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Würzburg
Wendung im Würzburger Raser-Prozess: Verteidiger legen völlig neue Analyse vor
Überraschung vor Gericht: Ein bekannter Unfallexperte zeigte anhand von Ampel-Daten, dass es das vermutete zweite Fahrzeug wohl nicht gab - und der Angeklagte doch bremste.
Die Verteidiger Peter Möckesch und Norman Jacob überraschten im Prozess um ein mutmaßliches illegales Autorennen in Würzburg-Heidingsfeld - mit neuen Erkenntnissen eines renommierten Gutachters. 
Foto: Frank Rumpenhorst, dpa | Die Verteidiger Peter Möckesch und Norman Jacob überraschten im Prozess um ein mutmaßliches illegales Autorennen in Würzburg-Heidingsfeld - mit neuen Erkenntnissen eines renommierten Gutachters. 
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:16 Uhr

Seit bald zwei Jahren steht gegen den 22-Jährigen der Verdacht des versuchten Mordes im Raum: Folgt man der Anklage, hat er im November 2019 als rücksichtsloser Raser in Würzburg-Heidingsfeld mit einem mehr als 400 PS starken geliehenen Fahrzeug eine Fußgängerin umgefahren - und dabei fast tödlich verletzt. Und zwar bei einer mutmaßlichen Wettfahrt.

Von diesem Vorwurf kann den 22-jährigen Angeklagten an diesem denkwürdigen Dienstag am Landgericht Würzburg auch Gutachter Michael Weyde nicht völlig entlasten. Doch der überraschend erschienene Unfallexperte aus Berlin nimmt dem jungen Beschuldigten mitten im laufenden Prozess die schwerste Bürde von den Schultern: den Verdacht, ein illegales Rennen gegen ein zweites aufgemotztes Angeber-Auto gefahren zu sein - und trotz roter Ampel nicht für die Fußgängerin gebremst zu haben.

Am Unfallabend im November 2019: Das PS-starke Fahrzeug des Unfallfahrers wurde beschlagnahmt.
Foto: Berthold Diem | Am Unfallabend im November 2019: Das PS-starke Fahrzeug des Unfallfahrers wurde beschlagnahmt.

Es wirkt beinahe wie Zauberei und doch ganz selbstverständlich, was der von der Verteidigung präsentierte Sachverständige mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein aus den gespeicherten Daten der Ampelanlage ableitet. Daten, die dem Würzburger Gericht vorlagen - bisher ungenutzt. Weyde trägt zwei Stunden lang schier endlose Zahlenkolonnen vor und zieht daraus seine Schlüsse. Nicht einmal der staunend daneben sitzende, eigentlich mit dem Fall betraute Sachverständige ahnte offenbar bisher, was sich anhand der Aufzeichnungen aus der Induktionsschleife vor der Ampel an der Unfallstelle beweisen lässt.

Unfallexperte wertete Daten der Ampel-Anlage aus: "Typischer Fahrfehler" 

Die gespeicherten Daten zeigen nach Angaben Weydes eindeutig: Kein zweites Auto fuhr unmittelbar vor oder hinter dem schwarzen Mercedes über die Ampel. Und nach Einschätzung Weydes hat der junge Fahrer, der mit Tempo 150 innerorts unterwegs war, doch gebremst: Sekundenbruchteile zu spät, um rechtzeitig zum Halten zu kommen. So endete die Fahrt, nachdem der Wagen die Fußgängerin erfasst und zur Seite geschleudert hatte, 15 Meter hinter der Ampel. Das sei "der typische Fahrfehler" eines jungen Autofahrers, der sein Können mit einem so hochmotorisierten Fahrzeug überschätze, urteilte Weyde.

Offizieller Gutachter schließt sich der Erkenntnis an

Das Gericht wirkte wie betäubt von diesem Vortrag, der den Fall in völlig neuem Licht erscheinen lässt. Auch der offiziell bestellte Gerichtsgutachter bekannte am Dienstag nach Weydes Präsentation: "So eine Auswertung habe ich noch nie gemacht, man lernt nie aus."

