Unglaublich klingt die Lebensgeschichte von Donald Stellwag. Und in der True-Crime-Dokumentation über den unschuldig Verurteilten mit krimineller Vergangenheit fragen sich Zuschauerinnen und Zuschauerinnen am Ende tatsächlich: Was kann ich dem Mann glauben – und was besser nicht?
Auf Netflix gehört "Big Mäck: Gangster und Gold" derzeit zu den Top 10 der am meisten gestreamten Filme. "Ich sage Ihnen jetzt eine hypothetische Geschichte", kündigt der 65-jährige Protagonist gegenüber den Filmemachern Fabienne Hurst und Andreas Spinrath an.
Im Jahr 1994 wurde Donald Stellwag zu acht Jahren Haft verurteilt. Er soll in Nürnberg eine Bank überfallen und Geiseln genommen haben. Nach einem Beitrag in der ZDF-Fernsehsendung "Aktenzeichen XY" meldet sich ein Zuschauer: Er kenne den stark übergewichtigen Mann. Später will auch ein Gutachter das Ohr des Angeklagten auf Aufzeichnungen von Überwachungsaufnahmen wiedererkannt haben.
Bis zuletzt beteuert Stellwag seine Unschuld. Im Juli 2001 wurde er aus der Haft entlassen. Zwei Wochen später stellte sich heraus: Der Falsche hat hinter Gittern gesessen. Donald Stellwag ist unschuldig. "Ich wurde der Justiz ausgeliefert. Und damit psychisch auszukommen, ist pervers", sagt er rückblickend.
Schlechte Erinnerungen an seine Kindheit in Unterfranken
Nach einer mickrigen Entschädigung für die zu Unrecht verbüßte Haft, tingelt er als Justizopfer von Talkshow zu Talkshow. Seine Geschichte ist bei Medien gefragt und Stellwag weiß sie zu erzählen.
Dass er bei jeder Gelegenheit eine bisher ungehörte Anekdote auf Lager hat, scheint niemanden zu stören – im Gegenteil. Man glaubt ihm gerne. "Wenn ich Ihnen sage, was ich durch Medien eingenommen habe, glauben Sie das nicht. Viel Geld", sagt er den Filmemachern der Netflix-Doku.
Amateuraufnahmen aus Fuchsstadt (Lkr. Würzburg), damals noch im Landkreis Ochsenfurt gelegen, zeigen das dörfliche Idyll, in dem Stellwag hätte aufwachsen können. Kirche, Kneipe, Fußballplatz, Musikverein.
Doch schon als Kind widerfährt ihm offenbar Unrecht: Als unehelicher Sohn eines US-Besatzungssoldaten habe er keinen Anschluss in dem unterfränkischen Ort gefunden. Stellwag sei als "Ami-Bastard" beschimpft worden. Seine Eltern starben früh. Außer seiner Grußmutter blieb ihm im Dorf keine Bezugsperson, schildert er.
Der erwachsene Stellwag kämpft mit den Tränen, als er erzählt, dass er zu den "Aussätzigen" gezählt habe. "Der Lebensweg, der war bei mir vorbestimmt. Ich habe keine Kindheit wie ein normaler Mensch gehabt", sagt er im Rückblick auf die 1960er-Jahre. Der Fußballverein oder die Musikkapelle seien für ihn "verboten" gewesen. "Die haben mich zum Wolf gemacht", sagt er über die Dorfgemeinschaft.
Ein Nachbar und ein Schulfreund widersprechen Stellwag
Ein ehemaliger Nachbar aus Fuchsstadt kommt in der Doku zu Wort: "In Fuchsstadt kenne ich ihn nur als Harald", sagt Rudolf Thorwarth über Stellwag. Auch die Großmutter habe ihn so gerufen. Erst in der Berichterstattung über die vermeintliche Beteiligung am Bankraub sei dann "Donald" als Name aufgetaucht.
"Fuchsstadt, also dieser Ort, war ihm viel zu klein", sagt Johann Meyer über seinen ehemaligen Schulfreud. Beide widersprechen Stellwag in einem Punkt: "Harald" sei als Kind im örtlichen Fußballverein integriert gewesen. Fotos sollen das belegen.
Der 65-Jährige wohnt heute nicht mehr in Unterfranken. Er ist auf Pflege angewiesen und liegt in einem Bett, als er interviewt wird. Seine Beine tragen das Gewicht nicht mehr. Er leide auch an einem Gehirntumor, wie die Zuschauerinnen und Zuschauer nebenbei erfahren.
Das Vexierbild vom gekränkten und kranken Justizopfer kippt schnell, als die Filmemacher Stellwags kriminelle Vorgeschichte offenbaren: Drogenhandel, illegales Glücksspiel, Betrug. Auch Boss einer Drückerkolonne und Besitzer einer Goldmine in Ghana soll er eigenen Angaben zufolge gewesen sein. "Ich war ja kein Engel", gesteht er ein.
Erneut fällt Stellwags Name im Zusammenhang mit einem Raub
Nach dem Überfall auf einen Goldtransporter in Baden-Württemberg im Dezember 2009 fällt in einem Gerichtsprozess wieder der Name Donald Stellwag. Er soll den Räubern den entscheidenden Tipp gegeben haben, wann und wo sich der Überfall lohnt. Wieder wird Stellwag verurteilt. Doch wo ist die Beute im Wert von 1,8 Millionen Euro?
Von Minute zu Minute steigert sich das Bauchgefühl: Das kann doch alles nicht wahr sein. Eine Auffassung, die Weggefährten des Protagonisten mit Zuschauern teilen. Die Worte "Lügner" und "Hochstapler" fallen.
"Ich denke, dass er manchmal Sachen und Geschichten organisiert, damit er ins Rampenlicht gestellt wird", sagt ein Freund über Stellwag. Offen bliebt, wer eigentlich das Drehbuch in der Hand hat: die Regisseure der True-Crime-Dokumentation oder Donald Stellwag? In diesem magischen Realismus, einer Verschmelzung aus Wahrhaftigkeit und Träumerei, lässt die True-Crime-Dokumentation die Zuschauerinnen und Zuschauer zurück.
Auf die Reihe hat er aber scheinbar nichts bekommen.