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WÜRZBURG
Populismus: Von wegen ein Gespenst
Die Organisatoren des Projekts „Eine Uni – ein Buch“: (von links) Christine Ott, Kristina Helmerich, Julien Bobineau und Michael Storch.
Foto: Lena Köster | Die Organisatoren des Projekts „Eine Uni – ein Buch“: (von links) Christine Ott, Kristina Helmerich, Julien Bobineau und Michael Storch.
Von unserer Mitarbeiterin Anna Sophia Hofmeister
 |  aktualisiert: 19.10.2020 11:04 Uhr

„Ich bin wütend“, sagt Kristina Helmerich, Gymnasiallehrerin und Lehrbeauftragte der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. „Es macht mich wütend, wenn Politiker bewusst populistische Mittel anwenden, nur um auf Stimmenfang zu gehen.“ Ihr Kollege Michael Storch nickt. Vorhin, im Seminar vor Studierenden, hat er es schon gesagt: „Ich halte populistische Strömungen für eine Gefahr, über deren Methoden man aufklären sollte.“ Vor allem, weil man aktuell in allen Teilen der Welt beobachten könne, bei wie vielen Menschen derlei Strategien Anklang finden.

Aufklärungsarbeit angestrebt

Populismus wird immer wieder gerne als Gespenst bezeichnet. Dass dieses Phänomen jedoch ganz konkret funktioniert, dafür möchten die beiden jungen Würzburger Literaturwissenschaftler zusammen mit zwei weiteren Kollegen sensibilisieren: über ein breit angelegtes Uni-Projekt.

In verschiedenen Blockseminaren bereiten Studenten unter ihrer Anleitung derzeit Veranstaltungen vor, die im kommenden Wintersemester unter dem Motto „Eine Uni – ein Buch“ stattfinden sollen – nicht nur an der Uni, sondern bis in das alltägliche Stadtgeschehen hinein. „Wir haben Formate auf unterschiedlichen Ebenen geplant“, erklärt Storch, „und streben eine Aufklärungsarbeit an, die das Phänomen Populismus sowohl diskursiv als auch kreativ angeht.“

Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem Thema ist das Buch: „Was ist Populismus?“, ein Essay des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller, der an der Princeton University lehrt. Der Professor beschreibt darin den Populismus als eine „spezifische, der modernen repräsentativen Demokratie inhärente Gefahr“. Populisten erkenne man an ihrem moralischen Alleinvertretungsanspruch, so Müller: „Ihr Anspruch lautet stets: Wir – und nur wir – vertreten das wahre Volk.“ Dieser Ansatz sei in der Tendenz nicht nur antielitär, sondern grundsätzlich antipluralistisch und damit letztlich antidemokratisch.

Kristina Helmerich und Michael Storch wollen dies an die Studierenden vermitteln. „Populismus ist eine verdeckte Ausschluss-Aktion, die mit dem Begriff des Volks operiert. Wer ,Volk' sagt, meint damit nicht ,Gesellschaft'.“ Ihnen geht es darum, die Begrifflichkeiten nüchtern zu betrachten und einzuordnen. Dazu gehört auch, eine klare Definition für das Phänomen zu finden. Denn ihrer Meinung nach wird das Wort „Populismus“ inflationär gebraucht. Die Verwässerung des Begriffs sei in den Medien bereits spürbar, meint Helmerich: „Wenn Björn Höcke, Martin Schulz, Emanuel Macron und Donald Trump über einen Kamm geschoren werden, dann wird das Ganze zu schwammig – der Begriff wird damit aufgeweicht.“ Es sei wichtig, eine enge Definition vorzunehmen. „Denn“, so Helmerich, „,Populismus' ist inzwischen schon zu einem Kampfbegriff geworden, mit dem man politische Gegner auf einfache Weise diffamiert.“ Rhetorische Zuspitzung sei jedoch nicht gleich Populismus. „Nicht jeder, der für seine Ideen agitatorisch oder plakativ wirbt, ist zwingend ein Populist.

“ Als Literaturwissenschaftler wollen sie ein Problembewusstsein schärfen. „In der ersten Seminarsitzung haben wir Björn Höckes Rede vor der Jungen Alternative in Dresden nicht kritisiert, sondern analysiert“, sagt Storch. „Wir wollen eine demokratische Diskussionskultur stark machen, anti-populistisch in dem Sinne, dass wir lernen, den anderen zuzuhören und andere Meinungen zu akzeptieren.“

„Ein anstrengender Prozess“

Das sei umso wichtiger, als das demokratische „Wir“ keine Tatsache ist, die man einfach festlegen kann, sondern ein anstrengender Prozess, der immer wieder neu ausgehandelt und erstritten werden muss.

Populismus könne man nicht therapieren. „Aber wir wünschen uns, eine Reflexion anzustoßen, die auch in den öffentlichen Raum ausgreift, sodass das Ganze nicht im Elfenbeinturm der Uni verbleibt“, sagt Helmerich. Die Ideen, die im Seminar bereits gesammelt wurden, reichen vom Flashmob in der Innenstadt über Ausstellungen bis hin zu Lesungen und Poetry Slams.

Ziel ist, dass durch die Beschäftigung mit dem Thema Bleibendes geschaffen wird, das die bloßen Veranstaltungen überdauert: Ein Bewusstsein, eine Vernetzung zwischen politisch und kulturell interessierten Studierenden oder auch etwas Materielles, wie ein öffentlicher Bücherschrank.

Das Projekt

Mit dem Projekt „Eine Uni – ein Buch“, das vom Stifterverband und der Klaus Tschira Stiftung mit 5000 Euro gefördert wird, gehört die Würzburger Universität zu deutschlandweit insgesamt zehn ausgezeichneten Projekten.

„Was ist Populismus?“ lautet der Titel des Buches von Jan-Werner Müller (Edition Suhrkamp, 2016), das den Ausgangspunkt der geplanten Aktionen darstellt. Über die Uni hinaus soll dafür sensibilisiert werden, welchen Gefahren Demokratien durch populistische Strömungen ausgesetzt sind.

 
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