"Seid bereit, immer bereit!" Noch heute gelingt es Thomas Lukow die rechte Hand zackig über den Kopf zu heben und so anzuwinkeln, dass sie einen fiktiven Scheitel nachbildet. Gelernt, ist gelernt: Es sei für ihn, dessen Eltern als Parteifunktionäre Karriere machten, selbstverständlich gewesen, in der DDR stramm zu stehen und voller Stolz das blaue Halstuch zu tragen, erzählte er bei einem Besuch in der Rimparer Maximilian-Kolbe-Schule.
Was der heute Ende 50-Jährige in seinem, von der Hanns-Seidel-Stiftung unterstützten Vortrag "Vom Jungpionier zum Staatsfeind - eine Jugend in der DDR" erzählte, ist authentisch. Er übertreibt nicht und vermeidet Schuldzuweisungen. Auch ist sein Schicksal keineswegs außergewöhnlich. "Lange habe ich alles brav mitgemacht", gesteht er. So wie es sein sollte. So wie es der Staat von ihm verlangt habe. Auf die Zeit als Jungpionier folgte die FDJ, die Freie Deutsche Jugend, der der Schüler ab der achten Klasse beitreten musste. Nur wenige hätten sich dagegen entschieden und damit gravierende berufliche Nachteile in Kauf genommen. Auch er sei anfangs begeistert gewesen, bei den Blauhemden mitzumachen.
In der zehnten Klasse geriet Lukows Weltbild durcheinander
Besonders aufmerksam verfolgten die Schüler, als Lukow das harte Vorgehen des Staates gegen die "dekadenten" Jugendkulturen, die Einflüsse aus dem Westen aufnahmen, schilderte. Es habe genügt, einer Motorradclique anzugehören, längere Haare zu tragen, Jeans oder Jeansjacke, erzählte er. Im schlimmsten Fall habe eine Einweisung in einen der Jugendwerkhöfe gedroht. "Das war ein Gefängnis für Kinder, das einzig und allein das Ziel hatte, den Willen der Kinder durch Arbeit zu brechen."
Erst in der zehnten Klasse geriet Lukows einfaches Weltbild durcheinander, das Nazis und Faschisten mit dem Westen gleichsetzte. Er wunderte sich, warum die innerdeutsche Grenze nur in Richtung Osten gesichert ist. Schließlich trat er aus der FDJ aus und musste seine Ausbildung zum Förster abbrechen. "Damals begann meine Laufbahn als Staatsfeind", sagt er heute. Ohne Aussicht auf eine berufliche Laufbahn arbeitete er als Kraftfahrer, Kellner, Rohrleger und Hausmeister.
Wegen eines Songs von Spitzeln überwacht
Seine Leidenschaft ist damals die Musik. Er und seine Freunde spielten westlichen Punk. Ein Konzertabend ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: Sänger Heiko las die Zutaten eines Kochrezepts vor. Dazu improvisierten die jungen Männer auf ihren Instrumenten. Was eher als Scherz gemeint war, brachte den Jugendlichen ein Verfahren wegen "Hetze gegen die Volkswirtschaft der DDR" ein: "Das zeigt die ganze Jämmerlichkeit eines Staates und seiner Ideologie."
Den allgegenwärtigen Überwachungsapparat der Stasi wurde er nun nicht mehr los. Er feierte eine Party in seiner Wohnung, schrieb einen Brief oder hatte Kontakte in den Westen. Stets tippte ein fleißiger Spitzel seinen Bericht. Lukow war jedoch nur einer von fünf Millionen Bürgern, über die eine Akte angelegt wurde, in seinem Fall stattliche 600 Seiten dick. Als eine Freundin aus Israel plötzlich nicht mehr zu Besuchen in den Osten reisen darf, hält er es nicht mehr aus: "Für mich war nun klar, ich muss weg aus diesem Land."
Er war 21 Jahre alt, als er über die damalige Tschechoslowakei den Weg in den Westen suchte. Er kam nicht weit. Ein Spitzel - diesmal aus dem eigenen Freundeskreis - hatte ihn verraten. Es folgten mehrmonatige Vernehmungen zum Teil in Isolationshaft in der Haftanstalt Hohenschönhausen in Berlin. An die 20 Monate Haft in Bautzen, zu denen er verurteilt wurde, erinnert er sich jedoch gerne. Er teilte die Haft mit Schriftstellern, Intellektuellen oder dem Staat besonders suspekten Schiffskapitänen. Denn eines hatte er mit ihnen allen gemeinsam: "Die Gefahren der Freiheit" waren ihnen wichtiger als "die verordnete Ruhe in der Knechtschaft".