Diese Wissenschaftsmeldung ist so schön, dass sie es sogar auf „Die Wahrheit“, die letzte Seite der „taz“ geschafft hat. Jene Seite, auf der die etwas andere Berliner Tageszeitung gerne herumalbert, lästert oder eben skurrile und andere Wahrheiten erklärt. In der „taz“ lautet die Meldung so: „Zwei-Millimeter-Saufaus: Freund des Biergartenfreundes süffelt gern was“.
Es geht: um den Ambrosiakäfer. Und um neue Erkenntnisse von Würzburger Biologen und Münchner Holzforschern. Dass der kleine Käfer gezielt nach Alkohol sucht, ist bekannt. Nun haben die Forscher herausgefunden, warum er das tut: Es liegt an seinem ausgeklügelten landwirtschaftlichen System. Denn mit Alkohol als „Unkrautvernichter“ optimiert der Käfer seine Ernte.
Wenn sich an einem lauen Sommerabend im Biergarten kleine Käfer ins Glas stürzen, sei Nachsicht angebracht, schreibt die Pressestelle der Uni Würzburg in ihrer Mittelung: „Die Ambrosiakäfer wollen nur das Beste für sich und ihre Nachkommen.“ Die zwei Millimeter großen Käfer wittern nämlich den Alkohol in den Kaltgetränken und hoffen auf eine optimale Umgebung, um erfolgreich Landwirtschaft zu betreiben.
Alkohol nämlich spielt eine wichtige Rolle bei der Optimierung ihres Ernteertrags. Die Details hat jetzt ein Team aus Würzburg, München und Ohio (USA) erforscht. Ambrosiakäfer sind eine Gruppe mit mehreren Tausend Arten weltweit und gehören zu den Borkenkäfern. Alle diese Arten zeichnet aus, dass sie Pilzzucht betreiben. „Schon lange weiß man, dass Alkohol von geschwächten Bäumen produziert wird und diese gezielt von Ambrosiakäfern erkannt und besiedelt werden“, sagt Dr. Paul Biedermann vom Biozentrum der Uni Würzburg. Deshalb nutzen die Forscher gerne mit Alkohol bestückte Fallen, um diese Käfer zu fangen. „Und“, sagt der Ökologe, „nicht selten findet man die Käfer im Bier, wenn der Biergarten mit alten Bäumen bewachsen ist.“
Warum der Alkohol so wichtig für die Käfer ist und alte Bäume eine Rolle spielen, können Biedermann und seine Kollegen jetzt erklären. Dank bestimmter Enzyme wachsen die Nahrungspilze in modrigem, alkoholhaltigem Holz optimal. Alte, absterbende Bäume produzieren Alkohol zum Schutz vor Schädlingen. Für etliche Mikroorganismen ist er giftig, die Käfer aber nutzen ihn.
Am besten wachsen die Nahrungspilze, von deren Fruchtkörpern sich die Käfer und ihre Larven ernähren, bei einer Alkoholkonzentration von etwa zwei Prozent. Bei dieser Konzentration könnten auch die omnipräsenten Schimmelpilze, die der Landwirtschaft der Käfer schaden, nur schlecht bestehen.
Die Alkoholstrategie erklärt auch den Erfolg der Käfer in der Evolution: „Seit etwa 60 Millionen Jahren sind die Tiere mit ihrer nachhaltigen Landwirtschaft erfolgreich – trotz Monokultur.“ Nicht nur das landwirtschaftliche Geschick begeistert Peter Biedermann an den Ambrosiakäfern. „Sie zeigen soziales Verhalten“, sagt der Ökologe. Die Käfer pflegen ihre Pilzgärten nämlich gemeinsam und arbeitsteilig: Einige Tiere reinigen die Gänge, die in das Holz gefressen werden, andere schaffen den Schmutz aus dem Nest und putzen die Artgenossen. Alles mit dem Ziel, die Symbiose von Käfer und Pilz zu optimieren.
Das System ist so ausgeklügelt, dass die Tiere die Pilzsporen bei der Neuansiedlung für den Wandbewuchs mitbringen. Aus diesen erwachsen dann die üppigen Pilzgärten. Es geht so weit, dass auch die Pilze in der Lage sind, Alkohol zu produzieren, um die Umgebung zu verbessern. „So verhalten sich die Ambrosia-Pilze ganz ähnlich wie Bier- oder Weinhefen, die sich selbst ein alkoholhaltiges Substrat schaffen, in dem nur sie selbst gut wachsen können und andere konkurrierende Mikroorganismen ausgeschlossen werden“, erklärt Biedermann.
Seit zehn Jahren erforscht er die Käfer schon– und noch immer gibt es viele offene Frage. Zum Beispiel zum Lebensstil der Insekten: Was genau befähigt sie, im alkoholisierten Umfeld zu überleben? „Die Käfer müssen natürlich resistenter gegen Alkohol sein als andere Lebewesen“, sagt Biedermann. Im Dauerrausch sind sie beim Fressen offenbar nicht: „Sie haben gelernt, damit umzugehen.“