Würzburg zählt bundesweit zu den Städten mit den meisten Stolpersteinen: Die kleinen quadratischen Erinnerungstafeln im Pflaster erinnern inzwischen an vielen Stellen in der Stadt an Menschen, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden, weil sie Juden waren oder weil sie politisch und aus anderen Gründen nicht ins Weltbild des NS-Regimes passten.
Seit 2006 sind in Würzburg über 700 der kleinen Gedenktafeln aus Messing verlegt worden, Ergebnis der unermüdlichen Arbeit des Arbeitskreises Stolpersteine. An diesem Mittwoch, 17. April, ab 9 Uhr, werden nun erneut elf Stolpersteine verlegt. Stellvertretend werden hier drei der NS-Opfer vorgestellt, an die jetzt erinnert wird. Die biografischen Angaben sind den Recherchen des Arbeitskreises Stolpersteine entnommen, sie sind vollständig auf der Homepage des Arbeitskreises nachzulesen.
1. Verfolgt wegen "Rassenschande": Rosa Blättner (1890-1938)
Die 1890 geborene Tochter eines Weinhändlers litt unter einer psychischen Erkrankung. 1937 lernt sie Emil Reichert kennen, der sich der Familie als Schriftsteller und Psychologe vorstellt. Er besucht Rosa häufiger. Wie Rosas Mutter später aussagt, brachte er Bücher mit, las ihr vor und behandelte die "nervenkranke" Tochter mit einem "elektrischen Apparat".
Rosa und er werden Hand in Hand in der Stadt gesehen und Kinder sollen Emil Reichert "Rassenschänder" nachgerufen haben. So kommt es zur Anzeige gegen die beiden wegen "Rassenschande". Rosa Blättner kommt im Juli 1938 in "Schutzhaft". Die Gestapo in Berlin ordnet Anfang August die Fortsetzung der "Schutzhaft" an und äußert die Absicht, Rosa nach einer rechtskräftigen Verurteilung Emil Reicherts in ein Konzentrationslager zu überstellen. Sie leidet schwer unter den Haftbedingungen, wird aber erst im November 1938 für nicht haftfähig erklärt.
Bei der Entlassung wird sie aufgefordert, ihre Auswanderung vorzubereiten. Rosas Mutter sperrt Rosa zu ihrem Schutz in der Wohnung ein. Während eines Toilettengangs der Mutter entwendet Rosa den Schlüssel und verlässt das Haus. Die Suche nach ihr bleibt zunächst ohne Erfolg. Zwei Tage später, am 25. November 1938, wird Rosas Leiche am Main in Höhe der Eichendorffstraße gefunden.
Nach Rosas Tod muss die Mutter im Oktober 1941 noch die Deportation ihrer Tochter Hedwig ins Ghetto von Litzmannstadt erleben, von der sie seit dem Juni 1942 nichts mehr gehört hat. Rosas Mutter selbst wird am 23. September 1942 nach Theresienstadt verschleppt, wo sie am 6. August 1943 den unmenschlichen Lebensbedingungen zum Opfer fällt. Nur Rosas Schwester überlebt die Verfolgungen.
2. Gleich nach der Deportation erschossen: Dr. Heinrich Heinemann (1908-1941)
Heinrich Heinemann wurde am 9. Juni 1908 in Burgsinn geboren, sein Vater Adolf Ascher Heinemann (1873-1941) war ein führendes Mitglied der Israeltischen Kultusgemeinde Burgsinn (Lkr. Main-Spessart). Heinrich Heinemann studierte seit 1931 Medizin in Würzburg. Sein Staatsexamen bestand er im Herbst 1937. Da er im NS-Staat nicht promovieren durfte, ging er nach Bern und erhielt dort seine Promotion im Februar 1938. In Frankfurt (Main) absolvierte er ein Praktikum am Israelitischen Krankenhaus und kehrte danach nach Burgsinn zurück.
Heinemann wurde im Zuge des Novemberpogroms 1938 verhaftet, kam zunächst in Polizeihaft in Würzburg und später in sogenannte Schutzhaft ins KZ Dachau. Sein Vater wandte sich an die Würzburger Gestapo mit der Bitte um Entlassung seines Sohnes – dieser werde im Israelitischen Krankenhaus in Frankfurt als Pfleger gebraucht. Im Januar 1939 wurde Heinrich Heinemann entlassen, im gleichen Monat zogen seine Eltern zu ihrem Sohn.
In einer der ersten Deportationen aus dem Deutschen Reich wurden Heinrich Heinemann und seine Eltern am 22. November 1941 von Frankfurt aus nach Kowno/Kaunas (Litauen) deportiert und am Tag der Ankunft, dem 25. November 1941, sofort erschossen.
3. Mit der Schwester ins Vernichtungslager verschleppt: Karolina Sachs
Karolina (Lina) Sachs, geb. Marx, wurde am 14. Mai 1885 in eine streng gläubige jüdische Familie geboren. Über ihre schulische Ausbildung und Weiterbildung ist nichts bekannt. Im Alter von 24 Jahren heiratete sie 1909 den Fabrikanten Simon Sachs aus Würzburg (gestorben 1929), der ebenfalls einer orthodoxen Familie entstammte. Karolina wird dadurch die Schwägerin ihrer älteren Schwester Klara, die fünf Jahre zuvor Gustav Sachs geheiratet hatte. Von nun an lebten die beiden Schwestern mit ihren Ehemännern in der heutigen Neutorstraße 5.
Karolina blieb mit ihrer Schwester in der Wohnung Neutorstraße 5 wohnen. Im November 1940 wurden die Wohnungen "wohlhabender Juden" nach "Hamsterware" durchsucht. Die Schergen listeten alles akribisch auf und konfiszierten dann bei Karolina Kleider, Schuhe, Bettwäsche und Unterwäsche, desgleichen bei ihrer Schwester Klara und den Untermietern. Klara wurde noch zusätzlich wegen "Devisenvergehens" zu einer Geldstrafe verurteilt.
Karolina und ihre Schwester mussten ihre Wohnung verlassen und zuletzt in einem der zentralen "Judenhäuser" in der Hindenburgstraße leben. Davor hatten sie noch ihr gesamtes Mobiliar versteigern lassen müssen. Karolina Sachs wurde am 25. April 1942 in der dritten Deportation aus Unterfranken zusammen mit ihrer Schwester Klara nach Krasniczyn im Raum Lublin in eines der Vernichtungslager verschleppt. Dort verliert sich ihre Spur.
Ausführliche Infos zu den Biografien aller Opfer unter www.stolpersteine-wuerzburg.de.
Eine öffentliche Veranstaltung findet am Mittwoch, 17. April, um 19 Uhr im Hörsaal des Rudolf-Virchow-Zentrums statt, Uniklinik Haus D 15, Josef-Schneider-Straße 2. Thema: "Jüdische Ärzte in der NS-Zeit".