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WÜRZBURG / PARTENSTEIN
Verschärfen Regresse die Landarztproblematik?
Arzt misst Blutdruck       -  Ein Hausarzt misst in seiner Praxis einer Patientin den Blutdruck. Für Hausbesuche gilt: Sie müssen aus medizinischen Gründen notwendig sein.
Foto: Bernd Weissbrod, dpa | Ein Hausarzt misst in seiner Praxis einer Patientin den Blutdruck. Für Hausbesuche gilt: Sie müssen aus medizinischen Gründen notwendig sein.
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:45 Uhr

Zwei hessische Landärzte müssen Zehntausende Euro zurückzahlen, weil sie zu viele Hausbesuche gemacht haben. So will es die Kassenärztliche Vereinigung (KV). Die beiden Mediziner aus dem Gilserberger Hochland haben die Regressforderung und ihre „Fassungslosigkeit“ darüber in den Sozialen Netzwerken öffentlich gemacht. Bundesweit sorgt der Fall derzeit für Diskussionen – und gerade in ländlichen Regionen wie Unterfranken für Unmut.

Hausarzt für Partenstein verzweifelt gesucht

Zum Beispiel in der Gemeinde Partenstein (Lkr. Main-Spessart). Der 2800-Einwohner-Ort sucht seit längerem einen Nachfolger für seinen einzigen Hausarzt Dr. Wolfgang Nätscher. Bisher erfolglos. Und „es wird durch solche Regressforderungen wie aktuell in Hessen nicht unbedingt einfacher“, sagt Bürgermeister Stephan Amend (Freie Wähler) im Gespräch mit dieser Redaktion.

Worum geht es bei dem Fall? Zwei Landärzte aus Gilserberg, einer Gemeinde rund 30 Kilometer nördlich von Marburg, sollen in den Jahren 2012 bis 2014 im Vergleich zu anderen Praxen zu viele Hausbesuche gemacht haben. Das fiel bei der Prüfstelle auf, es wurde nachgefragt. Denn Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, Patienten wirtschaftlich angemessen zu behandeln. Wie viele Hausbesuche oder Medikamente eine Praxis abrechnen darf, hängt von einem landesweiten Durchschnittswert ab. Weicht ein Mediziner deutlich von diesen Zahlen ab, muss er das rechtfertigen. Die von den Landärzten angeführte „besondere Situation des Gilserberger Hochlands inklusive des nicht vorhandenen öffentlichen Personennahverkehrs“ und der zahlreichen älteren Patienten erkannte die KV jedoch nicht als Begründung für mehr Hausbesuche an.

Für Hausbesuche sind medizinische Gründe entscheidend

Für Dr. Christian Pfeiffer, Regionaler Vorstandsbeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), ist das nachvollziehbar. „Ich persönlich glaube nicht, dass es regional so große Unterschiede gibt“, sagt der in Giebelstadt (Lkr. Würzburg) niedergelassene Allgemeinmediziner. Entscheidend sei, dass ein Hausbesuch aus „medizinischen Gründen“ notwendig ist. Auch in Städten wie Würzburg müssten manche Ärzte häufig Patienten besuchen, etwa in Altenheimen. Dass unterfränkische Kollegen wegen zu vieler Hausbesuche Regress zahlen sollten, sei ihm nicht bekannt.

Bayernweit allerdings gebe es aktuell Prüfungen in Bezug auf Hausbesuche, heißt es von der KVB in München. Dabei könne es sowohl um die Plausibilität als auch um die Wirtschaftlichkeit – wie in Gilserberg – gehen. Für letztere gilt: Überschreitet ein Mediziner die Zahlen der Vergleichsgruppe bei Hausbesuchen um 200 Prozent, werde das hinterfragt. Zuständig dafür ist die unabhängige Prüfungsstelle Ärzte Bayern. Hier könne der Arzt seine Überschreitung begründen, so die KVB. Besonderheiten wie die Versorgung einer ländlichen Region oder eine Heimbetreuung würden mit einbezogen.

Landarzt       -  Ein Landarzt spricht während eines Hausbesuchs mit einem Patienten.
Foto: Armin Weigel, dpa | Ein Landarzt spricht während eines Hausbesuchs mit einem Patienten.

Gibt es ein „Regress-Problem“?

Wolfgang Nätscher bezweifelt das. „Es ist völlig klar, dass in einer Flächenpraxis mehr Hausbesuche gemacht werden müssen“, sagt der Partensteiner Mediziner. Zwischen fünf und zehn Mal fahre er jeden Tag raus. Nicht nur zu Notfällen, wie er zugibt. „Ich habe auch Patienten, die 80 und 90 Jahre alt sind. Wenn ich die nicht besuche, sehe ich sie auch nicht.“ Zudem warnt der Arzt, der seit 37 Jahren seine eigene Praxis betreibt, vor einem „grundsätzlichen Regress-Problem, das Ärzten Angst macht“. Rund 30 000 Euro musste er selbst bereits zahlen, „weil eine Ziffer falsch abgerechnet wurde“. Angehäuft wurde die Summe über mehrere Quartale, ohne dass er auf den Fehler hingewiesen worden sei.

Von einer allgemeinen Regress-Problematik im Freistaat will der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, Dr. Dieter Geis, hingegen nicht sprechen. Insgesamt sei die Zahl der Regresse sehr gering. Die Angst davor sei latent zwar noch vorhanden, so der Mediziner aus Randersacker (Lkr. Würzburg). Man versuche sie aber gerade jungen Kollegen zu nehmen, beispielsweise durch Absprachen mit den Kassen wie die Wirkstoffvereinbarung.

Regresse konterkarieren den Kampf gegen den Landärztemangel

Bürgermeister Stephan Amend geht das nicht weit genug. Der Partensteiner fordert von den Kontrollorganen mehr Fingerspitzengefühl bei Regressen. Denn vor allem das finanzielle Risiko halte junge Medizinstudenten derzeit oftmals davon ab, sich selbstständig zu machen und eine Praxis auf dem Land zu eröffnen.

Ähnlich wird in Hessen argumentiert. Lokale Politiker unterstützen dort mittlerweile die Kritik der Landärzte am Vorgehen der KV. Bürger sammelten Unterschriften. Das Credo des Protests fasst ein Beitrag der Gilserberger Mediziner auf Facebook zusammen: „Die Politik will die medizinische Versorgung auf dem Land fördern – es passiert mit solchen Verfahren genau das Gegenteil.“

 
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