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Ochsenfurt
Vor 78 Jahren: Ein 19-jähriger Ochsenfurter wurde von der SS ermordet, weil er nicht für Hitler sterben wollte
Lange war wenig bekannt über das tragische Schicksal des jungen Wehrmachtssoldaten Georg Eckstein. Stadtarchivar Georg Menig hat recherchiert.
Während amerikanische Truppen am 22. April 1945 Ochsenfurt längst besetzt hatten, wurde der 19-jährige Ochsenfurter Wehrmachtssoldat Georg Eckstein unweit von Donauwörth wegen Fahnenflucht verurteilt und ermordet. 
Foto: Erika Groth-Schmachtenberger | Während amerikanische Truppen am 22. April 1945 Ochsenfurt längst besetzt hatten, wurde der 19-jährige Ochsenfurter Wehrmachtssoldat Georg Eckstein unweit von Donauwörth wegen Fahnenflucht verurteilt und ermordet. 
Bearbeitet von Julia Maul Georg Menig
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:31 Uhr

Kaisheim im Ries, nördlich von Donauwörth. Es ist der 20. April 1945, genau vor 78 Jahren. Wenige Tage vor dem unabwendbaren Zusammenbruch der Nazi-Gewaltherrschaft stehen die Vortruppen der 42. US-Infanteriedivision wenige Kilometer vor dem Ort. Unterdessen hat auf deutscher Seite das XIII. SS-Armeekorps unter dem fanatischen Nationalsozialisten, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Max Simon, an die ihm unterstellten Kampfverbände die Parole ausgegeben, den Donauübergang der Amerikaner um jeden Preis zu verhindern. Unter seinem Kommando stehen Ausbildungs- und Ersatzeinheiten, Reste der 2. Gebirgsdivision, der 79., 212. und 352. Volksgrenadier-Division sowie die auf Bataillonsstärke zusammengeschmolzene Panzerkampfgruppe von Hobe. 

Die Panzerkampfgruppe von Hobe, welche zu jener Zeit zwischen Dinkelsbühl und Öttingen die Amerikaner aufhalten soll, muss sich stetig in Richtung Donau zurückziehen. Drei Soldaten dieser Einheit haben die Sinnlosigkeit eines weiteren Kampfes erkannt und entfernen sich unerlaubt von ihrem Truppenteil.

Bei Fluchtversuch ertappt

Nach kurzer Zeit werden sie durch die Feldgendarmerie des XIII. SS-Armeekorps aufgegriffen und auf die Kommandantur gebracht. Ein Offizier verlangt die Marschpapiere: die Soldaten tragen solche Dokumente nicht bei sich. Nach kurzer Befragung ist der Sachverhalt für die Offiziere des Kommandos für Rückwärtige Dienste (Korück) des XIII. SS-Armeekorps klar: Fahnenflucht! Die Soldaten Georg Eckstein, Karl Herrgottshöfer und Georg Schelshorn werden durch die Feldgendarmerie bis zur Einberufung des Standgerichts festgehalten. Die Verhandlung beginnt vermutlich am Abend des 20. April 1945 in Mündling, einer kleinen Ortschaft, nur einen Kilometer von Kaisheim entfernt.

Der Schütze Georg Eckstein stammt aus Ochsenfurt. Er war als 18-jähriger Soldat bereits 1944 an der Ostfront desertiert und dann von einem Standgericht der Waffen-SS zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt und in ein Konzentrationslager verfrachtet worden. Als die Front näher rückte, ließ man ihn aus dem Lager frei und teilte man ihn zur sogenannten „Frontbewährung“ einer Kampfgruppe zu.

Es folgt ein hartes Urteil

Georg Eckstein ist inzwischen 19 Jahre alt, seine beiden Kameraden 25 und 26. Die drei Soldaten werden in einem schnellen Standgerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Als Vorsitzender fungiert der Major Ernst Otto, als Ankläger der Leutnant der Reserve und Kriegsgerichtsrat Dr. Karl Seither, der nach dem Krieg Karriere bei der Münchner Staatsanwaltschaft gemacht hat.

Das Perfide an diesen Standgerichtsverhandlungen in der Endphase des Zweiten Weltkriegs war, dass den Angeklagten keine Verteidiger zur Seite gestellt wurden. Nicht selten vereinte ein höherer Offizier die beiden Posten des Vorsitzenden und des Anklägers in seiner Person, was der geltenden Kriegsstrafverfahrensordnung widersprach. Für derartige Gerichtsstandards interessierten sich kurz vor dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ dessen Handlanger in Uniform nicht.

Gleichzeitig wurde den drei zum Tode verurteilten die sogenannte „Wehrwürdigkeit“ aberkannt, um sie wie Verbrecher „aufknüpfen“ zu können. Major Otto ließ das Todesurteil durch den Bürgermeister von Mündling gegenzeichnen, der als Beisitzer genannt war. Auf dessen anfängliches Zögern, reagierte Otto mit einem Hinweis auf einen Fall in Brettheim. Dort waren durch ein Standgericht derselben Dienststelle am 10. April 1945 der Bürgermeister und der NSDAP-Ortsgruppenleiter mit aufgehängt worden, da sie sich geweigert hatten, das Todesurteil eines vom Standgericht verurteilten Volkssturmmannes zu unterzeichnen.