Fristen und Termin-Schwierigkeiten: Platzen des Prozesses drohte

Die Verteidiger Norman Jacob Junior und Peter Möckesch hatten den Experten aus Berlin am Dienstagvormittag wie einen Joker aus dem Ärmel gezogen. Dies stellte die Verhandlung völlig auf den Kopf. Zunächst schien zweifelhaft, ob der überraschende Zeuge seine Erkenntnisse präsentieren darf. Und wie: Normalerweise dauert die Anfertigung eines solchen Gutachtens dann Wochen.

So lange hätte das Gericht den Prozess unterbrechen müssen – und wäre vor einem neuen Dilemma gestanden: Der Termin-Kalender der Würzburger Justiz ist voll, auch wegen des derzeit gleichzeitig laufenden Eisenheim-Prozesses. Man hätte wohl nicht rechtzeitig innerhalb der Frist wieder mit den Verhandlungen beginnen können. Folge: Der Prozess wäre geplatzt und hätte – vermutlich erst im nächsten Jahr – von vorne beginnen müssen.

Spontane und improvisierte Präsentation am Nachmittag

Also machte das Gericht aus der Not eine Tugend und hörte sich noch am Dienstagnachmittag aus dem Stand die improvisierte Sachverständigen-Präsentation an: In dieser legte Weyde die Fakten und seine Analyse dar, der amtliche Gutachter schloss sich seinen Erkenntnissen an. Warum weder er noch die Ermittler der Soko "Ampel" darauf gekommen waren, die vorhandenen Daten auszuwerten, blieb ungeklärt. Es wird aber gewiss in den Plädoyers deutlich zur Sprache kommen. 

Plädoyers an diesem Donnerstag - und wohl auch Urteil

Ein Abbruch des Prozesses war am Abend kein Thema mehr. "Mir ist sehr daran gelegen, das Verfahren hier zu Ende zu bringen", sagte der Vorsitzende Richter Michael Schaller nach sechsstündiger Verhandlung. Dafür hat das Gericht jetzt nur noch diesen Donnerstag: Überraschend schnell ist dann mit Plädoyers und einem Urteil zu rechnen.

 
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Kommentare
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  • H. G.
    „Man braucht halt einen Anwalt der was kann halt“
    Der Angeklagte wird sich jetzt schon überlegen, wo er sich die nächste „Rennsemmel“ ausleiht um damit vielleicht mal mit 180 Km/h durch Würzburg rast……,
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  • H. S.
    " Kein zweites Auto fuhr unmittelbar vor oder hinter dem schwarzen Mercedes über die Ampel" Und was ist bitte mit der zweiten Spur an dieser Stelle?
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  • U. L.
    Es ist nicht "wurscht", ob es ein Rennen war, oder nicht. Wenn fest steht, dass es keine unmittelbare Beteiligung eines zweiten Fahrzeuges gegeben hat, darf der Angeklagte nicht wegen eines verbotetenen Kraftfahrzeugrennens gem. § 315 d StGB bestraft werden. "Gardner", Sie haben ein gestörtes Verhältnis zum Recht!
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    @vob: Ich habe das gleiche Rechtsverständnis wie 90% aller Bürger mit gesundem Menschenverstand! Noch Fragen?
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  • U. L.
    Das Land geht zwar den Bach runter. Aber so weit, dass 90 % eine Verurteilung für eine nicht begangene Straftat fordern, sind wir noch nicht.
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  • T. S.
    ...genau! Wozu Gutachter! Es ist doch bewiesen, dass ein zweites Fahrzeug beteiligt war! Oder doch nicht..? 'Interessante' Kommentare bis hier hin von Menschen, welche die Tat nicht beobachtet haben und vermutlich keine Juristen sind.
    Und als Nächstes: "Hängt ihn!"..? Schuldig oder nicht - Gott sei Dank gibt es hierzulande eine Justiz, die das Lynchen verhindert und selbst einen Gutachter noch etwas lernen lässt..!
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  • R. B.
    Sie müssen Jurist sein, denn Sie sprechen genau diese überhebliche und arrogante Sprache dieser Spezies. "Die Autorität des Gesetzgebers legitimiert sich dadurch, dass er nicht gegen das von Natur aus Rechte verstößt" (Aristoteles). Versuchen Sie einmal diesen Satz zu verinnerlichen, sollten Sie diesen dann auch noch verinnerlichen, dann haben Sie verstanden, wie weit wir uns von diesem Grundsatz entfernt haben.
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  • H. S.
    Viel bemerkenswerter, als die ganzen polarisierenden Aussagen hier, finde ich, dass da erst ein Gutachter aus Berlin kommen muss, und den Polizeibehörden in Würzburg zu erklären, dass so eine moderne Ampelanlage mit Induktionsschleifen, und einem Prozessrechner als Herzstück, auch Logs aufzeichnet, die man auswerten kann! Damit ist das zweite Auto sicherlich eindrucksvoll widerlegt! Denn wenn das nicht kurz vor, oder kurz nach dem Unfallfahrzeug in den Logs auftaucht, dann hat es gar nicht existiert, es sei denn, es wäre aus Kunststoff gewesen... Selbst auf ein Kinderfahrrad spricht so eine Schleife sicher an!
    Aber all das ändert natürlich absolut nichts an dem Vorwurf der extrem erhöhten Geschwindigkeit innerorts!! Jeder, der innerorts mit 150 km/h unterwegs ist, nimmt billigend in Kauf, einen tödlichen Unfall zu verursachen. Denn er hat ja mal beim Führerschein gelernt, was Reaktionszeit und Bremsweg bedeutet...
    So jemand sollte nie mehr ans Steuer eines Autos gelassen werden...
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  • K. K.
    " UNGLAUBLICH " ;

