Die Justiz hat den Fall zu den Akten gelegt, Walter Limbach wird es nie tun. Wie auch? Im Herbst 2019 verliert der heute 63-Jährige seine Frau Susanne bei einem Verkehrsunfall. Schuld ist ein 33-Jähriger mit 0,44 Promille Alkohol im Blut. In einem Gerichtssaal wird die Sache nicht verhandelt; das Urteil fällt an einem Schreibtisch im Amtsgericht Schweinfurt per Strafbefehl. Der Unfallverursacher wird wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt: 180 Tagessätze à 50 Euro, er gilt damit als vorbestraft. Außerdem muss er für drei Monate seinen Führerschein abgeben. Im Juni 2020 wird der Strafbefehl rechtskräftig - und Walter Limbach vor vollendete Tatsachen gestellt.
Ein gutes halbes Jahr später sitzt Limbach, ein hochgewachsener Mann, zusammengesunken in seiner Küche in Oberpleichfeld (Lkr. Würzburg) und ist verzweifelt. Zwischen dem Unfall und dem Strafbefehl habe er nichts vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft gehört. "Wir können dieses Strafmaß nicht begreifen", sagt er über sich und seine Familie. Gerade kommt er von einer sechswöchigen Reha in einer psychosomatischen Klinik zurück. "Das hat mich aus dem Alltag gerissen, das war gut." Zurück daheim, in dem Haus, in dem er sich mit seiner Frau schon den bevorstehenden Ruhestand ausgemalt hat, sind die Gefühle wieder voll da: "Leid, Schmerz, Trauer." Vor allem dienstags.
Rückblick: Ein paar Stunden die Woche arbeitet Susanne Limbach, 57, in einem Laden in Werneck (Lkr. Schweinfurt). Am Abend des 17. September 2019, einem Dienstag, macht sie sich auf den Nachhauseweg und fährt mit ihrem VW Polo auf die B19 Richtung Würzburg. Kurz vor Eßleben schert plötzlich ein Ford Pickup aus dem Gegenverkehr nach links aus, um in einen Flurbereinigungsweg einzubiegen, der von der Bundesstraße abgeht und eigentlich nur für land- und forstwirtschaftlichen Verkehr freigegeben ist. Es kommt zum Zusammenprall. Walter Limbach sagt: "Meine Frau hatte keine Chance."
Mit einem Hubschrauber wird die Mutter von zwei erwachsenen Kindern in die Uni-Klinik nach Würzburg geflogen. Als ihr Mann im Krankenhaus eintrifft, informieren ihn Ärzte, dass sie ihren Verletzungen erlegen ist. Todeszeitpunkt: 21.23 Uhr.
Welche Fragen Walter Limbach quälen
Kurz vor Weihnachten 2019 erreicht Limbach ein Brief. In mit Schreibmaschine getippten Zeilen entschuldigt sich der Unfallfahrer. Doch eine Entschuldigung, ein Strafbefehl – das reicht Walter Limbach nicht, um Frieden zu finden. Seine persönliche Auseinandersetzung mit dem Tod seiner Frau hat er auf rund einem Dutzend Zettel handschriftlich festgehalten: Erklärungen seiner Anwälte zur Rechtslage. Eine Skizze der Unfallstelle. Informationen aus der Ermittlungsakte, die er einsehen durfte. Seine eigenen Überlegungen und Schlussfolgerungen. Vieles ist rot unterstrichen oder neongelb markiert.
Es sind ungeklärte Fragen, die Walter Limbach quälen. Warum ist der Unfallfahrer links auf den Feldweg abgebogen, obwohl auch rechts ein Weg von der B19 abgeht, der direkt nach Waigolshausen führt, wo er laut eigener Aussage hinwollte? Wie schnell war er unterwegs, warum hat er die Situation so falsch eingeschätzt? Hatte er wirklich nur ein Bier getrunken, wie er aussagte, und welche Rolle spielte der Alkohol bei dem Unfall? Und wie kam das Gericht zu dem Strafmaß?
