1994 hat die Unesco den 5. Oktober zum "Weltlehrertag" ausgerufen. Damit soll auf die verantwortungsvolle Aufgabe von Lehrkräften aufmerksam gemacht und ihr Ansehen gesteigert werden. Wir haben mit zwei Lehrerinnen aus der Region gesprochen – über Quereinsteiger, Schülereltern und Digitalisierung.
Frage: Was hat Sie dazu gebracht, Lehrerin zu werden?
Silke Grünewald: Nach dem typischen Kinder-Berufswunsch "Tierärztin" kam schon bald die Idee "Lehrerin". Vielleicht, weil ich selbst einige gute Lehrer hatte.
Margret Simmelbauer: Vielleicht die Gene. Mein Vater war Lehrer, meine Geschwister sind beide im Lehrberuf. Schon immer habe ich gern mit Menschen zusammengearbeitet, sehr oft Nachhilfe gegeben. Meine Studienwahl hat mein Mathematik- und Physiklehrer beeinflusst.
Wie ist Ihre Sicht auf Ihren Beruf heute?
Grünewald: Ich habe schnell gemerkt, dass das Unterrichten nur einen Bruchteil der Arbeit eines Lehrers ausmacht. Vor allem der erzieherische Aspekt nimmt viel Raum ein, aber auch der bürokratische. Ein Lehrer ist so viel mehr als nur Stoffvermittler – er ist Erzieher, Erziehungsberater, Psychologe, Motivator, Schauspieler, Kassier, Zuhörer, Sanitäter, Manager, Familienberater, Sekretär, Streitschlichter, Fehlerfinder, Schatzsucher, Listenverwalter...
Simmelbauer: Der Lehrberuf ist weitaus vielseitiger, als Inhalte adressatengerecht darzubieten und Prüfungen zu stellen und zu korrigieren. Viel Zeit und Engagement werden für erzieherische und verwaltungstechnische Aufgaben aufgewandt. Zurzeit lassen neuer Lehrplan und Digitalisierung keine Langeweile aufkommen.
Welches Image hat der Lehrerberuf für Außenstehende?
Grünewald: Es gibt zwei Reaktionen auf die Tatsache, dass ich Grundschullehrerin bin: "Oh Gott, das könnte ich nie!" – oder ein Belächeln, weil "Grundschule ja jeder kann". Für viele, die Lehrer nur aus ihrer eigenen Schulzeit kennen, scheint das ein gut bezahlter Halbtagsjob mit vielen Ferien zu sein. Diejenigen, die Lehrer in der Familie oder im Freundeskreis haben, wissen, dass die meisten abends, am Wochenende und auch in den Ferien arbeiten.
Simmelbauer: Unser Berufsstand erfährt wieder mehr Wertschätzung. Immer mehr Außenstehende zollen der vielseitigen und mitunter anstrengenden Arbeit Respekt.
Was sind die Hauptgründe für den Lehrermangel?
Grünewald: Planungsversagen im Hinblick auf den Lehrerbedarf. Vielleicht aber auch ein geringer gesellschaftlicher Stellenwert und die ungleiche Bezahlung der Lehrämter, schlechte Aufstiegschancen beziehungsweise unattraktive Bedingungen für Schulleitungen, ständig steigende Herausforderungen bei gleichzeitig schlechter werdenden Bedingungen im Schulalltag. Immer mehr gesellschaftliche Aufgaben sollen und müssen durch die Schule übernommen werden, ohne dass ausreichend sichergestellt wird, wie und wer das übernehmen kann: Digitalisierung, Inklusion, Integration, individuelle Förderung, Umweltbildung, Medienerziehung, Ganztag... bei stetig weniger Förderstunden und Wahlkursen.
Simmelbauer: Die steigenden Schülerzahlen und die hohen Pensionierungsraten. Dazu kommt aus meiner Sicht auch, dass der Beruf nicht mehr ganz so attraktiv ist: Den heutigen Schülerinnen und Schülern eilt der Ruf voraus, dass sie schwieriger zu unterrichten seien, etwa weil sie kürzere Aufmerksamkeitsspannen haben, beziehungsweise, weil immer mehr Erziehungsaufgaben aus dem Elternhaus auf die Schule verlagert werden.
Was könnte man gegen den Lehrermangel tun?
Grünewald: Bei der Lehrerbedarfsplanung nicht auf Kante nähen, eine gleichwertige Bezahlung der Lehrämter einführen, das Image auf- und die Bedingungen verbessern.
Simmelbauer: Kleinere Klassen und mehr Zeit für Lehrkräfte, zum Beispiel für Teambesprechungen, sind Möglichkeiten, die kurzfristig für eine Verbesserung des Unterrichtens sorgen und so auch den Beruf wieder attraktiver machen. Auf Dauer wird eine steigende Wertschätzung des Berufs durch die Gesellschaft wieder mehr junge Menschen ermutigen, diesen Beruf zu ergreifen.
Ihre Meinung zu Quereinsteigern im Lehrerberuf?
Grünewald: Das kann in Einzelfällen gut gehen. Man kann so das quantitative Problem etwas reduzieren, aber es darf keine Einbußen in der Qualität geben: Die Grundschule hat spezifische Herausforderungen, etwa den Erstlese- und Schreibunterricht sowie die Organisation und Struktur des Unterrichts. Das ist nicht für jeden Quereinsteiger einfach umzusetzen.