    was Geld alles bewirkt !
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  • U. L.
    Unglaublich, was "Recht" alles bewirkt! Wenn fest steht, dass es keine unmittelbare Beteiligung eines zweiten Fahrzeuges gegeben hat, darf der Angeklagte nicht wegen eines verbotetenen Kraftfahrzeugrennens gem. § 315 d StGB bestraft werden.

    § 160 Abs. 2 Strafprozessordnung: "Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln." Es stellt sich folglich die Frage, warum die nun zu Tage getretenen Umstände nicht längst geprüft wurden. Man braucht - dies zeigt das Verfahren - einen guten Strafverteidiger.

    Dass genug Fehlverhalten und Schuld übrig bleibt, steht auf einem anderen Blatt und muss zu einer entsprechenden Bestrafung führen.
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  • R. A.
    Und weiter? Er hat sein Fahrzeug so geführt, dass er nicht rechtzeitig anhalten konnte. Damit hat er eine Fahrlässigkeit begangen. Das Gericht könnte das nun bewerten. Mit allem was zur Verfügung steht. Warum machen die das nicht. Führerschein weg, erstmal Mpu, da darf er erst einmal arbeiten. Da Können wir richtig spielen. Es macht nur keiner. Armes Deutschland
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  • M. S.
    Ein bisschen Geduld, noch ist ja kein Urteil gesprochen.
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  • R. B.
    Herr Schweidler, für uns Unbetroffene ist Geduld ohne Bedeutung, aber was die Angehörigen seit 4 Jahren durch juristische Spielchen auf dem Spielplatz der Eitelkeiten durchleben, geht weit über das Erträgliche hinaus.
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  • K. D.
    Deutsche Gerichtsbarkeit und Gutachter vor Gericht,ein Trauerspiel und eine Zumutung für die Opfer!
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  • J. B.
    Alfisti: eine Schande, da haben Sie mehr als Recht, aber das ist noch viel zu milde ausgedrückt. Es ist einfach unglaublich, dass solche "Typen" immmer und immer wieder mit sehr milden "Belehrungen bzw Strafen" davon kommen. Machen sich nicht auch solche - die solchen Typen solche Fahrzeuge zur Verfügung stellen nicht auch
    mitschuldig ? Ganz zu schweigen von den Richtern und Rechstanwälten die
    diese "Typen" verharmlosen usw . . . und damit die Leidtragenden dadurch immer wieder demütigen? Kaum zu glauben, dass manche meinen, kaum haben sie die Fahrerlaubnis, dass sie fahren können wie Walter Röhrl und die Strassen sind ne Rallypiste. Aber für die zählt nur: ". . . ich will Spass . . . ich will Spass . . . ich geb Gas . . . ich geb Gas . . ."
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  • M. R.
    Spannend.
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  • S. S.
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  • U. A.
    Das ganze wird immer mehr zur Farce. Eine Schande sowas.
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