Als an einem Mittwochabend plötzlich das Handy von Lukas Esslinger klingelt, ahnt der 30-jährige Würzburger zunächst noch nicht, was auf ihn zukommt. Keine zwölf Stunden später befindet sich der gebürtige Gelchsheimer in einem Zug Richtung Bremen, keine 24 Stunden später bereits auf einem Schiff im Nordostseekanal auf Kurs Richtung der Insel Fehmarn in der Ostsee.
Als Kapitän des Schiffes "Emanuel Bronner" startet Esslinger an diesem Tag die lang geplante Kampagne der Meeresschutzorganisation Sea-Shepherd "Baltic Sea". Um unnötige Aufmerksamkeit zu vermeiden, starten die Aktionen der Meeresschützer meist unangekündigt, erklärt Esslinger. "Als dann jedoch der Anruf kam, habe ich sofort meine Zeug gepackt und bin los." In der Ostsee angekommen, starten er und seine Crew schließlich eine dreiwöchige Aktion, in der die Aktivisten das Meer und nahe Küsten von sogenannten Geisternetzen und Abfällen der Fischereiindustrie befreien.
"Jedes Jahr gehen 10 000 Netze und andere Fischereiausrüstungen in der Ostsee verloren", sagt Esslinger. Wenn die Fischer beim Fangen ihre Plastiknetze auswerfen, verfangen diese sich oftmals am Meeresboden und treiben herum. "In diesen Todesfallen verfangen sich die Fische dann im Minutentakt und verenden dort qualvoll", sagt Esslinger. Die Folge ist ein massives Fischsterben, was schließlich den Fortbestand einer ganzen Art gefährdet, erklärt Esslinger. Ein Beispiel seien die Schweinwale, deren Population mittlerweile auf unter 500 Tieren in der zentralen Ostsee geschätzt werde und damit akut vom Aussterben bedroht sind.
Mit Neoprenanzügen und Tauchausrüstungen begeben sich er und seine Mitaktivisten in die Tiefen des Meeres, um dort die Geisternetze zu bergen und weiteren Müll aufzusammeln. Doch beim Tauchen entstehen Bilder, die Esslinger wütend machen. Wütend über die Rücksichtslosigkeit der Fischer und das Unvermögen der Behörden, der Ausbeutung des Meeres nachhaltig entgegenzutreten. "Ich glaube, dass illegaler Fischfang und die Ausbeutung der Meere zwei der größten Probleme sind, die wir auf der Welt haben."
Esslinger kritisiert, dass staatliche Behörden im Kampf gegen die illegale Fischerei versagen und nicht konsequent genug gegen die Wilderer vorgehen. "In der Ostsee sehen wir, dass die Schutzzonen offensichtlich nichts bringen." Dieser Mangel ist es, der Esslinger jedes Mal erneut anspornt. Seinen Tauchschein hat der 30-Jährige vor einigen Jahren in Würzburg gemacht. Seinen Bootsführerschein erst vor eineinhalb Jahren in einer Segelschule in Waldbüttelbrunn.
Auch wenn Organisationen wie Sea-Shepherd nicht unstrittig sind: Esslinger ist überzeugt von ihrer Arbeit und hält sie für unverzichtbar, um Missstände bei den Fängern konsequent aufzudecken und an die Öffentlichkeit zu bringen. Zu lasch seien die Regularien und zu bewusst die Verstöße der Fischfänger gegen geltendes Gesetz.
Früher haben ihn die teils radikalen Aktionen seiner Organisation noch fasziniert und dafür gesorgt, sich mehr mit ihrem Aktivismus auseinanderzusetzen. Umweltschützer, gekleidet in schwarze Sweatshirts mit dem Totenkopf-Logo der Organisation, die in spannenden TV-Serien wie "Whale Wars – Krieg den Walfängern" ihre Gegner mit Buttersäure bewerfen und von ihnen als "Ökoterroristen" bezeichnet werden. "Ich fand das einfach unfassbar cool. Das waren Leute, die ihr Leben in die Waagschale geworfen haben, um einem Ideal nachzueifern."
Heute denkt er über manche Aktion anders, sagt Esslinger. Auch, wenn vieles von der Gegenseite damals überspitzt dargestellt worden sei. "Von den Taktiken hat sich mittlerweile vieles geändert und wir arbeiten verstärkt mit den Ländern und den dortigen Behörden zusammen." Meeresschutz sei eine Sache, die jeden etwas angehe, sagt Esslinger, der sich seit sechs Jahren deshalb sogar vegetarisch ernährt. "Das Meer ist unglaublich wichtig für uns." Wenn jemand etwas aktiv gegen das Fischsterben und die Umweltverschmutzung unternehmen wolle, rät er daher zum vollkommenen Verzicht. "Es gibt keinen Weg zu sagen, ich esse weiterhin Fisch und schütze währenddessen unsere Meere."