Anwalt: Gericht hat "keinerlei Fingerspitzengefühl" gezeigt
Sicherlich hätten diese Fragen in einer mündlichen Hauptverhandlung eine Rolle gespielt. Doch da sind auch die vereinfachten Verfahren, ohne Verhandlung und Beweisaufnahme. Sie werden per schriftlichem Strafbefehl entschieden, sparen Kosten, können zügig bearbeitet werden und entlasten so die Gerichte. Aber sie lassen Fragen, die vor allem für Angehörige von Opfern relevant sind, häufig unbeantwortet. Angeklagten kommen solche Strafbefehlsverfahren entgegen, weil sie sich dann keiner öffentlichen Verhandlung stellen müssen. Der Knackpunkt jedoch: Angeklagte können gegen einen Strafbefehl Einspruch einlegen. Nebenkläger wie Walter Limbach haben keine Rechtsmittel, um gegen den Erlass vorzugehen.
Für Limbachs Anwalt Hanjo Schrepfer ist der Fall eine "höchst tragische Sache": "Da stirbt eine Frau und Mutter", und dann lasse sich der Unfallhergang nicht rekonstruieren. Insbesondere die Frage, ob der Alkohol "ursächlich für den Unfall" war, hätte geklärt werden müssen, findet Schrepfer. Wenn ja, dann hätte "zwingend auf Freiheitsstrafe mit Bewährung hingewirkt werden" müssen. Durch das Strafbefehlsverfahren sei seinem Mandanten die Möglichkeit genommen worden, am Prozess teilzuhaben und "Aufklärung zu betreiben". So konterkariere der Strafbefehl hier den Opferschutz.
Das Gericht habe die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, aber "keinerlei Fingerspitzengefühl" gezeigt, kritisiert Schrepfer. Bedenke man, dass schon kleine Drogendelikte mündlich verhandelt würden, frage er sich, wie es sein kann, dass Fälle, in denen es um den Tod eines Menschen geht, auf dem Papierweg erledigt werden. Der Würzburger Anwalt nennt es eine "unschöne Gesetzeslage".
Müssen die Gesetze geändert werden?
Die zu ändern wäre Sache der Politik. Und tatsächlich sieht etwa Manuela Rottmann, Obfrau im Rechtsausschuss des Bundestags, Handlungsbedarf. Nebenklägern, wie den Angehörigen von Todesopfern, sei in der Hauptverhandlung bewusst eine eigenständige Rolle zugewiesen worden, sagt die Grünen-Politikerin aus Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen): "Sie sollen Wissen und Aspekte selbständig in den Prozess einbringen können." Außerdem diene die Hauptverhandlung dazu, dass Opferfamilien "das Geschehene mit aufarbeiten können". Und dazu "ihnen so Rechtsfrieden zu ermöglichen".
Wird dagegen entschieden, "ins Strafbefehlsverfahren zu wechseln, spielen diese Aspekte nach der geltenden Rechtslage keine Rolle", so Rottmann. "Damit wird diese wichtige Funktion der Hauptverhandlungen für die Angehörigen abgeschnitten, ohne dass sie sich dagegen wehren können." Die Bundestagsabgeordnete bringt mehrere "Lösungsmöglichkeiten" ins Spiel: ein "Ausschluss des Strafbefehlsverfahrens bei schweren Tatfolgen" etwa oder "ein Zustimmungsvorbehalt der Nebenkläger".
Alexander Hoffmann, der für die CSU im Rechtsausschuss sitzt, nimmt dagegen die Gerichte in die Pflicht, sensibler mit den Möglichkeiten der geltenden Strafprozessordnung umzugehen. "Dafür müsste man nicht gleich das Gesetz ändern", sagt der Abgeordnete aus Retzbach (Lkr. Main-Spessart). "Ich kann nicht nachvollziehen, warum bei einem Tötungsdelikt auf eine Hauptverhandlung verzichtet wird", sagt er mit Blick auf den Fall Limbach. Wie Schrepfer vermisst er insbesondere eine Antwort auf die Frage, welche Rolle der Alkoholkonsum des Schuldigen bei dem Unfall gespielt hat.
Unfallstelle wurde entschärft
Walter Limbach ist seit dem Tod seiner Frau krank geschrieben. Arbeiten wird er nicht mehr. In diesem Oktober wäre seine Susanne 60 Jahre alt geworden, er wäre in Rente gegangen. "Wir hatten schon ein großes Fest geplant." Den Ruhestand wollten sie auf den E-Bikes genießen, die sie kurz vor Susannes Tod angeschafft hatten. Stattdessen stellte der Witwer an Ostern 2020 ein Kreuz an der Unfallstelle auf.