Die Schmähung der Hingerichteten sollte als Warnung dienen

Zwölf Tage später, am Morgen des 22. April 1945, wurden die drei vom Standgericht in Mündling Verurteilten an den sogenannten „Franzosenbrunnen“ am südlichen Ortsausgang von Kaisheim geführt. Nachdem man sie aus der Wehrmacht ausgeschlossen und zu Zivilisten deklariert hatte, wurde die jungen Männer an Alleebäumen durch den Strang hingerichtet. Den drei Ermordeten, Schütze Georg Eckstein, Obergefreiter Georg Schelshorn und Karl Herrgottshöfer, dessen Dienstgrad bisher nicht ermittelt werden konnte, wurden durch die Schergen Schilder mit der Aufschrift „Wir sind Verräter“ um den Hals gehängt, um durchziehenden Wehrmachtseinheiten eine Warnung zu sein. 

Weiterhin gab Major Otto den Befehl aus, die Leichen mehrere Tage hängen zu lassen. Kurz vor dem Einmarsch der US-Truppen ließ ein Hauptwachtmeister des Zuchthauses Kaisheim jedoch die Leichen abnehmen und am frühen Morgen des 24. April ohne Särge und Zeremoniell auf dem Friedhof Kaisheim in eine Grube werfen und mit Erde überdecken.

Sie sind drei von unzähligen Opfern in Bayern

Die drei ermordeten Soldaten, die nicht mehr für das NS-Regime töten und sterben wollten, zählen zu den zahlreichen Opfern der nationalsozialistischen Endzeitverbrechen in Bayern, die zum Teil bis heute nicht aufgearbeitet sind. Maßgeblich beteiligt daran waren die militärischen Dienststellen der Wehrmachtsverbände sowie das ihnen vorgesetzte XIII. SS-Armeekorps.

Die Todesursache von Georg Eckstein auf seiner Sterbeurkunde: Von der SS erhängt.
Foto: Standesamt Markt Kaisheim | Die Todesursache von Georg Eckstein auf seiner Sterbeurkunde: Von der SS erhängt.

Auch das tragische Schicksal des 19-jährigen Ochsenfurters Georg Eckstein war hier bis heute kaum bekannt, da er in den Akten des Ochsenfurter Standesamtes als „normaler“ Gefallener geführt ist und als solcher auch auf dem Gefallenen-Ehrenmal der Stadt geführt wird. Erst ein Dokument des Marktes Kaisheim enthielt die Information „von der SS erhängt“, was zu weiteren Recherchen und zur Klärung des Schicksals jenes Soldaten führte. Erstmals aufgearbeitet wurde die Tötung der drei Soldaten in Kaisheim übrigens im Zuge eines Vortrags der VHS Donauwörth von Dr. Franz Josef Merkl.

Bemühungen um Gerechtigkeit

Georg Ecksteins Vater hatte bereits kurz nach Kriegsende von der möglichen Ermordung seines Sohnes erfahren und versuchte die strafrechtliche Verfolgung der damals maßgeblich beteiligten Täter Max Simon, Ernst Otto und Karl Seither zu erreichen. Dies wurde von der Staatsanwaltschaft Augsburg jedoch 1960 mit der heute als unglaublich anzusehenden Begründung abgelehnt, dass „...die Besetzung des damaligen Standgerichts nach den damaligen Gesetzen erfolgte, dass die seinerzeitigen Mindestvorschriften […] eingehalten wurden u. […] als Beweismittel das Geständnis Ihres Sohnes […] diente“.

Erst der 17. Mai 2002 brachte eine Rehabilitierung der Fahnenflüchtigen während der NS-Zeit mit sich. Mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege erhielten verurteilte Wehrmachtsdeserteure und deren Angehörige 57 Jahre nach Kriegsende eine späte Genugtuung. Das Desertieren aus dem Militärapparat eines Unrechtsregimes kann demnach keine Straftat sein. Seit etwa 20 Jahren beginnt langsam die Aufarbeitung derartiger Fälle in Bayern.

Historiker Georg Menig ist Stadtarchivar in Ochsenfurt. Als Gastautor macht er die Ergebnisse seiner Recherchen regelmäßig einem breiten Leserkreis zugänglich.

 
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Kommentare
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  • L. W.
    Das Traurige

    an Deutschland ist, dass heute wieder ein Mann, der Bücher und Reden im Stile Hitlers schreibt, von 10 % der Bevölkerung gewählt wird.

    Unser Bildungssystem hat versagt.
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  • P. F.
    Die Wahrheit kam leider viel zu spät ans Licht
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