
Paul ist ein aufgewecktes, fröhliches Kind. Und er braucht eine Organspende. Im elterlichen Wohnzimmer in Kürnach krabbelt er über den Boden, zeigt Gästen seine Spielsachen, schmeißt diese auch mal durch die Luft und lacht dabei fast ununterbrochen – sogar im Stehen versucht sich der 16 Monate alte Paul bereits.
"Wenn man nicht wüsste, dass er eine Nierenerkrankung hat, würde man auf den ersten Blick keinen Unterschied zu einem gesunden Kind merken", sagt Vater Dominik Panzer im Gespräch mit dieser Redaktion. "Außer natürlich am Schlauch", fügt Pauls Mutter Uschi Ferstl hinzu.
Eine niederschmetternde Diagnose
Dieser Kunststoffschlauch führt zu einem künstlichen Magen-Zugang, über den das Kleinkind seine Nahrung erhält. Denn Paul isst nicht über den Mund. Dass er keinen Hunger hat, ist eine Begleiterscheinung seines Nierendefekts und der Dialyse, die er jede Nacht während des Schlafens zu Hause erhält. Ansonsten sei Paul ein bisschen kleiner als seine Altersgenossen und brauche etwas länger, um neue Dinge zu lernen, sagt seine Mutter. "Doch transplantierte Kinder holen so ein Entwicklungsdefizit schnell wieder auf." Auch Appetit würde der kleine Paul dann entwickeln.
Dass es ihrem Sohn ansonsten so gut gehen würde, damit habe sie vor seiner Geburt nicht gerechnet, erzählt Uschi Ferstl. Bei einem Routine-Ultraschall im Januar 2017 haben Pauls Eltern die Nachricht erhalten, dass es keine Perspektive für ihr ungeborenes Kind geben soll.Die vermeintlichen Optionen: Schwangerschaftsabbruch oder Tod bei der Geburt.
Neue Hoffnung
Trotz dieser für das Paar niederschmetternden Diagnose haben die beiden ihren Sohn nicht aufgegeben. Durch Zufall sind sie auf eine experimentelle Behandlungsmethode am Deutschen "Zentrum für Fetalchirugie und minimal-invasive Therapie" gestoßen, durch die ihr Baby doch noch eine Chance bekommen sollte.
Das medizinische Verfahren, bei dem regelmäßig fehlendes Fruchtwasser in der Fruchtblase der Mutter durch Kochsalz- und Ringerlösung kompensiert wurde, hat angeschlagen und Paul ist lebend zur Welt gekommen. Ohne die Therapie hätte sich seine Lunge nicht ausreichend entwickelt.

Mit der aktuellen gesundheitlichen Situation ihres Sohnes sind Dominik Panzer und Uschi Ferstl zufrieden. Sie haben sogar den großen Schritt gewagt, Paul zu einer Tagesmutter zu geben, wo er mit anderen Kindern spielen kann. Doch natürlich sei die Hoffnung groß, so Ferstl, dass die Familie "in absehbarer Zeit" auch ein passendes Angebot von der Stiftung Eurotransplant bekomme, bei der Paul als Spendeempfänger gelistet ist. Im Schnitt dauere dies bei Kindern zwischen zwei und drei Jahren.
Keine Notlösung
Die Handys der jungen Eltern bleiben rund um die Uhr angeschaltet, um auf keinen Fall den ersehnten Anruf zu verpassen. Das Paar meidet sogar Bereiche, in denen man keinen Empfang haben könnte. "Ich wäre froh, wenn ein Angebot in einer Zeit kommt, in der wir noch nicht aus medizinischen Gründen überlegen müssen, auf die Alternative einer Lebendspende zurückgreifen zu müssen. Das wäre die Notlösung", sagt Ferstl. Zwar befindet sich Pauls Vater in einem mehrstufigen Test-Verfahren und könnte wahrscheinlich eine Niere spenden, doch damit sind einige Probleme verbunden.
Nicht nur, dass bei einer solchen Operation immer auch eine gewisse Gefahr für den Spender bestehe, sondern auch der Umstand, dass Paul aufgrund der unterschiedlichen Funktionsdauer von Organen im Laufe seines Lebens vermutlich mehrere Nieren brauchen werde, spräche zunächst gegen diese Option. Wenn es schnell gehen muss, so Ferstl, stünde die Niere von Pauls Vater dann nämlich nicht mehr zur Verfügung. Zumal es bei jeder weiteren Spende umso wichtiger werde, dass das gespendete Organ gut passt, da die Wahrscheinlichkeit, dass ein Niere vom Körper nicht angenommen wird, zunehme.
Organtransplantation bei Kindern
Je früher ein Kind transplantiert wird, desto besser sei dies für seine Entwicklung, sagt Dominik Panzer. "Ich glaube, sehr wenige Leute denken bei diesem Thema an Kleinstkinder und Babys. Doch gerade für deren Entwicklung ist ein Organ unerlässlich. Sie haben ihr Leben noch vor sich." Soweit er weiß, so Panzer, ist Paul in Unterfranken das einzige Kind seiner Altersklasse, das eine Dialyse erhält. Laut Eurotransplant-Statistik waren Ende 2017 gerade einmal ein Prozent der Menschen, die als Spendeempfänger für eine Niere gelistet waren, Kinder im Alter von null bis 15 Jahren.
Grundsätzlich gibt es einen Mangel an Organspendern in Deutschland. Nach Angaben der Deutschen Stiftung für Organtransplantation hat die Zahl der Menschen, die ein Organ gespendet haben, 2017 mit 797 den niedrigsten Stand seit 20 Jahren erreicht. Dieser Zahl gegenüber stehen derzeit rund 10.000 Menschen, die in Deutschland auf eine Transplantation warten.
Diskussion um doppelte Widerspruchslösung
Für das Paar aus Kürnach ist der Vorstoß von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Sachen doppelte Widerspruchslösung ein positives Signal. Mit dieser wäre erst einmal jeder Bürger auch Spender. Dagegen könnte zu Lebzeiten ein Veto eingelegt werden. Zusätzlich müssten die Angehörigen befragt werden. Derzeit sind nur diejenigen Organspender, die sich mittels Spenderausweis oder Patientenverfügung aktiv dafür entschieden haben oder deren Angehörige für den Verstorbenen entscheiden, ob es zu einer Organspende kommen soll.
"Es wäre ein Gewinn, wenn es wirklich zu einem Gesetzesentwurf kommt, aktuell wird ja nur über diese Lösung diskutiert", sagt Uschi Ferstl. Mehr Menschen würden sich dadurch mit dem Thema Organspende auseinandersetzen. Die persönliche Entscheidung, nach dem Tod nicht die eigenen Organe spenden zu wollen, respektiere sie natürlich. "Ich glaube, dass dieser Ansatz in beide Richtungen gut funktionieren würde: Für diejenigen, die Spenden wollen, und für diejenigen, die es nicht wollen. Aber natürlich habe ich auch den Wunsch, dass sich die Umfragen, laut denen die Mehrheit der Deutschen Organspende befürworten, als realistisch erweisen."