppierungen dazu kommen werden. Er erwartet vielmehr das Erstarken der Parteien. Die AfD werde sicherlich zulegen. Und vermutlich die Fraktion der Grünen, "weil das jetzt der Zug der Zeit ist".

 
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  • stefan.behringer@web.de
    Ein Grund ist, dass sich die Leute früher alles von der öffentlichen Verwaltung haben gefallen lassen. Es war eine Art Über- bzw. Unterordnungsverhältnis.

    Mittlerweile sind die Leute aufgeklärter und merken, dass man nicht mehr unbedingt alles so hinnehmen muss. Und dass man seinen Protest auch mittels Stimmabgabe ausdrücken kann.

    Die Großen Parteien lernen erst langsam, dass sie auf die Bürger zugehen müssen, um nicht noch mehr Stimmen zu verlieren.
    So wird z. B. aus dem "Flüchtlings-Hasser" Söder plötzlich ein "Umweltschützer" zwinkern.
    Angela Merkel wurde von der Atomkraftbefürworterin plötzlich zur Gegnerin. Aber auch die Grünen tolerieren jetzt alles, weil man nicht mehr als Verbots-Partei gesehen werden möchte.
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