Der Bereich an der B19 mit den beiden Flurwegen, die links und rechts von der Fahrbahn abgehen, wurde nach dem tödlichen Unfall entschärft. Wie das Staatliche Bauamt Schweinfurt erklärt, habe die sogenannte Unfallkommission Ende 2019 beschlossen, zwei zusätzliche Schilder aufzustellen, sodass nun insgesamt vier Schilder an den beiden Flurwegen die Durchfahrt für normale Fahrzeuge verbieten. Trotzdem werden sie nach wie vor von vielen Autofahrern als Abkürzung genutzt. Damals wie heute sind die Wege "nur für den land- und forstwirtschaftlichen Verkehr freigegeben". Die Mittellinie auf der B19, so das Bauamt, sei an der Stelle durchgezogen worden.
Bevor das Kreuz stand, habe er die Straße nicht befahren können, sagt Walter Limbach. Seit er es gesetzt hat, komme er regelmäßig zur Unfallstelle. "Mindestens alle zwei Wochen."
es geht doch auch darum dem Opfer zu helfen! Und da sehe ich Ausbaupotential.
Und was das Urteil angeht - was angemessen ist sieht wohl jeder anders; kein Strafrecht ist perfekt und das von Deutschland dürfte trotz aller Kritik, weltweit mit zu den besten gehören. Aber es ist auch sehr träge.
Alkohol am Steuer ist mittlerweile ein Tabu. Die Promillegrenzen wurde zurecht über die Jahre nach unten korrigiert. Geldstrafen für Fahren unter Alkoholeinfluss wurden erhöht.
Nur der Strafrahmen bei einem Tötungsdelikt bei Fahren unter Alkoholeinfluss ist immer noch niedrig. Es ist letztlich immer eine vermeidbare Tat, bestraft wird es aber wie ein Kavaliersdelikt. Vielleicht ist das auch noch ein Überbleibsel aus der Zeit als Alkohl am Steuer tatsächlich ein Kavaliersdelikt gewesen ist!
Ich hab meine Frau bei einem Verkehrsunfall verloren und durfte meinen Kindern erklären warum die Mama nicht mehr da ist, und die stellen auch fragen was mit dem "Mann" ist der die Mama umgebracht hat...
Es klingt als wäre ein Menschenleben nichts wert! Da wird wegen lächerlicher Nachbarschaftsstreitigkeiten länger und intensiver ermittelt.
Meiner Meinung nach steht bei so etwas der Sozialstaat in der Pflicht mehr für die Opfer zu tun! Ein Gericht kann das selten leisten; wenn dann zusätzlich solche, für den Laien unverständliche, Urteile hinzukommen erst recht nicht!
Vielen Opfern geht es möglicherweise auch gar nicht um eine lebenslange Strafe oder schlimmer. Angesichts eines Menschenlebens ist eine lausige Geldstrafe und drei Monate Führerscheinentzug bei möglicherweise fehlende Reue und der Fahrt unter Alkoholeinfluss nur schwer zu verstehen - vor allem weil es kein versehentlicher "Unfall" gewesen ist vor dem niemand 100%ig gefeit ist.
Wenn ich aber gleichzeitig (am selben Tag) in der Main-Post lese wie unterschiedlich Sie von Fall zu Fall (Baby-Mord-Prozess) argumentieren, wird mir schlecht!
Sorry Herr Limbach es tut mir von ganzen Herzen weh, wenn ich ihr Schicksal lese, und ich wünsche Ihnen wirklich alles Gute!
Schönen Sonntag noch Herr Schrepfer!
Das ist zu kurz gegriffen.
Denn die Abläufe mögen unschön sein - aber nicht nur für den Ehemann, sondern auch für den Verursacher. Auch er muß sich den Rest seines Lebens damit herumschlagen, jemanden getötet zu haben. Vermutlich hätte er in einer Gerichtsverhandlung das Geschehene besser aufarbeiten und persönlich um Verzeihung bitten können.
Verursacher zwei Tage verschwunden,
fährt mit Drogen eine Mutter von zwei Kindern tot...
taucht zwei Tage später auf
und bekommt ne Geldstrafe...
Was ist das nur für eine Gesetzes Welt!