Er hat sich als politisch-gesellschaftliche Strömung Bahn gebrochen, hat Einzug gehalten in die Parlamente und das Parteiensystem gehörig durcheinandergewirbelt. In Deutschland beschäftigt man sich vor allem seit den Pegida-Aufzügen sowie der flächendeckenden Ausbreitung der AfD mit dem Phänomen des Populismus. Er scheint sich weltweit auszubreiten, gesellschafts- und mehrheitsfähig zu werden.
In den USA wird ein Präsident ins Amt gewählt, der mit populistischen Sprüchen und Entscheidungen ganze Weltkrisen heraufzubeschwören droht. Und in Europa zerren Nationalisten wie Geert Wilders in den Niederlanden oder der autoritäre Viktor Orbán in Ungarn an der Einheit des Kontinents und ziehen neue Zäune hoch.
Problematischer Alleinvertretungsanspruch von Populisten
Populisten wie sie erklären sich nicht nur zu Anwälten des Volkes – nein, sie sehen sich als deren einzig Bevollmächtige, Wahlausgänge hin oder her. Andersdenkende und –schreibende (Stichwort „Lügenpresse“) werden diskreditiert und pauschal angezweifelt. Ihre Anhänger, zu einem großen – aber nicht ausschließlichen – Teil gefühlte Verlierer der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, skandieren dann „Wir sind das Volk“, statt „Wir sind auch das Volk“.
Es ist dieser moralische Alleinvertretungsanspruch, der für den Politologen Jan-Werner Müller zu den zentralen Wesenszügen des modernen Populismus gehört und diesen so problematisch macht. Müller lehrt an der Princeton University in den USA Politische Theorie und Ideengeschichte und hat sich in einem vielbeachteten Essay („Was ist Populismus?“) mit Erscheinungsformen, Motiven und Strategien populistischer Bewegungen beschäftigt.
Bei einer Podiumsdiskussion an der Universität Würzburg schärfte Müller den Blick für die Gefahren, die von einem gesellschaftsfähig gewordenen Populismus ausgehen, gleichwohl dieser kein völlig neuartiges Phänomen sei – man denke an die Lega Nord in Italien, den Front National in Frankreich oder die FPÖ in Österreich. Schon in den 60er Jahren haben Müller zufolge Wissenschaftler das Phänomen des Populismus zu ergründen versucht.
Indes ist unstrittig, dass er in der letzten Dekade stark an Präsenz gewonnen hat, auf rechter wie auf linker Seite (Beispiel Hugo Chavez in Venezuela). Die österreichische Journalistin Nina Horaczek hat die rechtspopulistische Szene in ihrem Land seit Jahren beobachtet und beschreibt für die FPÖ – in ihrer Einschätzung eine Partei der extremen Rechten – ein Muster, das in Deutschland auch für die AfD zutrifft: „Sie müssen immerzu Angst verbreiten. Davon leben diese Parteien.“ So werde mit der Warnung von einer „Zwangsislamisierung“ ein demagogisches Bedrohungsszenario aufgebaut, statt konstruktive Lösungsansätze anzubieten.
Warum sind Rechtspopulisten auch in Deutschland so erstarkt?
Aber genau darauf legen Populisten keinen Wert. Stattdessen werde versucht, die wahren Absichten auch verbal zu verschleiern. Zu diesem Befund kommt Dr. Derya Gür-Seker, Sprachwissenschaftlerin an der Uni Duisburg-Essen. Sie hat Rhetorik und Sprache von Rechtspopulisten untersucht und brachte ein Beispiel in die Diskussion ein: die verharmlosende Formulierung „Remigration“ für die Forderung nach Abschiebungen.
Einer, der die Auseinandersetzung mit Populismus sowohl aus der politischen Bildungsarbeit wie auch aus dem aktiven Politikbetrieb kennt, ist der SPD-Landtagsabgeordnete und frühere Würzburger Oberbürgermeister Georg Rosenthal. Für den Aufstieg der Rechtspopulisten in Deutschland macht er einerseits eine soziale Schieflage verantwortlich, in der ein Teil der Gesellschaft abgehängt worden sei. Zum anderen vermisst er eine intensive Debatte über Veränderungen und wichtige Zukunftsfragen – eine Debatte mit Argumenten statt mit Stimmungen.
Rosenthal meint Versäumnisse im zivilgesellschaftlichen Prozess zu erkennen: „Möglicherweise haben wir nicht genug und nicht rechtzeitig informiert.“ Die Bürger seien nicht auf die Veränderungen (Stichwort Integration) vorbereitet worden, „das müssen wir nachholen“. Ergo: Mehr Geld in die Bildung stecken, „sonst fliegt uns die Gesellschaft um die Ohren.“
"Populisten nicht ausschließen, sondern mit ihnen diskutieren"
Politikwissenschaftler Müller will Populisten mit ihrem Wahrheitsmonopol nicht hinterherlaufen. Aber sie vom öffentlichen Diskurs auszuschließen, wäre aus seiner Sicht ein großer strategischer Fehler, der die „Erzählung der Populisten“ von der Tabuisierung und Ausgrenzung durch Eliten nur bestätigt. Journalistin Horaczek spricht in diesem Zusammenhang von einem „Opfermythos“ der FPÖ.
Müllers Rat: Mit Argumenten diskutieren, aber genauso rote Linien aufzeigen, wo durch Unterstellungen, Verleumdungen oder Verschwörungstheorien das demokratische Spielfeld verlassen wird. Durch ihren Alleinvertretungsanspruch und ihr Ausschlussprinzip gegenüber Andersdenkenden hält der Politologe die populistischen Bewegungen für antipluralistisch und deshalb „der Tendenz nach immer antidemokratisch“. Die Ausformungen in Deutschland seien noch nicht verfestigt, vieles noch umkehrbar. „Wir leben in einer entscheidenden Zeit.“
Die Podiumsrunde war der Auftakt zum Projekt „Eine Uni – ein Buch“. In Vorträgen, Filmen, Aktionen und Diskussionsrunden befasst sich die Universität in diesem Wintersemester mit dem Phänomen des Populismus.