Simmelbauer: Insbesondere in meinem Fach Physik fände ich es spannend, eine Kollegin oder einen Kollegen aus der Forschung beziehungsweise der Praxis zu haben, einen "Daniel Düsentrieb", der mit seinen Ideen andere ansteckt und Schülerinnen und Schüler inspirieren kann. Allerdings sollte man nicht unterschätzen, welche Kompetenzen in Pädagogik und auch in Psychologie täglich zum Tragen kommen.
Was möchten Sie Ihren Schülern – neben dem Unterrichtsstoff – mit auf den Weg geben?
Grünewald: Dass Lernen nicht schulischer Selbstzweck ist. Lernen heißt: Die wundervolle Welt, in der wir leben, zu entdecken und Stück für Stück besser zu verstehen. Außerdem ein Gefühl der Gemeinschaft, des Aufgehoben- und Willkommenseins. Jeder ist wichtig. Fehler sind erlaubt!
Simmelbauer: Als wichtig erachte ich es, unsere Kinder zu befähigen, kritisch zu hinterfragen, Entscheidungen abzuwägen und zu treffen, und sie zu ermutigen, sich zu engagieren und für die gute Sache einzutreten. Manche leben nach dem Motto: Wer nichts macht, macht auch keine Fehler. Meiner Meinung nach ist es aber wichtig, gerade im Kindes- und Jugendalter, Fehler zu machen und machen zu dürfen, denn aus Fehlern lernt man unheimlich viel.
Was wünschen Sie sich von den Eltern Ihrer Schüler?
Grünewald: Vertrauen und Respekt! Offenheit, Ehrlichkeit. Außerdem ein gesundes Mittelmaß: Weder Desinteresse am Kind noch eine übertriebene, komplette Kontrolle.
Simmelbauer: Dass sie sich für ihre Kinder interessieren, ihnen Zeit schenken und mit uns Lehrkräften an einem Strang ziehen.
Die schwierigste Seite Ihres Berufs?
Grünewald: Dass ich nie wirklich fertig bin. Immer könnte ich den Unterricht noch differenzierter planen, die korrigierten Hefteinträge mit individuellen Kommentaren versehen, den Eltern von X schreiben, was in der Pause vorgefallen ist. Oft ist es schwierig abzuschalten, wenn man die Schicksale mancher Kinder nicht aus dem Kopf bekommt. Schwierig und paradox finde ich, dass ich zwar die Kinder differenziert unterrichten soll und möchte, aber andererseits – zwecks Notengebung und Selektionsauftrag – am Ende alle über einen Kamm scheren und einheitliche Proben schreiben muss. Hier ist der Fördergedanke nicht zu Ende gedacht.
Simmelbauer: Durch die Digitalisierung prasseln auf uns Lehrkräfte viele Veränderungen ein, die auch technikaffine Kolleginnen und Kollegen stark beeinträchtigen. In kurzer Zeit werden viele Informationen gestreut, die gelesen und verarbeitet werden sollen. Im Vergleich zu früher erfolgt die Kontaktaufnahme in höherer Frequenz mit geringerem Vorlauf, in schlichterer Form. Reaktionen werden sofort erwartet, zu den unterschiedlichsten Tageszeiten. Das baut eine Menge Druck auf. Dazu kommt, die jungen Menschen im Umgang mit den neuen Medien zu schulen, da die Abhängigkeit vom Smartphone zunimmt. Die Umrüstung der Klassenzimmer erfordert andere Unterrichtskonzepte, die aber nur erfolgreich greifen, wenn die Technik funktioniert.
Was ist das Schönste an Ihrem Beruf?
Grünewald: Es gibt jeden Tag fröhliche, berührende Momente: Wenn Kinder stolz sind, was sie geschafft haben, wenn sich fast die ganze Klasse meldet, Kinder sich wundern, dass "schon wieder Pause" ist, aus einem "Hä?" ein "Ach so!" wird, Rituale selbstverständlich werden, der Kindermund wieder mal besonders süß war, Kinder mit Schwierigkeiten kleine Fortschritte machen, man kleine Briefe bekommt und vor dem Wochenende von einem Erstklässler mit den Worten "Ich vermisse dich jetzt schon!" gedrückt wird. Der Beruf ist wahnsinnig abwechslungsreich, kein Tag gleicht dem anderen, keine Klasse ist wie die vorherige.
Simmelbauer: Wenn ich miterleben darf, wie eine Schülerin oder ein Schüler sein persönliches Aha-Erlebnis hat oder wenn Schüler ihr eigenes Projekt betreiben und stolz präsentieren. So freut es mich zum Beispiel, dass ich die Schülerfirma "Fresh&Fruits" über acht Generationen hinweg begleiten darf, und sich die Jugendlichen einsetzen, dieses Projekt mit neuen Ideen konstruktiv zu verbessern und die Neuerungen nachhaltig zu verankern.
Silke Grünewald (45) ist seit 2001 Lehrerin; seit 2011 unterrichtet sie an der Grundschule Ochsenfurt. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern.
Margret Simmelbauer (48) ist Oberstudienrätin und unterrichtet Mathematik und Physik am Gymnasium Veitshöchheim. Seit 2011 ist sie Betreuungslehrerin der Schülerfirma Fresh&Fruits-Schülerlounge. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.